Himmel, Wein und Kellergassen 

Geschichte und Gegenwart des Weinbaus im Pulkautal

Der romantische Wastl-Keller Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Alexowsky-Literaturkeller

Alte Gerätschaft im Museum

Alte Presse

Inmitten weitläufiger Weingärten, an einem rustikalen Holztisch platziert, vor sich ein Glas Grüner Veltliner, die Augen schweifen träumerisch in die schier endlose Landschaft, gleiten gelegentlich hinunter in die nahe Kellergasse, und über allem spannt sich ein unermesslich weiter Himmel – kein Zweifel: Man sitzt irgendwo im nördlichen Weinviertel, und da vielleicht im Pulkautal. Die Pulkau ist ein relativ wenig bekannter Fluss, entspringt im nordöstlichen Waldviertel, fließt im West-Ost-Verlauf unweit der tschechischen Grenze durch das nördliche Weinviertler Hügelland, um sich dann gerade noch im letzten niederösterreichischen Zipfel in die Thaya zu ergießen. Viel Zeit hat sie nicht, um berühmt zu werden; sie ist gerade einmal 52 Kilometer lang, aber etwa in der Mitte ihres Laufs hat sie ihren großen Auftritt: von Haugsdorf über Alberndorf, Untermarkersdorf, Hadres bis Obritz liegen hier die Ortschaften, die den Pulkautaler Wein berühmt gemacht haben. 

Aber wie heißt es doch so schön? „Es kommt nicht auf die Länge an …“. Und in Untermarkersdorf liegt erst noch die Domäne Baumgartner, der größte Weinbaubetrieb des ganzen Landes; auch die längste Kellergasse Österreichs mit 1650 Metern befindet sich hier. Zudem ist das Pulkautal uraltes Kulturland, denn es wurde schon 1050 von den Babenbergern zur Sicherung des Grenzlandes besiedelt. Der Ort Hadres geht auf eine Königsschenkung an die Haderiche zurück, später kamen die Herren von Falkenberg und von Seefeld. Die Pfarrei besteht seit dem 11. Jahrhundert, gehörte 400 Jahre lang zum Hochstift Passau und war eine der reichsten Pfarreien von Niederösterreich. Der Weinbau bildete stets die wirtschaftliche Grundlage der Gegend.

Besonderheit Kellergasse

In 181 Gemeinden mit 1107 Kellergassen oder Kellertriften und 36.860 Gebäuden – drei Viertel davon im Weinviertel – ist Niederösterreich das weitaus größte Weinbaugebiet Österreichs. Wo Wein gedeiht, da braucht es Presshäuser und Keller. Da es die Römer waren, die vor Christi Geburt den Wein nach Österreich brachten, hatten hier ja die Weinbauern lang genug Zeit, um die richtigen Sorten zu ziehen und geeignete Verarbeitungstechniken zu entwickeln. Im Pulkautal herrschen die Rebsorten Grüner Veltliner, Müller-Thurgau, Weißer Burgunder, Muskateller und Riesling vor, an Rotweinsorten der Blaue Portugieser und der Zweigelt. Die Presshäuser stehen in den Kellergassen, immer weit außerhalb der Ortschaften, manchmal in Hohlwegen. Von draußen herein kommt man direkt in das Presshaus mit der Weinpresse. Von dort geht es dann abwärts hinunter in den Weinkeller, mit einer gleichmäßigen Temperatur von etwa 10 bis 14 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 70 bis 80 Prozent. Die Keller gehen einige Meter in die Tiefe, manche sind weit verzweigt. Es soll sogar Keller geben, die eine Länge bis 60 Meter haben. Da der Boden aus Löss besteht, einem sandigen Lehm, lassen sich Keller-Ausgrabungen leicht bewerkstelligen. Man kann sogar mit einem Stückchen Holz seine Initialen in eine Kellerwand ritzen. Und vielfach reichen die Wurzeln der Rebstöcke vom Weingarten oberhalb bis hinunter in die Kellerröhre; bis 30 Meter sollen sie lang werden können. Fenster hat der Weinkeller nie, denn Licht ist für den Wein schädlich (darum bestehen die Weinflaschen auch aus lichtschützendem braunen oder dunkelgrünen Glas). 

