Im Winter Kopf, im Sommer Herz

Wenn das Hobby zum Beruf wird: Der Schweizer Stephan Büchi bietet ungewöhnliche Rumänienreisen

Stephan Büchi (www.rumaenienreisen.ch): Führung durch Konstanza

Bei den Schlammvulkanen von Berca.

Donaudelta: Auf der Suche nach Vögeln begegnet man auch mal – Kühen!
Fotos: privat

„Ich hab Rumänien nicht gesucht – Rumänien hat mich gefunden!“ lächelt Stephan Büchi. Seit 1992 kennt der studierte Sozialarbeiter das Land wie seine Westentasche. Seit 2010 lebt er den Sommer über ganz in Bukarest. Und frönt seinem Hobby, nein, seinem Beruf – oder vielleicht doch eher Hobby? Reisen organisieren! Ob mit über 80-jährigen Frauen in der Moldau von Kloster zu Kloster wandern, mit Ornithologen durchs Schilfdickicht des Donaudeltas zu streifen, mit deutschen Metzgern in den Schlachthof oder mit einem Journalisten, der Zigeunerfotos schießen will, die Müllkippe von Schäßburg/Sighișoara unsicher zu machen und dann auch noch den Pizzaservice dort hin zu bestellen - nichts ist dem Schweizer zu verrückt. „Ich habe hier eine Sehnsucht befriedigt bekommen, die ich von zuhause mitgebracht habe“, schwärmt er und fügt erklärend an: „In der Schweiz plant man heute für morgen und morgen für übermorgen, aber leben tut man nie. Der Rumäne - der lebt heute.“

Auch Stephan Büchi lebt - vor allem im Sommer. Im Winter finanziert er sich seinen Lebensstil durch geregelte Arbeit in der Schweiz. Als Sozialarbeiter springt er ein, wo gerade jemand gebraucht wird, wo durch Krisen, Kündigung oder Burnout eine Lücke entstanden ist. Dann mietet er sich ein kleines Apartment in unmittelbarer Nähe des Jobs. Und seine Eigentumswohnung, seine Dinge, sein Lebensschwerpunkt warten in Bukarest. „In Rumänien sind die Sommer länger“ sinniert der Schweizer und meint damit nicht nur das Wetter. Es ist eine andere Intensität, ein anderes Lebensgefühl.

Nichts ist unmöglich

Diese Sehnsucht - dieses „dor“ - sagt Stephan Büchi, der inzwischen gut Rumänisch gelernt hat, kennen viele aus dem Westen. Sein Einmann-Reisebüro „ohne Büro und ohne Fixkosten“ stößt genau in diese Nische. Etwa 90 Prozent Schweizer und zehn Prozent Deutsche zählt er zu seinem Kundenkreis - eher solche, die sonst Individualreisen unternehmen. Doch mangelnde Sprachkenntnisse oder auch Ängste und Vorurteile schrecken einige von einer selbst geplanten Reise ab. Für sie verkörpert Büchi Sicherheit und heimatliche Vertrautheit. „Die Leute, die mit mir fahren, sind sehr gut führbar“, sollte er bald erkennen. Mittlerweile gibt es aber auch viele Selbstfahrer, für die er nur den Reiseplan und die Buchungen nach individuellem Wunschprofil vornimmt und am Telefon für Unvorhersehbares erreichbar ist. Immerhin 13 Reisen organisierte er allein diesen Sommer. „Es ist schön, wenn der Beruf Hobby ist – ich habe keinen Plan, zu wachsen“, meint Büchi. Sein Angebot beschränkt sich auf Rumänien, doch sonst kennt er keine Grenzen. Verrückte Wünsche fordern ihn geradezu heraus. Dank eines umfassenden Netzwerks aus Freunden und nützlichen Kontakten im ganzen Land, angesammelt in 26 Jahren, lassen sie sich meist problemlos realisieren. Troubleshooting inbegriffen: Kopfschüttelnd erzählt er von einer Reisegruppe, in der sich fünf Leute nacheinander verletzten, vom Sturz aus dem Bus mit aufgeschlagenem Gesicht bis zum Armbruch in der Kirche des Patriarchen. Was tun, wenn man mit der Gruppe alleine ist und jemand ins Krankenhaus muss? Oder, wenn bei einer parallel laufenden privaten Reise ein tödlicher Unfall passiert, die Tochter eingeflogen und vom Flughafen abgeholt werden muss, Behördengänge und Formalitäten anstehen? Auch dies hat Stephan Büchi schon erlebt. Dann greift er auf Freunde vor Ort oder zuverlässige Fahrer zurück, die man auch mal alleine mit der Gruppe losschicken kann.

