Im Fokus: Siebenbürgen

Journalistenschule auf Recherchereise in Hermannstadt und Umgebung

Schüler und Dozenten von der Reutlinger Reportageschule im Gespräch mit siebenbürgischen Journalisten in Hermannstadt
Foto: Stefan Junger

In Reutlingen, Baden-Württemberg, läuft die Arbeit an einem Siebenbürgen-Magazin auf Hochtouren. Die Autoren sind elf Schüler der Zeitenspiegel-Reportageschule „Günter Dahl“ (www.reportageschule.de), einer privaten Einrichtung, der es in nur sieben Jahren seit der Gründung gelungen ist, einen Platz unter den wichtigen deutschen Journalistenschulen einzunehmen.

Die Reutlinger Reportageschule beruht auf einer gemeinsamen Initiative der Agentur Zeitenspiegel und der Volkshochschule Reutlingen und bildet jährlich zwölf Journalisten aus. Das Spezifikum dabei ist der Fokus auf die Praxis – die meisten Dozenten sind Journalisten, nicht Medienwissenschaftler, und bei der Bewerbung wird (nicht nur) journalistische Erfahrung vorausgesetzt. „Die Bewerber sollten bereits einen Abschluss oder einen Beruf haben und die Grundlagen des Journalismus mitbringen. Darauf können wir dann die Königsform, die Reportage, aufbauen“, sagt Erdmann Wingert, Textchef der Agentur Zeitenspiegel und Dozent in Reutlingen.

Die Schule wird wie eine Redaktion geführt, es gibt keine Altersgrenze, der Unterricht verläuft nach wöchentlichen Themenblöcken. Im Rahmen der zwölfmonatigen Ausbildung wird intensiv an der Vertiefung der journalistischen Formen und an der Verbesserung des Stils gearbeitet, es werden Praktika in Redaktionen abgeschlossen, hinzu kommt viel kreatives Schreiben und zum Abschluss die Produktion des monothematischen Reportagemagazins „GO“. In der Regel geht die Arbeit bis in den Abend oder ins Wochenende hinein. „Es ist ein Stressberuf, aber zugleich auch der schönste auf der Welt“, sagt Philipp Maußhardt, der die Journalistenschule mitgegründet hat und zurzeit die pädagogische Leitung innehat. Seine Ansicht scheinen viele Absolventen der Reportageschule zu teilen, denn beruflich kommen sie gut zurecht: Viele haben Journalistenpreise erhalten, manche arbeiten für Publikationen mit Renommee wie „Spiegel“, „Die Zeit“ oder „Süddeutsche Zeitung“. 

Eine Recherchereise ins Ausland ist ein Muss für jeden Jahrgang, denn „so lernen die Schüler, wie man in einer Gegend, die man nicht kennt, Geschichten findet, wie man mit Dolmetschern arbeitet, wie man daraus ein spannendes Magazin macht“, sagen die zwei Dozenten. In den vergangenen Jahren ging es nach Italien oder in die Grenzregion Polen-Tschechien-Deutschland, heuer im März kam die siebte Schülergeneration nach Siebenbürgen. Erdmann Wingert und Philipp Maußhardt sowie Stefan Junger vom Schulmanagement waren auch dabei. Maußhardt kennt Rumänien schon seit 1990: „Siebenbürgen ist ein ideales Übungsfeld, weil es hier für uns noch viel zu entdecken gibt. Auch für die Leser in Deutschland ist Siebenbürgen immer noch sehr neu. Ich merke, dass gerade bei der jüngeren Generation nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder weiß, wo Hermannstadt liegt, auch wenn es eine große europäische Stadt ist. Sicher, wenn man Hermannstadt entdeckt, kennt man noch lange nicht ganz Rumänien. Aber wir haben versucht, ein bisschen Stadt und ein bisschen Land ins Programm einzubauen. Zudem haben wir uns vorgenommen, flexibel zu bleiben und die ‘Siebenbürgen-Klassiker’ wie Dracula kritisch zu sehen.“

Die meisten Schüler hatten sich schon lang vor der Reise ihre Themen ausgesucht: sächsische Institutionen und deutsche Investoren in Hermannstadt/Sibiu, die Landflucht aus dem Harbachtal, das Bärenreservat „Libearty“ in Zărneşti bei Kronstadt/Braşov, Siebenbürgen als „Heimat der Rakete“, Roma- oder Ungarndörfer, Umweltprobleme in Kleinkopisch/Copşa Mică, Porträts aus sächsischen Gemeinden und aus der Hermannstädter Kommunalpolitik usw. Bei der Verarbeitung ihrer Themen üben sich die Schüler auch durch die Schwierigkeiten des Berufs hindurch: „Journalismus hat viel mit Allgemeinwissen, mit Neugier und mit einer geübten Spürnase zu tun. Man muss ‘riechen’ können, wo eine Geschichte liegt“, sagt Philipp Maußhardt. „Dabei sind die stillen Themen manchmal die Schwierigen“, fügt Erdmann Wingert hinzu. „Wenn man im Schützengraben liegt und die Granaten fliegen einem um den Kopf, ist es schwer erlebt und leicht geschrieben. Aber wenn man eine alte Frau besucht, die aus ihrem Leben erzählt, muss man sich richtig einfühlen und es im Originalton herüberbringen, ohne sentimental zu werden. Mühsam ist zudem die Arbeit am Stil, an der Sprache, denn in der Reportage wird der Stoff sehr unter die Lupe genommen.“ Ob es etwas gibt, was man im Journalismus nicht lernen kann? „Ja, Schreibtalent. Man hat es, oder man hat es nicht“, sind sich die Dozenten einig. „Natürlich kann man Techniken kalt dazulernen, und nicht jeder, der Talent hat, kann damit umgehen. Aber der Leser merkt sofort, wer sich ausdrücken kann und an der Sprache Spaß hat. Der Prozess des Schreibens ist sehr individuell und bleibt oft auch für erfahrene Journalisten ein Prüfstein.“

Die Geschichten aus Siebenbürgen erscheinen in Wort und Bild im Mai unter www.reporterreisen.com. Das „Endprodukt“ – das wir in der ADZ vorstellen werden – ist dabei keine „Prüfung“ für die Schüler, wie Philipp Maußhardt erklärt: „Im Journalismus bringen Zeugnisse nicht viel. Was zählt, sind die Texte.“