Als Leibeigene hatten die Bauern zuerst für Gutsherren oder Stifte zu arbeiten. Ein zehentpflichtiger Weingartenbesitzer durfte erst zu lesen beginnen, wenn die Herrschaft ihre Bewilligung dazu gab, und das war nicht der Fall, ehe die herrschaftlichen Weingärten abgelesen waren. Der Ursprung der Kellergassen liegt im 19. Jahrhundert, als die Bauern von Leibeigenen zu selbständigen Unternehmern wurden und sich eigene kleine Rebflächen leisten konnten. Die hatten oft die Größe von einem Joch, das ist ein Viertelhektar oder 2500 Quadratmeter. Um den Weintraubenertrag zu Wein verarbeiten zu können, brauchte jeder Bauer Presshaus, Baumpresse und Keller. Der Ertrag der kleinen Leute diente für wenig mehr als für den Eigenbedarf. Heute hat die größte Domäne, Baumgartner, 200 Hektar (ein normaler Weinbauer hat etwa 25 bis 30 Hektar) und produziert zirka 100.000 Liter Wein. Die großen Tanks stehen oberirdisch, darum haben die kleinen Presshäuser und Keller für die Winzer ihren eigentlichen Sinn verloren. Mancherorts dienen sie als Lagerräume für Kartoffeln oder Rüben, manche sind für eine kurze Übernachtung ausgebaut, und vor allem dienen sie noch der Geselligkeit. Denn nirgends schmeckt der Wein besser als in der Kellergasse, tief unten im Keller, in einer Freundesrunde, bei flackerndem Kerzenlicht. Hier festen Wohnsitz zu nehmen ist aber nicht gestattet, so haben die Weinkeller auch weder Hausnummern noch Rauchfänge. Es sind WEINkeller, keine Menschenkeller … 

Aus Traubensaft wird Wein 

Sind die Reben gepflanzt, kann man nach drei Jahren von einem Weinstock mit dem ersten Traubenertrag rechnen – dreißig bis vierzig Jahre lang. Weinmachen in alten Zeiten hieß: Im Weingarten wurde händisch gelesen, die Trauben in die Butten am Rücken geworfen und dann in die Bottiche am Fuhrwerk gekippt. Im Presshaus wurden die Trauben mit der Weinbeerratsche vor dem Pressen angequetscht, mit der Baumpresse wurde gepresst, und dann kam der Traubensaft in die hölzernen Fässer im Keller, wo er bis zu seiner Vollendung zum Wein vor sich hin gärte. Bei der Größe eines Weingartens von einem bis zwei Joch war das möglich. Heute wird im Weingarten von etwa 25 bis 30 Hektar mit der Lesemaschine gelesen. Die Bauern haben sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, die sich zum Beispiel eine Lesemaschine teilen, denn händisch Lesen ist da natürlich nicht mehr möglich. Die Stockhöhe der Reben wurde auf 1,20 Meter gezüchtet, sodass die Lesemaschine gut einsetzbar ist. Das Pressen übernimmt die pneumatische Stahlpresse, und der Traubensaft kommt zum Gären in oberirdische Stahltanks. Zur Beratung, Unterstützung und Anregung für verschiedene Initiativen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 der „Weinbauverein Untermarkersdorf“ entwickelt oder die „Initiative Pulkautal“. Wein-Herstellen braucht eine große Menge an Erfahrung, hängt von vielerlei Faktoren ab und auch davon, wie der Wein ausgebaut werden soll. Erst ist es der „Sturm“, wenn er noch blubbert und gärt, danach bis zum 11. November der sogenannte „Heurige“. Dann ist der neue Wein der „Heurige“, der außer im Keller übrigens beim „Heurigen“ ausgeschenkt wird. Denn sowohl der jüngste Wein als auch die Wirtschaft oder die Buschenschank, die ihn ausschenkt, nennt sich der „Heurige“. 

