Hobbyforscher und das Wrack einer Heinkel He 111

Einem im Zweiten Weltkrieg abgestürzten Bomber auf der Spur

Das Plättchen mit dem Baujahr des He 111 Bombers, Typangaben und laufender Seriennummer.

Cătălin Sobco, ein Mitglied der Gruppe von Hobbyarchäologen bei den Ausgrabungen 2012 am Altufer.

Das Wappen des Kampfgeschwaders Boelke und eine Karte mit dem Kampfeinsatz gegen Smerinka. Die grüne Linie rechts ist die Flugroute zum Einsatzziel, die Linie links ist die abweichende Rückkehrroute. Ausgestellt im Museum des Rumänischen Fliegerclubs.
Fotos: Mihai Pica

Unter den zahlreichen Neuerscheinungen bei der diesjährigen Ausgabe der Kronstädter Buch- und Musikmesse, welche mehr oder weniger bekannte Einzelheiten des Zweiten Weltkriegs behandeln, waren auch einige Memoiren über Luftschlachten, bekannte Piloten und Fliegerstaffeln an den verschiedenen Fronten. An einem der Stände gab es eine ganze Reihe Bücher, die den Piloten und Luftgeschwadern gewidmet ist, welche – von Rumänien aus – zu Kampfeinsätzen entlang der gesamten Ostfront geflogen sind. Nachfragen nach Einzelheiten oder Beteiligungen von Piloten, die vom Flugfeld neben Kronstadt starteten, brachten eine Geschichte zutage, welche bis jetzt der breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben ist: Eine Episode mit tragischem Ende, welche sich im Sommer 1941 neben Veneţia de Jos (Kreis Kronstadt/Braşov) am Altufer abgespielt hat.

Das Flugzeug

Die Heinkel He 111 war ein zweimotoriger Bomber, entworfen und gebaut in den Ernst Heinkel Flugzeugwerken in Rostock. Die Maschine wurde als Verkehrsflugzeug für die Lufthansa mit einer Zwei-Mann Besatzung und zehn Passagieren konzipiert, doch zeitgleich erteilte das Reichsverkehrsministerium auch den Auftrag zur Entwicklung einer Bombervariante. Die ersten He 111 B gingen im Spätherbst 1936 an die Luftwaffe und die ersten Kampfeinsätze wurden ab März 1937 im Rahmen der Legion Condor gegen die Spanische Republik geflogen. Mit fast 1000 gelieferten Flugzeugen wurde die He 11 ab 1939 zum Standardbomber der Luftwaffe und blieb an allen Fronten bis zum Kriegsende im Einsatz.

Der He 111 Bomber hatte eine Besatzung von fünf Mann, eine Spannweite von 22,50 m und eine Länge von 16,40 m. Angetrieben wurde er von zwei Daimler-Benz-Motoren vom Typ DB 601 A-1 mit je 1100 PS. Die Höchstgeschwindigkeit betrug leer 390 km/h und voll beladen ca. 330 km/h. Von äußerster Bedeutung für die Einsätze war die  Reichweite, welche bei voller Ladung 1200 km betrug. Die maximale Flughöhe war 8000 m, noch innerhalb der Reichweite der Flugabwehrkanonen mittleren Kalibers. Gegen die feindlichen Abfangjäger gab es fünf bewegliche 7,92 mm MG und – optional – zusätzliche zwei 13 mm MG. Die Bombenlast betrug 2000 kg. Zur Serienausstattung der He 111 gehörte eine Bordverständigungsanlage, ein Funkgerät und ein Autopilot. Zusätzlich gab es in den für Nachtflüge eingesetzten Bombern auch einen Empfänger zur Erfassung des Leitstrahls während des Landeanfluges. Zur Tarnung der Flugfelder wurde nämlich die Landebahnbeleuchtung nur kurz vor dem Aufsetzen der Maschine eingeschaltet.

Für Nachteinsätze wurden die He 111–Bomber mit einer besonderen Technik ausgerüstet, welche die Treffsicherheit erhöhte. Das System nannte sich Knickebein oder X-Verfahren und funktionierte mit einem sogenannten X-Gerät und drei Stabantennen auf dem Rumpf des Bombers. Der Pilot flog entlang eines „Weser“ genannten Leitstrahls, wobei ihm etwaige Abweichungen durch Signale in den Kopfhörern gemeldet wurden. Der Leitstrahl wurde im Zielgebiet von drei Zielstrahlen gekreuzt, welche möglichst rechtwinklig lagen, um eine maximale Genauigkeit zu erhalten. Etwa 30 km vor dem Ziel wurde der erste Zielstrahl gekreuzt und ab diesem Punkt wusste der Pilot, dass sich das Ziel noch etwa fünf Flugminuten entfernt befindet. Beim Kreuzen des zweiten Zielstrahls begann ein Rechner die genaue Geschwindigkeit des Flugzeugs über dem Boden zu ermitteln und legte den Abwurfpunkt fest, welcher vor dem Ziel liegen musste, da eine Fliegerbombe eine gekrümmte Strecke vom Flugzeug bis zum Bodenziel zurücklegt. Dabei wurden die Fluggeschwindigkeit und Höhe aber auch das Gewicht der Bombe/Bomben in Betracht gezogen. Der Bombenabwurf erfolgte automatisch, wobei die Treffgenauigkeit des Verfahrens jener der bei Tageseinsätzen benutzten optischen Zielgeräte gleich war.

