„Ich habe mir vorgenommen, etwas aufzubauen!“

Der Schauspieler Sorin Sandu setzt sich für die Roma-Gemeinde ein

Seit Kurzem hat der Schauspieler begonnen, seine Gedichte auch der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Foto: Aida Ivan

Sorin Sandu arbeitet seit einigen Jahren in einem Bukarester Theater. Daneben hat er verschiedene Theater-Projekte.

Lockiges schwarzes Haar, aufrechte Körperhaltung und eine bewundernswerte Einstellung: Stolz präsentiert sich der Schauspieler und neuerdings Dichter Sorin Sandu als selbstbewusster Roma, der sich bemüht, die Minderheit, der er angehört, zu unterstützen. Seine kurvenreiche Laufbahn steht als Beweis dafür, dass er auf mehreren Gebieten gut bewandert ist: Ausgebildet als Ingenieur und Schauspieler, arbeitet er seit mehreren Jahren bei einem Fernsehsender und in einem Theater. Die Sendung, die er moderiert, heißt „Şi eu m-am născut in România“ („Auch ich wurde in Rumänien geboren“).

Außerdem übersetzt er Caragiales Werke ins Romani und betätigt sich im Rahmen des von ihm geleiteten Kulturvereins Amphitheatrrom. Vor Kurzem veröffentlichte eine literarische Zeitschrift einige seiner Gedichte. Zur Zeit versucht er, das erste Romani-Theater hierzulande zu gründen. Sorin Sandu spricht sich für die Bildung der Roma aus und glaubt fest an ein reibungsloses Zusammenleben aller rumänischen Bürger als eine große Familie.

Der Ingenieur wurde zum Schauspieler

Sandu betrachtet sich in erster Linie als Schauspieler. Schon als Jugendlicher übte er in seiner Heimatstadt Alexandria (Kreis Teleorman) nach dem Schulunterricht: Vor dem Glasschrank im Wohnzimmer stand er und sang  – solange das Haus leer war. Nur einem einzigen Freund hat Sandu über sein Vorhaben, Schauspieler zu werden, erzählt. Die Reaktion seines Kumpels war enttäuschend: Fürs Schauspielen müsse man aber begabt sein. Von dem Zeitpunkt an schwor sich der junge Mann, niemandem mehr über seine Pläne zu erzählen, bevor sie in Erfüllung gehen.

Begonnen hat Sandu ein Studium an der Bukarester Wirtschaftsakademie, das er aber nicht abgeschlossen hat. Nach dem Wehrdienst entschied er sich für die Polytechnische Universität in der Hauptstadt. Als Ingenieur für Mikrotechnik und Optik hat er nie gearbeitet, auch wenn er das Diplom in der Tasche hat und diesen Bereich immer noch faszinierend findet. Der Verlockung der Kunst konnte er nicht widerstehen. Schon ein paar Monate nach seinem Abschluss schaffte er die Aufnahme an der Universität für Schauspiel- und Filmkunst UNATC. Seiner Mutter hat er seine Pläne erst danach erzählt, erwähnt er schmunzelnd.

Studiert hat Sandu in der Klasse von Gelu Colceag, seinem Lieblingspädagogen. Schon im zweiten Studienjahr spielte Sandu in Inszenierungen am Bukarester Nationaltheater. Nach dem Abschluss des Masterstudiums in Schauspielkunst hat ihm Mihai Mălaimare, der Direktor des Masca-Theaters, eine feste Arbeitsstelle angeboten. Das geschah vor sieben Jahren, seitdem arbeitet Sandu in einem Theater, wo sich alles um die körperliche Ausdrucksfähigkeit dreht. Noch während der Studienzeit hat Sandu angefangen, an der TV-Sendung zu arbeiten. Unterstützt wird sie von der Roma-Partei Pro Europa und hat das Ziel, ein anderes Bild von den Roma zu zeigen, weit entfernt von den (zumeist negativen) Klischees, die in den Medien weit verbreitet sind.

Das Schreiben ist eine ältere Leidenschaft von Sandu. „Es ist eine Methode, mit mir selbst manchmal zu diskutieren, mir und meinen Gedanken näher zu kommen“, erklärt er. Lange Zeit habe er niemandem die Gedichte gezeigt, die er auf Rumänisch und Romani in seinem Tagebuch niederschrieb. Insgesamt hat er 10 Hefte gesammelt. „Ich hatte nie den Mut, besonders seit dem Ereignis mit dem Freund“, fügt er hinzu.

Begeistert erzählt er, unter welchen Umständen ein paar seiner Gedichte veröffentlicht wurden: Im Rahmen einer Pressekonferenz zum Tag der Roma kam zu ihm der Chefredakteur einer literarischen Zeitschrift und fragte ihn, ob er Roma-Schrifteller kenne, deren Werk zweisprachig erscheinen könnte.
Je mehr wir uns in die Diskussion vertiefen, desto mehr entfernen wir uns von dem gegenwärtigen Augenblick und erforschen die subjektive Zeit, die Sandu gerade erlebt. Allerlei Erinnerungen ruft er hervor: Seine ersten literarischen Versuche im Lyzeum, seine Erfahrungen im Theaterbereich während seines Studiums an der Bukarester Polytechnik, seine Neuentdeckung der Romani-Sprache an der Bukarester Fremdsprachenfakultät mit Gheorghe Sarău, dem Leiter des Lehrstuhls für Romani an der Universität Bukarest, seine erste Übersetzung ins Romani – ein Gedicht von Nichita Stănescu...

