„Ich hoffe, dass mit Unterstützung aller politischen Kräfte in Rumänien das Reformtempo wieder anzieht“

ADZ-Gespräch mit Werner Hans Lauk, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Rumänien

Foto: Deutsche Botschaft Bukarest

Am heutigen Mittwoch überreicht Deutschlands neuer Botschafter in Bukarest, Werner Hans Lauk, Staatspräsident Traian Băsescu seine Akkreditierungsschreiben. Über die Prioritäten seines Rumänien-Mandats sprach der deutsche Spitzendiplomat, dessen Karriere Posten in Hongkong, Afghanistan, China, Saudi-Arabien, der ehemaligen Tschechoslowakei und Venezuela umfasst, mit ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica.

Exzellenz, eingangs herzlich willkommen in Rumänien, wo Ihnen angesichts des politischen Dauerhickhacks zumindest keine Langeweile droht. Was halten Sie von der Aussicht auf pausenlosen Politzoff und worauf freuen Sie sich trotzdem in Rumänien?

Vielen Dank für die freundliche Aufnahme in Rumänien; ich fühle mich schon nach wenigen Wochen sehr wohl! Dass ich mich bestimmt nicht langweilen werde, ist mir nach den ersten Wochen in Rumänien schon klargeworden. Und zwar nicht nur wegen der politischen Diskussionen, sondern weil Rumänien ein ungeheuer vielfältiges und faszinierendes Land ist. Ich freue mich auf den Meinungsaustausch mit Politik und Zivilgesellschaft, auf eine enge Zusammenarbeit mit der deutschen Minderheit, auf gemeinsame Projekte mit deutschen und rumänischen Wirtschaftsvertretern und auf viele Begegnungen im Land.

Welches sind die Schwerpunkte Ihres Rumänien-Mandats?

Ich möchte aus den vielen Feldern, die ich bearbeiten will, nur ein paar herausgreifen: die enge Zusammenarbeit mit Rumänien als Partner in der EU und als wichtiger Partner in der Regionalpolitik, die weitere Unterstützung der Reformprozesse in Rumänien, die Stärkung der Brückenfunktion der deutschen Minderheit, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für deutsche Investoren und die Pflege des Kulturaustausches, einschließlich der deutschen Sprache. Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschaftspartner Rumäniens. Als Botschafter möchte ich meinen Teil dazu beitragen, dass dies auch weiter so bleibt und sich die Zusammenarbeit noch enger und vertrauensvoller gestaltet. Verstärkter Handel und noch mehr gegenseitige Investitionen sind im Interesse beider Länder. Entsprechend wird meine Tür immer für diejenigen offen sein, die diese Beziehungen stärken und ausbauen wollen.

Ein Bereich, der mir im Zusammenhang mit der Wirtschaft besonders am Herzen liegt, ist die Duale Berufsausbildung, also die fachliche Ausbildung junger Menschen durch Kombination von schulischem Lernen und praktischem Einsatz in Betrieben. Dieses Modell hat Deutschland große Vorteile gebracht, es kann auch hier in der Kombination zwischen rumänischen Schulen und Unternehmen künftig den Wirtschaftsstandort stärken. Gleichermaßen habe ich mir vorgenommen, das deutschsprachige Bildungsangebot in Rumänien weiter zu unterstützen. Deutsch ist heute in Rumänien eine sehr gefragte Sprache, nicht zuletzt in der Wirtschaft. Es zeichnet das rumänische Bildungswesen aus, dass es landesweit über 70 deutschsprachige Studiengänge gibt, die auch für Studierende aus Deutschland attraktiv sind.
Ich halte es für eine ganz wesentliche und wichtige Aufgabe, die deutsche Sprache weiter zu pflegen und so auch das reichhaltige kulturelle Erbe der deutschen Minderheit für kommende Generationen zu erhalten.

Wie bewerten Sie nach der Staatskrise vom letzten Sommer den Stand der Integration Rumäniens in das europäische Gefüge und die allgemeine Reformwilligkeit des Landes sieben Jahre nach dessen EU-Beitritt?

