„Ich würde jedem Deutschen Mut machen, hier zu investieren“

ADZ-Gespräch mit Helmuth Gaber, Gründer eines Qualitäts-Weinbaus und einer Bio-Landwirtschaft in Bogeschdorf

Helmuth Gaber
Foto: George Dumitriu

Land in seinem alten Heimatdorf Bogeschdorf/Băgaciu kaufte der Siebenbürger Sachse aus Deutschland zunächst aus rein emotionellen Gründen. Der in Bremen lebende Unternehmer ist hauptberuflich Krisenmanager, saniert kommerzielle Sport- und Freizeitanlagen und leitet einen Wellnesspark. Das Weingut „Terra Regis“ in Bogeschdorf/Băgaciu, das er 2011 gegründet hatte und wo er demnächst expandieren will, aber auch die 2015 ins Leben gerufene Bio-Landwirtschaft auf 100 Hektar, sind für ihn reines Hobby. Während er in der Gründungsphase monatlich vor Ort war, führt er die Unternehmen heute aus der Ferne, drei jährliche Kurzbesuche genügen. Die Firmen sind rentabel, nur in den Ausbau muss er investieren. „Es ist gut gegangen, weil ich locker ran gegangen bin. Hätte ich einen Geschäftsplan schreiben müssen, jede Bank hätte mich für verrückt erklärt!“ resümiert er sein persönliches Abenteuer (siehe ADZ, 12.7.2018: „Der Abenteuer-Winzer von Bogeschdorf“). Über seine Erfahrungen als Unternehmer in Rumänien und das Potenzial des Landes als Wirtschaftsstandort mit Perspektive plaudert er mit Nina May.

Herr Gaber, können Sie kurz die Entwicklung ihrer Unternehmen in Bogeschdorf vorstellen?

Gerne. 2011 bis 2013 haben wir mit aus Deutschland importierter Technologie und neuesten Erkenntnissen einen Weinberg auf 18 Hektar angelegt, der jetzt eine Standzeit von 50 bis 60 Jahren haben soll, um das Potenzial dieses wunderbaren Bodens auszuschöpfen. Der Wein, Marke „Terra Regis – Wein vom Königsboden seit 1318“, wurde von Experten in Deutschland ausgebaut. Der nächste Schritt besteht nun darin, hier eine Kellerei anzulegen und auf 45 Hektar zu expandieren. Derzeit haben wir vier Weißweine, Riesling, Grauburgunder, Chardonnay und Königsast, aber auch Rotwein gedeiht hervorragend. Versuchsfelder mit Merlot, Spätburgunder, Regent und Caberbet Sauvignon zeigen sich vielversprechend. Der zweite Betrieb läuft in Zusammenarbeit mit einer Bio-Landwirtschaft in Nördlingen. Über diese konnten wir im deutschen Biokreis Mitglied werden, werden aber in Rumänien von Ceres zertifiziert und genauso streng überwacht. Derzeit bauen wir Soja, Ackerbohnen, Futtermais und Weizen an. 2015 bis 2016 wurde die gesamte Ernte in Deutschland vermarktet. 2017 konnten wir zumindest einen Teil der Sojaernte an eine Bio-Mühle in Sathmar/Satu Mare abgeben, der Löwenanteil ging nach Österreich. In der Zukunft versuchen wir, die Transportwege durch vermehrten Verkauf in Rumänien zu verkürzen. In den nächsten Jahren erlebt sicher auch in Rumänien die Bio-Landwirtschaft einen Boom.

Dank eines zuverlässigen Teams vor Ort führen Sie Ihr Unternehmen aus der Ferne – wie kommt man zu guten Leuten?

