Intensiver an einem positiven politischen Bewusstsein arbeiten

Wort des Ehrenvorsitzenden Prof. Dr. Paul Philippi in der Vertreterversammlung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien vom 11. April 2014 in Hermannstadt

Verehrte Delegierte unserer Foren, liebe Freunde,

Ihr seid es gewöhnt, dass ich Euch mit einem politischen Wort grüße, das nicht unmittelbar zu den Tagesfragen unseres Forums gehört, das aber Fragen angreift, die, jedenfalls nach meiner Meinung, perspektivisch von uns beachtet werden sollten. Mit so einer Frage will ich Euch heute grüßen – und ein wenig anstrengen; wofür ich um Verzeihung bitte.
Es geht um die Frage der Krim-Annektierung durch Russland. Die hat mit unserm Forum erfreulicherweise  nichts zu tun. Aber die politische Idee, die dahinter steht, müssen wir sehr wohl aufmerksam registrieren. Sie lautet: Weil etwa 60 Prozent der Krim-Bewohner ethnische Russen sind, nimmt sich der große Bruder Russland das Recht, diese Prozent einer ukrainischen Teilregion nicht nur diplomatisch zu schützen, sondern sich diese Teilregion einfach einzuverleiben – obwohl sie bisher zu einem andern Staat gehörte.

Dass dies einen Bruch des Völkerrechts darstellt, haben kompetente Gremien und Personen klar ausgesprochen. Ethnien, die in einem Staat eine Minderheit bilden (in diesem Falle also die Krim-Russen in der Ukraine), dürfen, ja sollen oder müssen sogar geschützt werden. Das entspricht dem Völkerrecht. Durch wen müssen sie geschützt werden? Nicht nur durch den Staat, in dem diese Minderheiten-Ethnie die Mehrheit bildet (also im Falle der Krim-Russen: durch Russland), sondern vor allem durch den Rekurs auf Menschenrechte. Also: Schutz durch die internationale  Gemeinschaft, durch das Völkerrecht. Freilich, die sperrige Frage ist die, ob und wie die internationale Gemeinschaft Minderheitenrechte auch durchsetzt.

Und: Das Völkerrecht ist in dieser Hinsicht bereits wiederholt umgeschrieben worden – und zwar nach dem Gesetz des jeweils Stärkeren. Dass wir uns hier als rumänische Staatsbürger versammeln, verdanken wir dem Friedensvertrag von Trianon, der das Ostbanat und Siebenbürgen dem Staat Rumänien zugeteilt hat. Warum? Weil im Jahr 1919 ca. 60 Prozent der Einwohner dieser Gebiete ethnische Rumänen waren, Rumänen, die bis dahin – mit uns zusammen – immer zu einem andern Staat gehört hatten. Das Argument für den Wechsel war also im Wesentlichen das gleiche, auf das sich jetzt Vladimir Putin stützt: Die Rumänen bildeten 1920 im Ostbanat und in Siebenbürgen die Mehrheit und diese Mehrheit einer damaligen Minderheit wollte zu Rumänien gehören. Das war der sachliche Grund für den Wechsel in den neuen Staat. Und: Rumänien hatte mit den Stärkeren den Krieg gewonnen. Das war die pragmatische Voraussetzung für den Wechsel.

Der Unterschied zwischen damals HIER in Rumänien und zum heute DORT auf der Krim war der: Hier hatte 1918-1920 eine internationale Verhandlung stattgefunden VOR dem Wechsel; und erst NACH dieser Verhandlung erfolgte die Verlegung der Staatsgrenzen. Dort, in der Krim, fehlt die vorherige internationale Verständigung. (Dafür aber hat es wegen der Krim vorher keinen Krieg gegeben und wird hoffentlich auch nachher keinen geben.) Nun: Im Kosovo hat es vor wenigen Jahren einen harten Krieg gegeben. Einen Bürgerkrieg. Da hat sich ein Gebiet aus ethnischen Gründen von seinem geschichtlich angestammten Staat losgesagt – und die Mehrheit der europäischen Staaten hat die Trennung glatt anerkannt. Als Hitler 1938 dem historischen Böhmen einen Gebietsteil aus ethnischen Gründen abzwackte (er nahm ihn der damaligen Tchechoslowakei weg), da empörten sich zwar die Paten jenes jungen Staates Tschechoslowakei, ließen aber, was gewaltsam geschehen war, zunächst gelten. Dies Geltenlassen hat sich später als schlecht erwiesen.