Rumänien hat seit 2007 einen langen Weg dabei zurückgelegt, notwendige Reformen umzusetzen und europäischen Standards – z. B. bei der Unabhängigkeit der Justiz und der Korruptionsbekämpfung – zu entsprechen. Die politische Krise des letzten Jahres war auf diesem Weg sicher ein Moment des Stillstands. Sie hat gezeigt, dass Rechtsstaatlichkeit und demokratische politische Kultur verwundbar sind und immer wieder verteidigt werden müssen. Die damalige Krise sollte gleichwohl nicht den Blick dafür verstellen, was in den sieben Jahren seit dem EU-Beitritt erreicht worden ist. Rumänien hat Fortschritte im Bereich der Justizreform und Korruptionsbekämpfung gemacht. Mit Unterstützung von EU und IWF hat Rumänien seine makroökonomischen Rahmenbedingungen stabilisiert und sich wirtschaftlich so konsolidiert, dass es die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre zwar nicht spurlos überstanden, aber doch besser bewältigt hat als andere europäische Länder.

Die Investitionsbedingungen für in- und ausländische Unternehmen werden schrittweise verbessert. Der notwendige Reform- und Veränderungsprozess ist aber keineswegs zu Ende. Vielmehr hoffe ich, dass nun mit Unterstützung aller politischen Kräfte in Rumänien das Reformtempo wieder anziehen wird. Es warten ja große Herausforderungen, die geplante Verfassungsreform, große Privatisierungsprojekte, Umsetzung der Empfehlungen der CVM-Berichte, Reformen im Gesundheitsbereich und vieles mehr darauf, nunmehr zügig und nachhaltig vorangetrieben zu werden. Ein für die ganze rumänische Nation wichtiger Bereich ist auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der dem Tourismus in den vielen reizvollen ländlichen Regionen ebenso zugute kommen wird wie den Unternehmen.

In puncto Reformwilligkeit sah sich Ihr Vorgänger letzten Herbst genötigt, mit Nachdruck vor einer Einschränkung der Tätigkeit der Nationalen Integritätsbehörde ANI zu warnen. Zurzeit schießen sich führende Koalitionspolitiker erneut auf die wichtigsten Korruptionsjäger ANI und DNA ein –  und darüber hinaus auch auf das Verfassungsgericht und den Obersten Magistraturrat. Wie werden derlei Vorstöße in Berlin wahrgenommen und wie sind sie aus Sicht der Bundesregierung mit Rumäniens heißersehntem Schengen-Beitritt vereinbar?

Derzeit nehmen wir zunächst einmal wahr, dass der Kampf gegen Korruption in Justiz, Verwaltung und Politik in Rumänien mit sichtbaren Erfolgen fortgesetzt wird. Auch die Integritätsagentur ANI geht ihrer Arbeit weiterhin mit großer Konsequenz nach. Diese Fortschritte werden von uns und sicherlich auch in Brüssel positiv gesehen. Der Bundesregierung ist es sehr wichtig, dass die Arbeit der verschiedenen Institutionen, die den rumänischen Rechtsstaat stützen und weiterentwickeln –  wie z. B. ANI, DNA, CSM oder das Verfassungsgericht –, frei von politischem Druck und ohne Beschränkungen erfolgen kann.

Dies ist selbstverständlich auch für eine positive Beurteilung Rumäniens im nächsten CVM-Bericht der Europäischen Kommission von großer Bedeutung. In Sachen Schengen ist die deutsche Position unverändert und sehr klar: Rumäniens Vollbeitritt zum Schengenraum ist und bleibt ein wichtiges Ziel der Bundesregierung. Für die Bewertung, ob alle erforderlichen administrativen und rechtsstaatlichen Voraussetzungen für die erste Stufe des Schengenvollbeitritts, nämlich die Öffnung der See- und Luftgrenzen, tatsächlich erfüllt sind, wird der nächste CVM-Bericht, der Ende des Jahres erscheinen wird, von entscheidender Bedeutung sein.

Wie würden Sie den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen bezeichnen – insbesondere die politischen? Hat Premier Ponta es bei seinem Antrittsbesuch in Berlin geschafft, die nach den scharfen Angriffen seiner Koalition auf Bundesregierung und Bundeskanzlerin abgekühlten Beziehungen zumindest einiger-maßen aufzutauen?