Nach Kriegsende waren noch viele der insgesamt 7603 gebauten Bomber verschiedener Versionen flugtauglich. Diese wurden umgerüstet und blieben, einige noch bis zu 15 Jahre, in verschiedenen Staaten in Betrieb. In Spanien wurde die Version CASA 2.111 noch bis 1956 erzeugt, allerdings nur als Zivilflugzeug. Einige befinden sich heute in Luftfahrtmuseen und zwei wurden immer wieder neu lackiert und in verschiedenen Spielfilmen benutzt.

Kampfgeschwader 27 „Boelcke“

Das Kampfgeschwader 27  war Teil der Deutschen Luftwaffe und wurde im  Mai 1939 aufgestellt. Es bekam seinen Beinamen „Boelke” nach dem Hauptmann Oswald Boelcke (19.5.1891 - 28.10.1916), zu Lebzeiten einer der bekanntesten deutschen Jagdflieger. Der Luftfahrtpionier Boelke war Zeitgenosse von Manfred Albrecht Freiherr von Richthofen (2.5.1892 - 21. 4.1918), berühmt geworden unter dem Beinamen „Der Rote Baron“. Oswald Boelke erzielte 40 Abschüsse von Feindflugzeugen und trug erheblich zu der Verbesserung und Weiterentwicklung der deutschen Luftstreitkräfte während der ersten Kriegsphase bei. Er starb am 28. Oktober 1916 während eines Luftkampfes infolge des Zusammenstoßes mit einem Staffelkameraden bei Bapaume-sur-Somme. (In der Luftwaffe der Bundeswehr existiert als Traditionsgeschwader seit dem 21. April 1961 das „Jagdbombergeschwader 27 Boelcke“, gegenwärtig stationiert in Nörvenich.)

Der Stab und die I. Gruppe des Kampfgeschwaders 27 war anfangs in Hannover-Langenhagen, die II. Gruppe in Wunstorf und die III. Gruppe in Delmenhorst stationiert. Ausgestattet wurde auch dieses Geschwader mit Heinkel He 111 Bombern. Eine IV. (Ergänzungs-) Gruppe wurde im Winter 1941/42 aufgestellt. Im Winter 1942/43 wurde noch eine Staffel aufgestellt, die speziell zur Eisenbahnbekämpfung eingesetzt wurde. Der Kriegsablauf führte im November 1944 dazu, dass das Kampfgeschwader auf Verteidigungseinsätze umgestellt werden musste und die letzten Kriegsmonate als Kampfgeschwader (Jagd) 27 mit Me 109 und Fw 190 Jagdflugzeugen ausgestattet kämpfte. Nachdem fast alles Material verloren gegangen war, wurden die Reste des Geschwaders am 4. April 1945 der Auffangstelle 5 der Fallschirmtruppe zugeführt und hauptsächlich den Fallschirmjäger-Divisionen 10 und 11 zugeteilt.

1941 flog das Kampfgeschwader Boelke an der Westfront Angriffe gegen England und, ab Juni, Einsätze gegen Russland innerhalb der 4. Luftflotte und dem IV. Fliegerkorps von Rumänien aus. Hauptziel der Kampfeinsätze im Osten waren Eisenbahnnetze und -knoten, Brücken und Transporte hinter der Front. Die Bomberstaffeln, welche diese von Focşani Süd aus flogen, befanden sich unter Geleitschutz von Jagdflugzeugen und waren hauptsächlich dem Feuer der Luftabwehrkanonen (FLAK) ausgesetzt. Schwer getroffene Bomber stürzten oftmals hinter den gegnerischen Linien ab und die Besatzung starb dabei oder wurde gefangen genommen. Leichter getroffene Maschinen schafften meistens den Rückflug, doch nicht immer erfolgte die Landung auch auf dem Basisflugfeld. Und manchmal war es eine Notlandung oder sogar eine Bruchlandung. Solch eine Bruchlandung ereignete sich am 3. Juli 1941 neben Veneţia de Jos in den ersten Morgenstunden.

Die Hobbyarchäologen

Mihai Pica ist 33 Jahre alt und arbeitet in Bukarest im IT-Bereich. Seine Kindheit hat er in Fogarasch und der Umgebung verbracht und er fühlt sich dieser Gegend auch heute noch eng verbunden. Da sein Hobby die Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, vor allem die der Luftschlachten, sucht er gerne in der Freizeit, zusammen mit einer kleiner Gruppe Freunden, neben Dokumentationen und Archivfotos auch nach Teilen von im Zweiten Weltkrieg abgestürzten Flugzeugen. Gemeinsam gingen sie von einem Vermerk in der Fachliteratur aus und entschlossen sich spontan, das neben Veneţia de Jos abgestürzte Flugzeug zu suchen. Dass dabei auch etwas Glück im Spiel war, räumt Mihai Pica gerne ein, denn nicht immer lässt sich nach so vielen Jahren ein Augenzeuge des Geschehnisses finden, der obendrein auch noch in derselben Gegend geblieben ist. Der Augenzeuge, Gheorghe Penciu, war neun Jahre alt, als am Morgen des 3. Juli 1941, gegen 4.30 Uhr, das gesamte Dorf Veneţia de Jos vom Lärm der sich nähernden Heinkel 111 geweckt wurde.