Da ich Krisenmanagement studiert und praktiziert habe, weiß ich, wie man Menschen begeistern kann, aber auch, wie man Zucht und Ordnung einführt. Durch eigene Vorbildgabe, aber auch permanentes sich Vergewissern, sich gegenseitig in die Augen schauen und offen sprechen. Es gibt kein Mysterium für beruflichen Erfolg, nur Naivität und Unausgesprochenes, falsche Signale und Erwartungen. Enttäuschungen aber sind der Anfang vom Ende. Man muss ein Feeling für die eigene Macht und Ohnmacht haben und Fähigkeiten anderer zum richtigen Zeitpunkt würdigen. Wenn man diese Balance hinbekommt, funktioniert es. Wir sind super glücklich, dass es bei uns klappt, wir haben keine der so oft gehörten Probleme in Rumänien gehabt. Ich würde jedem Deutschen Mut machen, hier zu investieren. Aber ich würde ihn ermahnen, sich an das zu halten, was erst den Erfolg bringt: Selbst vorleben und vorgeben, was man sich vom anderen wünscht.

Es gibt aber auch Unternehmer, die in Rumänien mit Landwirtschaft angefangen haben und klagen. Ein Zitat, an das ich mich erinnere: „Die Leute fühlen sich nicht gut, wenn sie nicht wenigstens einen Liter Diesel stehlen.“

Das ist eine Ungerechtigkeit, diese Unterstellung. Wir alle wissen, dass Deutschland und Österreich in den Nachkriegsjahren auch die Hochintelligenz als Diebe erlebt hat, aus der Not heraus. In den kalten Wintern 1946/47 hat man in Wien oder Hamburg auch als Arzt oder Rechtsanwalt stehlen müssen, um zu überleben. Diesen Wesenszug haben wir alle ganz schnell verdrängt. Und unterstellen jetzt Populationen, die durch politische, gesellschaftliche oder ökonomische Umstände nicht ganz so wohlbedacht sind, dass alle stehlen. Es stiehlt nicht jeder! Aber wenn wir als Deutsche nach Rumänien kommen und die Menschen von oben herab behandeln, besser wissend, unterdrückend, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn eine Gegenreaktion entsteht. Das kennen wir aus der Chemie: Wo hohe und niedrige Konzentrationen benachbart sind, diffundiert durch jede Membran etwas durch. In Rumänien passiert nichts anderes. Wir müssen nur ehrliche Geschäftsleute sein, erhobenen Hauptes unsere Fehler eingestehen, Respekt haben und Besonderheiten respektieren. Niemand aus Österreich darf Rumänen zu Österreichern machen wollen. Man muss die Stärken und Schwächen der Rumänen erkennen und sich anpassen.

Man sollte also die Mentalität der Rumänen kennen?

Man muss sie kennen - weil man dazu neigt, sie zu unterschätzen. Im ersten Anmuten zeigen sie eine offene und herzberührende Freundlichkeit, aber sie sind nicht dumm. Und Freundlichkeit bedeutet nicht, alles hinnehmen zu können, sondern nur, dass man bereit ist für Offenheit und Neues. Das ist kein Versprechen, aber das wird oft missgedeutet. Ich sehe bei vielen, die etwas heller und größer sind, dass sie glauben, die nordische Kompetenz könnte eine Südostkompetenz übertreffen. Das ist nicht der Fall - und da wird viel Porzellan zertrümmert. Das ruft Gegenreaktionen hervor, wo der sogenannte kleine Mann sich rächt, weil der große ihn getreten hat, wo er nicht hätte treten dürfen. Ehrlich und fair sein – dann ist Rumänien ein Eldorado für Unternehmer.

Haben Sie gar keine Negativerfahrung gemacht?

Ich mache dauernd Negativerfahrungen - in Deutschland und in Rumänien. Dadurch weiß ich, dass ich persönlich noch den Ehrgeiz habe, etwas verändern zu wollen. Das Bestreben im Geschäftsleben ist ja immer, etwas besser zu machen. Entwicklung und Fortschritt entstehen, wenn man sieht,  was man - oder ein anderer - noch nicht gut genug gemacht hat. Das ist der Kapitalismus: der möchte, dass die Wertschöpfung immer weiter nach oben geht, höhere Prozentsätze, noch mehr Erfolg. Das habe ich mir bewahrt. Ich bin nie zufrieden, obwohl ich innerlich sehr zufrieden bin ...