Ich empfinde die Beziehungen als gut und konstruktiv. Deutschland und Rumänien sind im Handels- und Wirtschaftsbereich sehr eng verflochten, wir pflegen intensive kulturelle Beziehungen und führen zu bilateralen, europapolitischen und internationalen Themen einen intensiven politischen Dialog. Bei meinen ersten Kontakten in Rumänien habe ich den Eindruck gewonnen, dass es hier möglich ist, auch schwierige Punkte und unterschiedliche Auffassungen offen und konstruktiv anzusprechen. Ministerpräsident Ponta habe ich schon vor meiner Ankunft in Bukarest während seines Hongkong-Besuches Ende Juni kurz kennenlernen können und wir haben einen offenen und intensiven Austausch vereinbart.

Ich möchte gern auch noch eines klarstellen: Die innenpolitische Krise des letzten Sommers in Rumänien hat in unseren bilateralen Beziehungen natürlich eine Rolle gespielt. Wir haben kritische Fragen an Rumänien gestellt und wir haben ein paar scharfe Antworten erhalten. Aus meinen vielen Gesprächen in Berlin mit meinem Vorgänger und Gesprächspartnern hier in Rumänien weiß ich aber: Unter den Gefrierpunkt ist die Atmosphäre nie gesunken, denn es gab nie einen Moment, in dem der Gesprächsfaden zwischen uns abgerissen wäre. Solch einen Zustand würden wir im Verhältnis zu einem wichtigen EU-Partner auch gar nicht entstehen lassen.

Beim Besuch von Premierminister Ponta in Berlin, der in sehr freundlicher Atmosphäre stattfand, wurden natürlich auch die Vorgänge des letzten Sommers angesprochen. Auch über bestehende Probleme einzelner deutscher Investoren in Rumänien wurde gesprochen. Vor allem aber wurden gemeinsame Projekte für die Zukunft – z. B. bei der Zusammenarbeit im Justizbereich – vereinbart und erneut gemeinsam festgestellt, dass wir etwa in europäischen Fragen viele gleichgelagerte Interessen auch gemeinsam vertreten können.

In Deutschland wird seit Monaten über die steigende Zahl von Armutsflüchtlingen aus Rumänien und Bulgarien debattiert. Gehört das Thema zu den Kernpunkten Ihrer anstehenden Gespräche mit den rumänischen Behörden?
Die Integration der Roma und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ist der Bundesregierung ebenso wie den Regierungen unserer Nachbarstaaten ein wichtiges Anliegen. Auch als Deutsche Botschaft stehen wir daher seit Langem in regelmäßigem Kontakt mit den zuständigen Regierungsstellen in Rumänien. Aber nicht nur das: Wir tauschen uns auch im Rahmen der EU, des Europarates und der OSZE mit unseren rumänischen Partnern über Fragen des Minderheitenschutzes, der sozialen Inklusion und Armutsbekämpfung aus. Daran wird sich nichts ändern, nur weil die Deutsche Botschaft nun in meiner Person einen neuen Leiter hat. Deutschland, Österreich, die Niederlande und Großbritannien haben in Brüssel aber auch um Vorschläge für mögliche Sanktionen beim Missbrauch von Sozialleistungen angesucht. Hat Brüssel inzwi-schen mit Vorschlägen aufgewartet?
Soweit ich informiert bin, liegt ein Bericht noch nicht vor.

Ihr Land begeht in wenigen Wochen seinen Nationalfeiertag. Der deutsche Einheitsprozess gilt heute als Erfolgsstory ohnegleichen, der von Rumänien eingeschlagene Weg und die bisher erreichte europäische Integration leider weniger. Wo hat Rumänien Ihrer Meinung nach in all den Jahren gefehlt?

