„Ich stamme zwar aus Rumänien, doch ich fühle mich überall zu Hause“

ADZ-Gespräch mit dem rumäniendeutschen Bildhauer Ingo Glass

Der rumäniendeutsche Bildhauer Ingo Glass eröffnete eine Wanderausstellung in Lugosch, der Stadt seiner Jugend – demnächst wird eine weitere Ausstellung in seiner Geburtsstadt Temeswar zu sehen sein.
Foto: Andreea Oance

Ingo Glass wurde 1941 in Temeswar geboren, doch seine Jugendjahre verbrachte er in Lugosch. Dort entdeckte er seine Begabung und erlernte das ABC der Bildhauerei. Immer wenn er über seinen Werdegang als Künstler gefragt wird, geht Bildhauer Ingo Glass auf die Stadt seiner Kindheit und Jugend zurück und erinnert sich mit Freude und Anerkennung an Elisabeth Popper, die ihn in die Welt der Bildhauerei einweihte. Der Banater Künstler gehört heute zu den bekanntesten Vertretern der konkreten Kunst und wurde für sein Schaffen im In- und Ausland mehrfach ausgezeichnet. 2013 erhielt er das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, ein Jahr davor war er zum Ehrenbürger der Stadt Temeswar ernannt worden. Vor Kurzem wurde dem 76-jährigen Glass auch der „Stadtschlüssel von Lugosch“ feierlich überreicht.

Ingo Glass empfindet sich als einen universellen Geist. Er stammt aus Rumänien, fühlt sich aber überall zu Hause. In seine Geburtsstadt Temeswar kehrt der Künstler Mitte Mai zurück. Das Temeswarer Kunstmuseum wird demnächst die Ingo-Glass-Wanderausstellung „Bewegung der Grundformen und Grundfarben im Raum“ beherbergen. Die Ausstellung wird vom 18. Mai bis zum 18. Juni im Museum am Domplatz zu sehen sein. Die ADZ-Redakteurin Andreea Oance traf den Bildhauer in Lugosch und führte mit ihm folgendes Gespräch.


Sie haben heute die höchste Anerkennung der Stadt bekommen und gleichzeitig auch eine Ausstellung eröffnet. Was bedeutet für Sie Lugosch, Herr Glass?

Ich habe hier meine Schulzeit und Jugend verbracht. Ich bin zwar 1941 in Temeswar geboren worden, aber 1949 sind meine Eltern aus politischen Gründen hierher gezogen. Mein Vater wurde im Zweiten Weltkrieg als Korrespondent und Frontfotograf eingesetzt. Nach dem Krieg sind zahlreiche Rumäniendeutsche zwischen die Fronten geraten. Mein Vater kehrte erst 1947 aus dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland wieder nach Hause zurück. Er kam nach Temeswar „schwarz“, über die Grenze aus Jugoslawien. Man hat ihn erwischt. Dies wurde als illegaler Akt eingestuft. Um der Überwachung durch den kommunistischen Sicherheitsdienst zu entfliehen und die Entbehrungen der Nachkriegszeit zu überstehen, mussten wir nach Lugosch umsiedeln. Doch auch da wurde er von der Securitate verhört, eingekerkert und des Hochverrats angeklagt. Sie können sich ja vorstellen, was für eine Kindheit ich hatte.

Doch in Lugosch habe ich die deutschsprachige Grundschule und das deutschsprachige Gymnasium besucht und die ersten Schritte in meine künftige Karriere gemacht. Meine Mutter war von Beruf Modistin und beschäftigte sich mit Kleider- und Hutmachung sowie mit dem Skizzenentwerfen. Ich musste ihr als Kind immer wieder helfen, diese Skizzen zu färben, und so hat meine Mutter entdeckt, dass ich sehr begabt bin, sowohl im Zeichnen, als auch im Plastilinmodellieren. Das sollte nicht verloren gehen, dachte sich meine Mutter, und begann sich zu interessieren, wie ich diese Kunst erlernen könnte. So wurde meiner Mutter empfohlen, mich in der Volkshochschule einzuschreiben. Da war eine sehr berühmte Lehrerin, Elisabeth Popper, die in Wien studiert hatte und, nachdem die Judenverfolgung 1933 begonnen hatte, wieder nach Lugosch zurückgekommen war. Hier hatte sie ihre Ruhe. Ich wurde mit der Zeit zu ihrem Lieblingsschüler. Das ABC der Bildhauerei habe ich in Lugosch durch Frau Popper gelernt.