Wer vertritt Sie hier vor Ort und wie?

Harald Sălceanu, er hat Getränke- und Lebensmitteltechnik in Hermannstadt/Sibiu studiert und zwei Auslandssemester an der TU Weihenstephan, München, absolviert. Er ist ein wissensdurstiger junger Mann, eignet sich Dinge an, arbeitet mit der Industrie zusammen, die hier Fachkurse für Betriebsleiter anbietet. Er liest im Internet, ist ein Tüftler und ein Mensch, der sich der Leidenschaft, ein guter Chef oder Administrator der Firma zu sein, verschrieben hat. Aber er ist ein mitarbeitender Chef! Er zieht den Blaumann an und fährt den Traktor selber, wie es in Deutschland der Fall ist, wo Betriebsleiter in großen Betrieben Hand anlegen wollen und müssen. Das führt er vor und ist damit ein Beispiel. Und wenn der Chef den Traktor fährt, dann weiß auch der Rumäne, dass er ihm nichts zu erzählen braucht, von wegen Dieselverbrauch und so. Das Problem hat Harald nicht!

Wer hilft Ihnen bei Entscheidungen?

Was Investition und Geschäftsentwicklung betrifft, sind meine Frau und meine Söhne stark involviert, sie sind meine besten Sparring-Partner. Ansonsten hab ich in Deutschland ein Netzwerk an Beratern, pensionierte ältere Herren aus verschiedenen Fachbereichen, die ich anrufen und Fragen stellen kann. Die haben noch Kontakte zur Landwirtschaft oder in die Forschung. Manchmal fragt mich Harald, „Mensch, verstehst du überhaupt die Problematik?“ oder schickt mir ein Foto. Oft verbinde ich dann jemanden aus diesem Kreis mit ihm direkt. Nach zwei bis drei Telefonaten haben wir das Problem meist eingekreist. Wir sind sehr kommunikativ und haben viele Freunde, die uns helfen wollen.

Betrachten Sie Ihre Unternehmen bereits als Erfolg oder noch als Experiment?

Wenn wir die Firmen heute verkaufen wollten, würden wir durch Wertsteigerung einen ordentlichen Erfolg verbuchen können. Die Firmen tragen sich selbst, ich investiere nur in die Expansion, wozu mich niemand zwingt, bin aber bereit, mehr Lust und Abenteuer reinzustecken. Der nächste große Sprung: Wir verhandeln derzeit mit potenziellen Investoren aus Deutschland oder Rumänien, die wir mit ins Boot nehmen wollen. Als Mitgesellschafter, um die Zukunft auf stabilerer Basis zu gestalten, mehr Knowhow und Märkte zu erschließen. Gerne können Sie den Hinweis bringen, dass wir einen – lieber aktiven als stillen – Investor im Bereich Qualitätsweinbau oder Bio-Landwirtschaft kennenlernen wollen.

Gibt es von Ihrer Seite her auch Bemühungen, einen Wissenstransfer nach Rumänien durchzuführen? Zum Beispiel zum Thema Umstellung auf Bio-Landwirtschaft?

Das machen wir permanent. Sie sehen, dass wir keine Tore haben. Wir schließen uns nicht ein und jeder darf gucken, wie wir das machen. Harald ist ein kommunikativer Ingenieur, in der Lage und bereit, sich auszutauschen. Wir möchten jeden, der uns fragt, mit dem Nicht-Geheimnis vertraut machen, dass es einfach ist, Bio-Landwirtschaft zu betreiben. Aber man muss erkennen, dass man ohne zu spritzen eben hacken muss. Wir zeigen die Gerätschaften, die man braucht. Aber das ist auch alles im Internet zugänglich. Es gibt keine Mysterien, schon gar nicht in der Bio-Landwirtschaft.

