Im „Alten Hof“

Zu Gast bei einem hessischen Bio-Bauern

Das Aushängeschild des Kinderhotels im Internet

Mitten in Hessen, gleich neben Nidda, der Ort heißt Wallernhausen, liegt ein Bio-Bauernhof. An und für sich nichts Besonderes, denn in Hessen gibt es Bio-Bauern noch und noch, sie sind in zwei Verbänden organisiert – der eine heißt „Demeter“, der andere „Bioland“. Der Hausherr, genannt Wolfgang, hat den Hof von seinen Eltern geerbt. Das Besondere für mich ist, dass die Hausfrau, genannt Uli, in Temeswar/Timişoara geboren wurde und sowohl banatschwäbische als auch siebenbürgisch-sächsische Wurzeln hat, denn ihr Vater stammt aus Tschakowa/Ciacova, ihre Mutter aus Tekendorf/Teaca. Dazu kommt, dass eine Melkerin, die auf dem Hof arbeitet, genannt Antonina, im Kreis Bacău aufgewachsen ist. Sie wohnt hier mit Mann und Kind.

Der „Alte Hof“ nimmt an der hessenweiten Initiative „Der Bauernhof als Klassenzimmer“ teil, ein Angebot für Schulen, Kindergärten und Kindertagesstätten, um durch Besuche auf Bauernhöfen zu erfahren, wie Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben angebaut und Tiere gehalten werden. Im Laufe eines Jahres logieren hier wochentags oder am Wochenende nach und nach bis zu 1600 Kinder. Wenn es sich trifft, machen sie bei der Kartoffelernte oder bei der Apfelernte mit. Mein Enkel war bereits zweimal da, es hat ihm gut gefallen, die Tiere hatten es ihm angetan, und so war der Wunsch entstanden, seine Bekannten in den Herbstferien abermals zu besuchen. Aber nicht nur Gäste, auch Helfer sind willkommen. Nach unserer Ankunft war noch keine halbe Stunde vergangen, da hielt ich schon eine Mistgabel in der Hand, um den Ziegenstall auszumisten.

Der Name „Alter Hof“ geht zurück ins 13. Jahrhundert, als hier ein Hof des Johanniterordens stand.

Als Herzstück des Anwesens gilt die Rinderherde mit gegenwärtig mehr als vierzig Milchkühen. Die anderen Tiere – Ziegen, Kaninchen, Gänse und Hühner – werden den kleinen Gästen zuliebe gehalten, damit es bunter sei. Ein Hund und Katzen sind natürlich auch da. Ponys zum Reiten hält ein Nachbar bereit.

Auf dem Ackerland – 58 Hektar – werden vornehmlich Verkaufsfrüchte angebaut. Der Hausherr versteht sich als Pionier der „solidarischen Landwirtschaft“. Diesem Begriff liegen einerseits der gesicherte Absatz, andererseits die gesicherte Versorgung zugrunde. Die Mitglieder seines Vereins verpflichten sich, wöchentlich so und so viel Gemüse abzuholen: Möhren, Endivien, Kürbis, Paprika, Petersilie usw., das liegt am Stichtag in Körben bereit, sie wiegen es selbst ab. Umgekehrt kommen die Eier, die die Hofbewohner brauchen, aus Ortenberg.

Eine Überschwemmung


Wallerndorf liegt unterhalb eines erloschenen Vulkans. Alle alten Häuser stehen auf einem Sockel aus Bruchsteinen, darüber Wände aus Fachwerk. Man zählt mehr als tausend Einwohner. Die Familien heißen Bach, Fischer, Schieferdecker und Westerwäller (d. h. aus dem Westerwald) oder, in einigen Fällen, Luft.

Der Dorfladen mit Frühstücks-Bistro befindet sich im „Dorftreff Neue Mitte“, der aus einer Initiative der Diakonie Hessen hervorging. Dem Laden gegenüber markiert ein kleines Täfelchen, wie hoch das Wasser bei der Überschwemmung vom 13. Juli 2014 gestiegen ist. Damals hatte sich der unscheinbare Dorfbach nach einem zwanzigminütigen Wolkenbruch in einen reißenden Fluss verwandelt, der durch die Hauptstraße schoss. Wege und Häuser wurden stark beschädigt, worauf dem Ort nichts anderes übrigblieb, als Finanzhilfe beim Land Hessen zu beantragen. Übrigens ist es nicht lange her, dass der Deutsche Katastrophenschutz bekanntgegeben hat, mehr als 60 Prozent der Dörfer und Städte seien auf die möglichen Unwetter im Kontext der Klimaerwärmung nicht vorbereitet.

Am dritten Tag frühstücken wir im Dorfladen. In einer Ecke, am „Stammtisch“, setzen sich Ansässige zusammen; ihre Unterhaltung dringt bis zu uns herüber. Worüber sie sprechen? Nicht über die schwierige Regierungsbildung nach der jüngsten Bundestagswahl – nicht über die Benachteiligung der Frauen – nicht über die Rentenprobleme – nicht über den Mangel an Lehrern – nicht über den Mangel an Pflegekräften – nicht über … nein, sie sprechen über die Flüchtlinge. Eine Frau meint, die Flüchtlinge würden bei der Wohnungssuche amtlicherseits begünstigt.

Was tun ohne Bienen?

Auf einem Bauernhof nimmt die Arbeit kein Ende, beim Bio-Bauern ist das nicht anders. Wolfgang Koch arbeitet vom Morgen bis zum Abend, manchmal ackert er nachts, und Urlaub kann sich der Chef nicht gönnen, da sein Auge und seine Hand unentbehrlich sind. Aber zwischendurch steht er für einen Schwatz zur Verfügung. Wir haben ihn beim Lotsen der Kühe zur Weide begleitet und halten gerade am Rande eines Ackers, während er das niedergetrampelte Leitband richtet.

„Dort, sehen Sie?“ Wolfgang kann den Einsatz von schweren Maschinen nicht billigen, weil sie das Erdreich über Gebühr zusammenpressen. Dann schimpft er über die Unkrautvernichter mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat. „Die Herbizide haben überraschende Nebenwirkungen, und das über Jahre. Inzwischen sind Bauern, die Chemikalien einsetzen, selbst an den Folgen irre geworden, das habe ich wiederholt bemerkt.“

Am selben Tag gaben Rundfunk und Fernsehen das Ergebnis einer Langzeitstudie über Insekten bekannt: Im Laufe von dreißig Jahren hat die Masse der Insekten um mehr als 75 Prozent abgenommen. Ein alarmierender Befund, weil zwei Drittel der hundert wichtigsten Nutzpflanzen von Bienen, Schmetterlingen und Schwebfliegen bestäubt werden. Als abschreckendes Beispiel wurde China genannt, wo man die Obstbäume seit der Vernichtung der Bienen durch Insektizide von Hand bestäuben muss. Die Ursache für den Insektenschwund ist nicht geklärt – sowohl der Klimawandel als auch Monokulturen, die Luftverschmutzung und eben die Chemikalien kommen in Frage. Man müsse noch forschen, heißt es. Die Zeit drängt.