Zur Vorbereitung jeder Reise führt er stets ein ausführliches telefonisches  Kundengespräch. Macht Vorschläge, die Landkarte vor der Nase, erzählt, geht auf Sonderwünsche ein: Der Besuch einer Angus-Rinderfarm mit deutschen Landwirten, einer Feuerwehrübung beiwohnen, mit den Kindern eines Behindertenheims zu Mittag essen oder eine Fahrt mit dem Büffelwagen? Alles kein Problem. Gelegentlich wagt er sich auf Neuland: „Auf den Spuren der Zigeuner“ hieß eine seiner Touren, verrät er und meint, das sei auch ein wenig egoistisch gewesen. Das Thema interessiere ihn, nicht zuletzt wegen der ständigen Konfrontation in Europa: „Alle 40 Meter ein Becher – das nervt!“ Aber natürlich sind nicht alle Bettler. Ihn reizt es, das Positive zu entdecken, das Faszinierende zu erfassen, aber auch, Probleme besser zu verstehen. Nicht alle Ideen kann man Touristen zumuten, erkennt er. Vieles hängt vom persönlichen Maß an Abenteuerbereitschaft ab.

Spannendes Nischenthema: Minderheiten

Die meisten Menschen wissen erstaunlich wenig über Rumänien, muss Stephan Büchi bald erkennen. Erstaunt stellt er fest, dass es im Ausland kaum einen „Vorzeige-Rumänen“ gibt. „Nadia Comăneci oder Hagi kennen die meisten nicht mehr, selbst Ceaușescu ist schon in den Hintergrund gerückt. Von Johannis haben manche zwar gehört. Doch der einzige berühmte Rumäne, den alle kennen, ist Dracula!“ Gerne vermittelt er Wissen, auch zu speziellen Themen, etwa den Minderheiten in Rumänien. „Doch das ist eher etwas für Leute, die das zweite, dritte Mal reisen.“ Als er das ProEtnica Festival in Schäßburg entdeckte, rückte er es für vier Tage in den Mittelpunkt einer Kulturreise durch Siebenbürgen. „Die Leute waren begeistert! Ich hatte die Unterkunft im Haus mit dem Hirschgeweih gebucht, alle Zimmer mit Blick auf die Bühne. Es war fast ein bisschen zu intensiv ... und es ist halt auch laut bis spät“, fügt er an. „Trotzdem: ProEtnica als Anlass find ich etwas so Geniales! Jede Minderheit, die dort auftritt, wäre eine Reise wert.“ Die meisten Touristen wollten zwar einfach nur die Musik genießen. Doch Interesse keimte bei jenen auf, die die Minderheiten schon vor Ort erlebt haben: die Lipowaner und die Ukrainer im Donaudelta, die Sachsen in Siebenbürgen. „Bei allen Donaudeltareisen, auch der ornithologischen, ist das Thema drin“, erklärt Büchi. „Da kommt der Chor von Mila 23. Ich erzähl den Gästen viel, dann stellen sie auch Fragen. In Sibiu empfehle ich immer die Stadtführungen über Casa Luxemburg, da haben die Leute nach zwei Stunden eine gute Basis an Geschichte und Kultur - der Rest kommt auf der Reise hinzu.“

Auch die östlichen Völker, die Türken und Tataren, fände er als Reiseziele spannend. Und noch viel zu wenig ausgeschöpft. Als er einmal mit Touristen durch Babadag fuhr, besuchten sie spontan die Moschee und das Mausoleum von Sari Saltuk Dede, das gerade zufällig aufgeschlossen wurde. Ein Kurde aus der Schweizer Reisegruppe bemerkte ehrfürchtig, dieser sei im Islam ein ganz bedeutender Heiliger!