In Rumänien gibt es weiterhin Reformbedarf, das wurde ja bereits erörtert. Damit steht Rumänien in Europa allerdings nicht allein da – auch Deutschland hat vor nicht allzu langer Zeit einen recht schmerzhaften strukturellen Reformprozess durchlaufen, der Voraussetzung und Grundlage für die gegenwärtig wieder günstigere Wirtschaftsentwicklung ist. Aus meiner Sicht hat Rumänien in den knapp sieben Jahren seiner Zugehörigkeit zur Europäischen Union große Schritte gemacht, die Bilanz bei der europäischen Integration Rumäniens finde ich recht positiv. Rumänien ist kein passiver Zuschauer in der EU, sondern hat schon kurz nach seinem Beitritt mit der Donauraumstrategie eine der großen makroregionalen Strategien der EU entscheidend mitgestaltet. Das ist wirklich eine Leistung. Rumänien spielt eine aktive Rolle bei vielen wichtigen Diskussionen in der EU und hat z. B. als Mitglied der Gruppe der „Freunde der Kohäsion“ bei den Verhandlungen zum Haushalt für die Finanzierungsperiode 2014-2020 sehr erfolgreich agiert. In der andauernden Debatte um die Bewältigung der Euro-Krise hat Rumänien klar Position bezogen und wir sind dankbar für die Unterstützung Rumäniens für den Fiskalpakt. Für uns ist Rumänien ein Partner, der auch künftig eine wichtige Rolle in der EU spielen sollte.

Lassen Sie mich aber auch eine generelle Bemerkung machen. Rumänien steht insgesamt in der EU nach der Wirtschafts- und Finanzkrise recht gut da: Die Wirtschaft wächst wieder, das Haushaltsdefizit konnte gesenkt werden und die Inflationsquote ist vergleichsweise moderat. Darauf kann und sollte das Land stolz sein; die schmerzlichen, aber notwendigen Reformen sind erfolgreich und tragen Früchte. Dies kommt meines Erachtens in der öffentlichen Diskussion hier zu kurz. Die Bevölkerung hat Grund zu Optimismus und zu Mut für die Zukunft.

In Ihrer Heimat stehen in wenigen Tagen Bundestagswahlen an. Laut Umfragen liegt Angela Merkel zwar deutlich vor ihrem Herausforderer Peer Steinbrück, doch konnte der SPD-Kandidat in der Wählergunst immerhin aufholen. Könnte die Syrien-Krise im deutschen Wahlkampf letztlich das Zünglein an der Waage darstellen?

Die furchtbaren Ereignisse in Syrien lassen niemanden unberührt. Sie werden in Deutschland unabhängig von der bevorstehenden Wahl aufmerksam verfolgt und diskutiert. Es gibt dabei einen breiten Konsens, dass sich Deutschland nicht an militärischen Operationen beteiligen kann und wird. Die Bundesregierung setzt konsequent auf eine politische Lösung und setzt sich für eine geschlossene Haltung der Weltgemeinschaft ein. Neben der Frage nach den Konsequenzen aus dem Einsatz von Giftgas in Syrien dürfen wir andere hochaktuelle Fragen nicht aus den Augen verlieren. Dazu zählt insbesondere der Umgang mit der beispiellosen humanitären Krise. Hier gehören Deutschland und Europa zu den wichtigsten Geldgebern und Helfern. Deutschland hat zugesagt, 5000 syrische Staatsangehörige in Deutschland aufzunehmen, von denen die ersten bereits in Deutschland eingetroffen sind.

Gestatten Sie mir abschließend, den „neugierigen Reporter“ etwas raushängen zu lassen: Gab es angesichts der vielen Eigenheiten Rumäniens irgendwelche Tipps, die Ihnen Ihr Vorgänger mit auf den Weg gab?

Tipps und Ratschläge habe ich von vielen Seiten erhalten. Alle hatten einen gemeinsamen Nenner, nämlich so oft und so viel wie möglich Kontakt zu der gastfreundlichen und warmherzigen rumänischen Bevölkerung in allen Landesteilen zu suchen, die verschiedenen Kulturen und die Vielfalt und Schönheiten der Landschaften dieses großen europäischen Landes kennenzulernen. Das habe ich mir fest vorgenommen und freue mich schon darauf, auch die in Deutschland wichtigen Festtage wie Weihnachten und Ostern in Rumänien zu verbringen und die hiesigen Traditionen kennenzulernen.

Herr Botschafter, besten Dank für Ihre Ausführungen.