Dann folgte meine Ausbildung am Kunstinstitut in Klausenburg. Nach dem Abschluss, da ich eine gute Abschlussnote hatte, war ich unter den Ersten bei der Stellenzuteilung. So war es damals, zu kommunistischen Zeiten, es gab für Hochschulabsolventen Zuteilungen, d. h. die Arbeitsplätze wurden in absteigender Reihenfolge der Abschlussnote vergeben. Mir wurde angeboten, nach Galatz zu gehen, eine Wohnung und eine zusätzliche Ausbildung als Museologe zu bekommen. Ich habe das natürlich angenommen und das hat mir auch in Zukunft, in München, sehr geholfen. Heutzutage, so wie mich die Lugoscher lieben und ehren, sind auch die Galatzer sehr stolz, mich als einer der Mitbegründer des gegenwärtigen Kunstmuseums anzuerkennen.
 

Für Sie war Galatz nicht nur der Ort, wo sie einen festen Arbeitsplatz hatten und sich Ihre Wohnung befand. Sie durften hier auch Ihren eigenen Stil entwickeln. Wie sind Sie denn als Bildhauer vom Stein zum Stahl übergegangen?

In Galatz gibt es keinen Ton, man kann also nicht mit Ton modellieren, es gibt auch kein Holz und auch keinen Stein. „Was mache ich jetzt?“, dachte ich mir. Ich bin in den ersten Monaten in der Stadt spazieren gegangen. So sah ich die großartigen Strukturen der Kräne, die den Hafen bedienten und für den Schiffbau benutzt wurden. Für mich sahen diese Kräne ähnlich wie der Eiffel-Turm aus. Der Besuch des Werks war für mich ein großer Meilenstein. Es war vor allem die Monumentalität, die mich begeisterte. Ich musste mich den Ressourcen, die die Industriestadt Galatz zu bieten hatte, anpassen: Das Metallurgische Kombinat lieferte großzügig Metallplatten – so begann ich, Metallskulpturen auszuführen.

Eine andere Frage, die ich mir häufig stellte, war: Ich bin Donauschwabe, woher stammen meine Vorfahren? Sie kommen mütterlicherseits aus dem Schwarzwald und väterlicherseits aus der Gegend um Trier. Eine Urgroßmutter väterlicherseits war Hugenottin. Sie war französisch und sie hat zu Hause Französisch gesprochen. Also was ist typisch für Deutsche und Franzosen? Die gotische Kathedrale. Mich hat die Kathedrale als Form begeistert und so begann ich in Galatz, an meiner ersten Kathedrale zu arbeiten. „Septenarius“ heißt sie und steht heute noch dort, in der Stadt.
 

Durch diesen Übergang von Stein zu Stahl haben Sie sich also neu erfunden. Später widersprechen Sie auch den Meistern des Bauhaus und entwickeln eine neue Theorie für die Entsprechung der Grundformen – Kreis, Quadrat, Dreieck – und der Elementarfarben – Rot, Blau und Gelb. Wie kamen Sie dazu?

Johannes Itten hatte in seiner formalen Farblehre dem Quadrat die Farbe Rot, dem Dreieck Gelb und dem Kreis Blau zugeordnet. Ich traute mich, diesem zu widersprechen. Aufgrund physikalischer Erkenntnisse und wahrnehmungspsychologischer Erfahrungen stellte ich Ende der 80er Jahre eine neue Theorie der primären Farben und Formen auf: Die Farbe Rot kann als Träger einer kreisenden Bewegung nur im Kreis, dementsprechend Gelb als aggressive Farbe der aggressiven Form des Dreiecks und Blau als ruhige Farbe dem ausgeglichenen Quadrat zugewiesen sein. Die Kunstgeschichte hat irgendwann den Beweis angetreten, wer recht hat.

Ich gehöre heute zur konkret-geometrischen Gruppierung. Diese konkrete Kunst wurde in den 30er Jahren in der Schweiz durch Max Bill entwickelt. Doch ich habe meinen eigenen Stil gefunden und bin auch einer der wenigen Bildhauer dieser Gruppierung. Ich arbeite mit Form, Farbe und dem Raum.
 

Sie sind überall in der Welt hoch geschätzt und mehrere Nationen freuen sich, Sie als ihren Künstler zu betrachten. Wo fühlen Sie sich denn so richtig zu Hause?

Ich bin ein universeller Geist. Einfach ein Europäer. Ich stamme zwar aus Rumänien, doch ich fühle mich überall zu Hause. Ich würde gerne in Paris leben, in Amsterdam oder New York. Ich lebe gerne dort, wo ich auch mit Freude empfangen werde. Die Rumänen betrachten mich als ihren Künstler, die Deutschen, vor allem die Bayern, betrachten mich als ihren Künstler und nun betrachten mich auch die Ungarn so. Beispielsweise in Rumänien werde ich sowohl in Temeswar, als auch in Lugosch, Klausenburg und Galatz hoch geschätzt.