Der Schauspieler wurde zum Übersetzer

Caragiales „Stürmische Nacht“ hat er als Allererster ins Romani übersetzt und in einer zweisprachigen Auflage veröffentlicht („Jekh Răt Lisăme“- „O noapte furtunoasă“). Das Theaterstück wurde durch den von ihm gegründeten Verein Amphitheatrrum inszeniert, die Rollen gespielt haben professionelle Schauspieler, die Roma sind. Aufgeführt wurde es auf Romani in verschiedenen Theatern im ganzen Land, u.a. in Bacău, Bistritz/Bistriţa, Neumarkt/Târgu Mureş oder Arad. „Es gab echt viel Interesse, die Roma haben ihre Sprache nie bisher in einem Theater gehört – das war wirklich spektakulär“, meint Sandu.

Die schönste Aufführung der Komödie sei diejenige inmitten eines Dorfes im Süden Rumäniens gewesen, wo eine Bühne improvisiert wurde. Da wohnten vorwiegend Roma und die wenigen Rumänen sprachen auch Romani, also brauchte man das Stück nicht auf Rumänisch zu übersetzen. Zu einem gewissen Zeitpunkt musste einer der Zuschauer das Publikum verlassen, damit er seine Hühner in den Hühnerstall einsperrt. Lachend ging der alte Mann hinter die Bühne und erklärte den Schauspielern in der Kulisse, dass er zurückkäme. Lachend ging er auf seinen Hof und erledigte seine Routinearbeit. Zurück kam er mit ein paar Äpfeln. Die schenkte er Sandu. „Das war eine der schönsten Aufführungen und die Freude war echt.

Viele Roma, die eingeladen wurden, sahen zum ersten Mal ein Theaterstück. Und das auf Romani! Ein Zuschauer kam zu uns und bedankte sich, er hatte Tränen in den Augen“, erinnert sich Sandu.
Sandu hat schon begonnen, seine Gemeinschaft zu unterstützen. „Ich habe mir vorgenommen, etwas aufzubauen“, sagt er entschlossen. Der Schauspieler plant, in Zukunft das ganze Werk von I.L. Caragiale auf Romani zu übersetzen. „Danach wollen wir auch ein Theaterstück auf Romani schreiben“, verdeutlicht er.

Er spricht auch über den Bedarf, Romani-Literatur entstehen zu lassen. Es sei wichtig auf Romani zu schreiben, um zu beweisen, dass Romani eine literarische Sprache sein kann. „Eine Romani-Literatur gibt es schon in anderen europäischen Ländern. Ich bin überzeugt, dass es in 15 Jahren eine Gruppe von Roma-Literaten auch hierzulande geben wird“, verkündet Sandu voller Enthusiasmus. Seine eigenen Gedichte will er zweisprachig veröffentlichen, damit sie einem breiteren Publikum zugänglich sind.
Die Romani-Literatur in Rumänien ist noch nicht ausgereift, diese Situation hängt mit ihrer Geschichte zusammen, die man hierzulande kaum kennt.

„Die Romani-Literatur ist jetzt erst am Anfang und anders war es auch nicht möglich: Mehr als 500 Jahre waren die Roma Leibeigene im rumänischen Raum“, erklärt er. Der griechische Ursprung des Wortes „Zigeuner“ weist darauf hin, dass die Menschen nicht berührt werden sollten. „Atzingani“ (die Unberührbaren): Unter dieser abwertenden Bezeichnung erscheinen die Roma zum ersten Mal in einem Dokument im Jahre 1385. Der Woiwode der Walachei, Dan I., schenkt dem Kloster Tismana 40 Roma-Familien. Als Geschenk werden weitere 300 Roma-Familien im Jahre 1388 dem Kloster Cozia vom Woiwod Mircea dem Alten überlassen. Zu freien Menschen wurden die Roma erst im 19. Jahrhundert. „Nach einer solchen Vergangenheit kann man sich nur schwer mit den anderen Gemeinschaften vergleichen“, erklärt Sandu weiter. Das Heimatland Indien wurde vor 1000 Jahren verlassen und die Roma in Rumänien können sich nicht auf ihr Ursprungsland oder auf ihre Literatur beziehen, so wie das z.B. die deutschen Minderheiten konnten.

Es ist kein Geheimnis, dass viele in Klischees denkende Menschen Zigeunern an allem die Schuld geben. Um zu einem Gleichgewicht zu kommen, brauche die Roma-Minderheit Unterstützung. Sandu ist der Meinung, dass die Roma die Hilfe der Regierung benötigen. „Letztendlich hat eine Gemeinde, deren Mitglieder geschult und gebildet sind, eine andere Mentalität. Das könnte der ganzen Gesellschaft helfen“, meint er. „Alle sind rumänische Bürger, egal ob sie der deutschen, ungarischen oder Roma-Minderheit angehören. Alle leben in dieser großen Familie, die Rumänien heißt. Es wäre gut, wenn jedes Mitglied gesund ist“, erklärt er weiter.

Geprägt wurde Sandu von seinem Vater, ein belesener Mensch, der von Bekannten „Das Gehirn“ genannt wurde. Sein Vater arbeitete in einer Fabrik und riet ihm, mehr zu lernen und besser zu werden, damit er respektiert wird. „Für die anderen wirst du immer ein Zigeuner sein“, lauteten seine Worte. Sandus eigene Kinder sind in eine andere Mentalität hineingeboren. Die Familie, in der sie aufwachsen, hat einen anderen gesellschaftlichen Status: Der Vater ist Diplomingenieur und Schauspieler, die Mutter hat ein abgeschlossenes Doktoratsstudium in Soziologie. „Es gefällt mir, zu arbeiten. Leistung ohne Arbeit gibt es nicht“, verdeutlicht Sandu. „Ich glaube, das Leben ist schön, ich bin sehr glücklich“, meint er und versinkt wieder in seinen Gedanken.