Mancher Bauer sitzt auch gern sonntags mit einem Glas Wein geruhsam vor seinem Keller. Wie überall, wo Wein gedeiht, ist die Gastlichkeit nicht weit. So haben schon so manche fremden Besucher beim Vorbeispazieren zu ihrer Verwunderung gehört: „Habts an Durscht? Kummts eina da!“ Und dann wird wie mit alten Bekannten zusammengesessen, geplaudert und der Rebensaft genossen. Denn was Gutes will man ja gern mit anderen teilen. 

Land und Leute

Viel Information ist von den Mitgliedern der einzelnen Organisationen zu erhalten, beispiels-weise von Alfred Seidl, Mitglied im Untermarkersdorfer Weinbauverein. Mit seinem Vater betreibt er einen Zweimannbetrieb und produziert ungefähr 100.000 Liter Wein pro Jahr. Er kennt weitum das ganze Land, etwa die verborgenen Lösswände, die entstanden sind, weil hier das Material zum Ziegelbrennen abgegraben wurde, und in die nun Krähen, Ziesel und Bienenfresser ihre Höhlen gebohrt haben. Oder die Hiatahittn („Hüterhütten“), etwa fünf Quadratmeter große Unterstände, die den Hütern zum Schutz bei der Bewachung der Weingärten gegen Diebe und Stare dienten. 

An einem Platz nahe an der Grenze zu Tschechien ist für den Besucher zunächst einmal nichts Außergewöhnliches zu ersehen, bis man erfährt: Hier war einmal Gerstendorf, eine von Kaiserin Maria Theresia angesiedelte blühende Ortschaft. Niemand merkte etwas von einer Grenze, man verkehrte freundschaftlich mit-einander, bis 1945 durch die aufgehetzte Politik die Österreicher von ihren Kellern im Dorf jenseits der Grenze vertrieben wurden. Heute ist nächst der kleinen Hubertuskapelle und einem Urlauberkreuz nur mehr eine steinerne Erinnerungstafel vorhanden. 

Auch im Weinbaumuseum ist neben den alten Geräten allerlei Seltsames zu sehen, etwa der Rowish, das Kerbholz. In zwei hölzerne Stäbe wurden parallel alle Schulden und Guthaben eingekerbt, jeder bekam ein Stäbchen, und keiner konnte daran allein etwas ändern. Ein fälschungssicheres System, ohne alle Lesekünste und Notar. Natürlich weiß Alfred Seidl auch über Alfred Komarek Bescheid, den preisgekrönten Schriftsteller aus dem Ausseerland, der hier einige Jahre wohnte und der die sechs Polt-Romane schrieb, die alle vor Ort verfilmt wurden. Der bekannte Schauspieler Erwin Steinhauer, der so meisterhaft Simon Polts Charakter darstellte, die geruhsam-radelnde Figur des Dorfpolizisten, der immer für einen Kellerbesuch gut ist und ohne viel zu reden die Hintergründigkeit von Land und Leuten entziffert, ist hier allgegenwärtig. 

Das Weinviertel lag ja achtzig Jahre an der geschlossenen Grenze zu Tschechien. Diese Sackgasse erlaubte keine hitzige, wirtschaftliche Entwicklung, man blieb bescheiden und beschaulich. Sogar die Tierwelt: Hasen, Rehe, Fasane laufen einem in den Weingärten gemütlich über den Weg. Zum Schluss kann man sich wieder an einen Rastplatz setzen, eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank holen und das Entgelt in die Kassa werfen. Bei einem Glas Grünem Veltliner, Blick in die endlose Landschaft und den unermesslich weiten Himmel, lässt sich über das Erlebte beschaulich weiter sinnieren.