Fragiles Gleichgewicht

In Siebenbürgen gehört Deutsch-Weißkirch/Viscri zu Büchis bevorzugten Stationen. Denn was Schweizer Touristen am meisten lieben ist Dorfromantik im Alltag: Pferdewagen, gutes Essen, authentische ländliche Pensionen, Naturgenuss. Und nicht zu viele Spektakel! Manche Leute blieben   sogar mehrere Tage, malten, wanderten, besuchten die Ziegelwerkstatt, den Schmied oder Sara Dootz in der Kirchenburg, die ihnen von den Sachsen erzählte. „Auch die Haferlandwoche fände ich genial“, meint der Schweizer, „doch die meisten Touristen wollen nicht nur in ein einziges Gebiet, deshalb habe ich sie noch nicht ins Programm aufgenommen.“ Die touristische Infrastruktur in Siebenbürgen sei gut entwickelt, meint Büchi. „Es gibt tolle, spannende Anlässe. Doch man muss aufpassen, dass es nicht übertouristisch wird“, warnt er und fügt seufzend  an: „Hoffentlich wird die breite Straße nach Viscri nicht allzu schnell fertig!“
Die Schwerpunkte seiner Reisen liegen in Siebenbürgen, im Wassertal  der Maramuresch, im Donaudelta oder in der Bukowina mit den Moldauklöstern. Alles andere sei schwer zu vermitteln, selbst das Banat. Oder einfach zu unbekannt: Begeistert erinnert er sich an eine Tour entlang der moldauisch-ukrainischen Grenze. „Ein Paradies! Natur pur und kein einziger Tourist. Doch niemand wirbt für das Gebiet – nur für das Schwarze Meer, das sowieso total überlaufen ist.“

Größte Probleme: Abfall und Verfall

Schwierig in Rumänien sei, verbindliche Termine zu vereinbaren, stöhnt der Schweizer dann doch über einen Zusammenstoß der Kulturen. Festivals werden in letzter Minute abgesagt oder zu kurzfristig organisiert. Im Moment plagt er sich mit der Planung einer Reise für Geologen: „Niemand kann mir sagen, ob diese oder jene Saline am Soundsovielten  besichtigt werden kann. Die Schweizer buchen im Voraus,  leisten eine Anzahlung – und ich weiß bis zum Schluss nicht, ob ich das garantieren kann!“

Ständiger Stein des Anstoßes seien auch Abfall und Verfall. Aus Konstanza meldete sich eine Selbstfahrergruppe, schockiert vom Verfall der historischen Bausubstanz. Schwimmende Plastikflaschen im Donaudelta, zugemüllte Picknickplätze – solche Dinge schaden dem Image des Landes mehr als bettelnde Roma, wie manche Rumänen gern behaupten.

Sicherheit hingegen gehört nicht zu seinen Problemen, betont Stephan Büchi. „Kann man den Bus da einfach stehen lassen?“ fragte einer der Touristen, als die Gruppe einen ländlichen Markt besuchte. Über solche Fragen lächelt der Reiseunternehmer. „Seit ich Rumänien kenne, habe ich ein großes Sicherheitsempfinden. In Zürich hab ich mehr aggressive Spannung erlebt als hier in Ferentari. Die saubere, sichere Schweiz ist mindestens nicht weniger gefährlich als Rumänien!“

Seine Erfahrung reicht immerhin bis 1992 zurück. Damals kam er für sieben Jahre ins Land, betreute rumänische Kinderheime für die Schweizer Pestalozzi-Stiftung. Nach elf Jahren in der alten Heimat kehrte er im Frühling 2010 dauerhaft nach Rumänien zurück. „Meine Landsleute fragen mich oft, was ist der Unterschied zur Schweiz? Ich sage ihnen dann: Die Schweiz ist der Kopf – doch Rumänien ist das Herz“, resümiert Stephan Büchi. Im Winter Kopf, im Sommer Herz – alles im Gleichgewicht.