Im Straflager zweieinhalb Jahre lang kein Hemd

Erinnerungen an das Ende der Deportation in die ehemalige Sowjetunion im Dezember 1949

Hans Probst, Jahrgang 1927, stammt aus der Gemeinde Jahrmarkt/Giarmata im Banat. Wie zig Tausende andere Deutsche aus Rumänien und weiteren osteuropäischen Ländern wurde er 1945 in die ehemalige Sowjetunion deportiert und verbrachte da fünf Jahre mit schwerer Zwangsarbeit. Über diese Zeit hat er seine Erinnerungen verfasst, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Heute lebt Hans Probst in Crailsheim.

Sonst ging es im Arbeitslager auch Anfang 1949 wie gewöhnlich weiter. Wir haben wie immer in der Steingrube gearbeitet. Manchmal mussten wir Aushilfe leisten. So mussten wir helfen, die sehr schweren Betonträger zu verladen. Dort haben viele Kriegsgefangene gearbeitet. Wir kamen im Bauhof mit unseren eigenen Posten an, stets streng bewacht. Wir mussten warten, bis der Natschalnik, der Chef des Bauhofs, uns übernommen hatte. Es hieß: „Hier sind die Kriegsgefangenen.“ Da steht einer mit einer Brechstange in der Hand auf, ein großer starker Mann. Ich traute mich nicht zu fragen, ob er derjenige sei, an den ich dachte. Darum habe ich die Melodie von Jahrmarkt gepfiffen, die alle Jahrmarkter gekannt haben.

Das war „Frühpersch“ oder auch zu singen …. Sofort kam der Mann mit der Brechstange in der Hand auf die Kolonne zu. Da habe ich noch einmal gepfiffen. Und schon hat der Posten mir eins mit dem Gewehrkolben übergezogen. Darauf hat der Mann mit der Brechstange zu dem Posten gesagt, er soll nicht mehr schlagen, sonst schlägt er ihm die Brechstange auf den Kopf. Wir schauten uns an und er sagte: „Du bist vun Johrmark.“ Darauf sagte ich: „Ich bin der Probst Hans aus der Hinnerreih“. Zu der Zeit hatte ich schon meinen richtigen Namen Probst Hans.

„Und wer bist du?“, fragte ich. Er darauf: „Ich bin der Eckert Franz. Ich bin im Kriegsgefangenenlager Saparoschie, Bezirk 6.“ Es gab aber gleich Schwierigkeiten mit den Wachposten. Diese kamen mit ihm so in Streit, dass Franz seinen Natschalnik, seinen Chef, rufen ließ. Dieser war auch Direktor der Baustelle. Da hat Franz ihm erklärt, dass sein Verwandter in der Strafkolonne sei und die Posten ihn schlagen würden, wenn er mit ihm reden wolle. Darauf befahl der Direktor den Posten, dass sie mich nicht schlagen dürften. Zudem hat der Direktor mit meinem Lagerkommandanten gesprochen. Dann war es für mich besser. Das war ein Erlebnis für uns beide, der 15. April 1949.

Der Franz Eckert war Brigadeleiter von vielen Gefangenen, er war ein sehr angesehener Baufachmann und hatte ein wichtiges Wort bei seinem Direktor. Zu Hause haben Franz und ich oft von dem Erlebnis in dem Bauhof Saparoschie gesprochen. Es kam das Ende des Straflagers Nr. 1086, Bezirk 6, weil nur noch wenige Leute geblieben waren. Im Mai 1949 wurde das Lager aufgelöst und wir wurden ins Lager Nr. 1087 überführt. Dort waren viele aus Jahrmarkt. Einer meiner besten Kameraden und Nachbar, Stefan Nikolaus, de Greife Niklos aus der Hinnerreih, war auch dabei. Niklos hat mir viel geholfen, denn ich war ja Sträfling und hatte nicht einmal ein Hemd oder eine Unterhose. Da hat der Niklos mir so viel geholfen, wie möglich war. Im Straflager hatte ich zweieinhalb Jahre kein Hemd und keine Unterhose, nur einen Watte-Anzug, d. h. eine Dock-Hose und „Pufaika“-Jacke, sonst nichts. Es war eine ganz schlimme Zeit. Das kann man nicht alles beschreiben, das hält das Papier nicht aus, was da alles war.

Im Lager Nr. 1087 wurden wir wieder zur Arbeit eingeteilt. Ich war eine Zeit im Sägewerk, danach im Aluminiumwerk bis zum Ende der Zwangsarbeit. Am 30. November 1949 war der letzte Arbeitstag. Dann war Schluss mit der Arbeit, es gab Vorbereitungen für den Rücktransport am 6. Dezember. Am 23. Dezember wurden wir an der sowjetisch-rumänischen Grenze der rumänischen Polizei übergeben. Das war die Aufnahmestelle Sighet (Sighetul Marmaţiei, im Nordwesten Rumäniens). Dann kam eine Überraschung: Auf einmal fingen die Glocken an zu läuten, zum ersten Mal nach fünf Jahren. Wir weinten vor Freude. Am 26. Dezember sind wir in Temeswar angekommen. Noch am selben Tag gelangten wir mit dem Zug nach Jahrmarkt. Das war eine große Freude: nach fünf Jahren den Vater, die Mutter und den Bruder wieder in die Arme schließen zu können. Unvergesslich! Ich hätte gerne noch ein Bild machen lassen, wie ich ausgesehen habe nach Monaten nicht gewaschen, nicht rasiert und keine Haare geschnitten, verdreckt und verlaust bis zum Geht-nicht-mehr.