Wie bilden Sie ihre Leute aus?

Harald macht Kurse für unsere Mitarbeiter, die nicht alle eine Fachausbildung in Land- oder Weinwirtschaft haben.

Sie haben eine Roma aus dem Dorf eingestellt, die Jura studiert hat. Wie hat sie sich entwickelt?

Sie hat zehn Jahre für uns als Juristin gearbeitet, hat alle Jobs, die anfielen, gut zu Ende gebracht: Erbfolgeprobleme der aufgekauften Grundstücke klären, Besitzverhältnisse  legalisieren, an manchen Fällen hatte sie drei, vier Jahre zu tun, wenn Familienmitglieder sich uneinig waren oder im Ausland aufgefunden werden mussten. Nun sind wir eine der wenigen Firmen, die alles korrekt im Grundbuch eingetragen hat. Sie hat die deutschen Tugenden und die deutsche Sprache bei uns erlernt und auch anderes Wissen aufgenommen, auch unsere Philosophie, die wir sehr offen kommuniziert haben. Jetzt hat sie uns verlassen, denn mit Mitte 30 denkt sie an Familienplanung, auf die sie all die Jahre davor bewusst verzichtet hat. Sie geht jetzt nach Deutschland, wo ihre Geschwister leben. Darauf ist sie bestens vorbereitet.

Damit sind wir beim Thema Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Wie kann man verhindern, dass das Land ausblutet?

Im Augenblick sehen wir Rumänien ausbluten, weil Zehntausende in die Märkte der EU auswandern, um Karriere zu machen und festes Geld zu verdienen. Aber ich glaube, es wird eine Rückentwicklung geben. Heimat und Familie ist für viele das höchste Gut, ein Glück, das im Leben dazugehört. Ich bin felsenfest überzeugt, dass im Zuge der Weiterentwicklung Südosteuropas - der Balkanstaaten, die noch in die EU integriert werden und der Türkei, wenn die politischen Verwirrungen und das Kapitel Erdogan abgeschlossen sind – die Bedeutung Rumäniens wegen seiner zentralen Lage zunehmen wird. Dann können die Top-Ausgebildeten in die Heimat zurückkehren. Ich glaube, bis 2030 wird eine starke Rückwanderung einsetzen, weil die politischen und ökonomischen Verhältnisse sich so sehr wandeln, wie heute kaum vorstellbar. Wir wissen, dass die gesamte Agrarproduktion aus Südspanien, Portugal und Griechenland sich zum Schwarzen Meer verlagern wird, die  angrenzenden Staaten werden eine bedeutende Rolle in der Gemüse- und Fruchtproduktion bekommen. Dann liegt Rumänien mitten drin und die gut ausgebildeten Top-Leute kommen zurück und richten sich hier ein. Dann wird auch ein Mentalitätswandel stattfinden und sich politisch einiges verändern.

Was sollte man in Rumänien bewahren, damit nicht die Fehler anderer Länder wiederholt werden?

Die Rumänen sollten sich weniger schämen, zu sein, wie sie sind. Nicht zu schnell verwestlichen – diese naive Freundlichkeit, die Freude am Leben und Leidensfähigkeit, das ist liebenswert und außergewöhnlich. Als Land ist Rumänien noch lange nicht so verhunzt und industrialisiert, diese Natürlichkeit sollte bewahrt werden, dann hat Rumänien auch als Tourismusland gute Chancen. Dies zu transportieren ist schwierig, ich weiß, hier will man „Disneyland und Las Vegas“. Aber das ist, wovor Deutsche, Österreicher und Schweizer fliehen, weil dort alles so ist!

Wie kann man das vermitteln?
Darüber reden und vorleben!

Vielen Dank für das interessante Gespräch.