Der Absturz

Ohne Orientierung, mit getroffener Maschine, versuchte der Pilot Hans-Günter Knigge im Morgengrauen eine ebene Fläche auszumachen, um das Flugzeug zu landen. Dieses zog eine Rauchspur hinter sich – so erzählte der Augenzeuge –, ein klares Zeichen für einen Brand an Bord, Folge eines Treffers der FLAK–Abwehr neben dem Einsatzziel. Die He 111 kam von einem Kampfeinsatz auf den Eisenbahnknoten Smerinka in der Ukraine zurück. Als Folge des FLAK-Treffers oder eines anderen technischen Ausfalls oder Fehlers verlor die He 111 beim Rückflug die Orientierung und verfehlte die Strecke um einige Grad rechts in Flugrichtung. So kam es, dass sie  anstelle bei Focşani, also außerhalb des Karpatenbogens, im Inneren desselben, etwa in Richtung Fogarasch, lag. Ohne Treibstoff und getroffen, wahrscheinlich auch ohne Funkverbindung, überflog die He 111 das Dorf und stürzte etwa fünf Kilometer weiter ab, eine Stelle, welche die Bewohner durch den aufsteigenden Rauch gut sehen konnten. Diese liefen fast alle zur Absturzstelle und erreichten sie gegen 6 Uhr. Das abgestürzte Flugzeug brannte, doch keine Besatzung war zu sehen. Diese hatte es gerade noch geschafft abzuspringen, doch der Fallschirm des Piloten Hans-Günter Knigge verfing sich an der steuerlosen Maschine und riss ihn in den Tod. Die gelandete Besatzung versteckte sich am Rande eines nahe liegenden Wäldchens und wartete, um zu sehen, ob sich Freund oder Feind nähert. Der Augenzeuge erzählt, dass die Besatzungsmitglieder von einem Sachsen aus dem Dorf angesprochen und beruhigt wurden, weitere Einzelheiten sind nicht bekannt. Wahrscheinlich wurden aus dem Flugzeugwrack nur die Motoren geborgen, doch wann und von wem ist heute nicht bekannt. Auch die Namen der Besatzungsmitglieder wurden noch nicht in Erfahrung gebracht, nur über den Piloten Hans-Günter Knigge gibt es, durch den entdeckten Flugbericht, Gewissheit.

Die Hobbyarchäologen konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf den schwer zugänglichen Abschnitt, wo sie das Flugzeugwrack vermuteten. Gheorghe Penciu konnte zwar einige Angaben machen, doch an der Erdoberfläche war nichts mehr zu sehen. Die größeren Aluminiumteile wurden mit Sicherheit von den Bauern in der Umgebung schon gleich nach dem Absturz gesammelt und in der Wirtschaft verwendet, denn Metall war in den Kriegsjahren Mangelware. Etwas später sollte ein Werbespruch von Kleinkrämern und Jahrmarktverkäufern in Mode kommen, allerdings in Verbindung mit anderen Flugzeugen und in einer anderen Region des Landes: In Anlehnung an die amerikanischen Liberator-Bomber welche 1944 im Großraum Ploieşti im Einsatz waren, wurden Aluminiumkämme mit dem Reim „Cumpără Liberatorul, ca să nu-ţi cadă părul” angepriesen.

Zurück an das Altufer: Da dauerte es etwa zwei Tage, bis die Absturzstelle entdeckt wurde, da diese in einem überschwemmbaren Teil des Flussbetts liegt. Dort fand die Gruppe die ersten Teile, etwa einen Meter tief, im angeschwemmten Erdreich. Neben Fragmenten der Hydraulik, Druckkolben oder des Fahrwerkes ist der mit Abstand wichtigste Fund die kleine Platte mit der Typ-Kennzeichnung und der Bauserie des Flugzeuges. Die Teile wurden inzwischen in eine Ausstellung des Rumänischen Fliegerclubs in Bukarest übernommen. Fotomaterial und genaue Angaben wurden auch an die Traditionsgemeinschaft Boelcke e.V., welche sich um die Geschichte des Kampfgeschwaders 27 kümmert, weitergeleitet. In diesem Frühling begab sich ein Teil der Hobbyarchäologen wieder an die Absturzstelle und stellte ein Kreuz auf zur Erinnerung an den hier gefallenen Piloten  Hans-Günter Knigge.
Für dieses Jahr hat sich die Gruppe vorgenommen, nach dem Wrack eines abgestürzten IAR 80 Jagdflugzeuges zu suchen, wahrscheinlich das letzte Exemplar, welches noch als verschollen gilt.