Die Erfahrung läuft also darauf hinaus, dass Grenzverlegungen in historisch zusammengehörigen Gebieten, die gewaltsam nach nur ethnischen Kriterien erfolgen, keine guten Verheißungen für die Zukunft bieten. Rumänien UND Russland hatten die Kosovo-Abtrennung von Serbien (darum?) auch nicht anerkannt.Nun aber endlich zurück zu uns: Wir, als politische Vertretung der deutschen Minderheit Rumäniens, sind zu den Problemen der Krim weder gefragt worden, noch haben wir einen Anlass, öffentlich etwas dazu zu sagen. Aber ich neige für uns zu einer doppelten Folgerung: einer negativen und einer positiven. Negativ: Allen territorialen Separationstendenzen, die aus nur ethnischen Gründen Grenzverschiebungen anstreben, führen zu trügerischen Scheinlösungen. Hans Otto Roth, der am Eingang unseres Forums-Hauses als der bedeutendste rumäniendeutsche Politiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird, Hans Otto Roth also hat 1931 auf dem Europäischen Nationalitätenkongress in Wien gesagt, dass keine Grenzziehung in Europa es vermeiden könne, dass in vielen Staaten ein ansehnlicher Rest von ethnischen Minderheiten übrigbleibt, der dann im Staat integriert werden muss. Daraus folgert Roth positiv: „Die miteinander schicksalsverbundenen Völker (Europas) werden nie restlos in reinen Nationalstaaten aufgehen. ... So muss ein neuer europäischer Geist geschaffen und eine würdigere Form des Zusammenlebens aller Völker dieses alten Kontinents gefunden werden.“

Hans Otto Roth ist von den Nationalsozialisten verfemt worden. Im kommunistischen Gefängnis von Ghencea ist er gestorben. Von dem noch demokratischen Rumänien aber war er zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden. In der Tradition von Hans Otto Roth können, werden oder sollten wir als Forum, so meine ich, auf allen Ebenen für einen Staatsaufbau eintreten, der historische ethnische Minderheiten positiv wertet, sie als einen Reichtum begreifen lehrt des Staates, zu dem sie gehören. Das Konzept, nach dem sich europäische Staaten aufbauen, sollte die historischen Minderheiten zur Entfaltung ihrer Identität einladen und sie konstruktiv am Aufbau der Gesamtgesellschaft beteiligen und das in ihrer Eigenschaft als communautés – bei gleichzeitiger Offenheit für grenzüberschreitende Verbindungen. Dazu müsste dann, reziprok, auch die positive Einstellung dieser Minderheiten treten zu dem Staat, zu dem sie gehören.

Diese positive Einstellung zu Rumänien bringen wir als Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien mit. Die Offenheit zu den grenzüberschreitenden Verbindungen haben die Regierungen und Parlamente unseres Staates in den letzten 25 Jahren in zunehmendem Maße bewiesen. Auch was die positive Einbeziehung der historischen ethnischen Minderheiten in das Staatskonzept betrifft, haben wir in den letzten 25 Jahren Fortschritte erlebt. An diesen Fortschritten gilt es, so meine  ich, gründlich und auf vielen Ebenen weiterzuarbeiten, damit Rumänien nicht so rückfällig wird, wie manche unserer Nachbarstaaten. Eine solche Weiterarbeit sollten wir als Forum nachdrücklich unterstützen.
Und dazu gehört ein Letztes: Um wirklich nachdrücklich für eine konstruktive Einbeziehung der historischen Minderheiten in das Staatsbewusstsein Rumäniens eintreten zu können, brauchen wir in unserer eigenen Minderheit ein viel ausgeprägteres politisches Bewusstsein, als es gegenwärtig unter uns vorhanden ist. Politische Leitbilder und politischer Wille sind in den Reihen unserer deutschen Minderheit zur Zeit Mangelware. Das sollte uns beschäftigen. Und es sollte uns in Orts- und Regionalforen veranlassen, besonders in unserer Jugend intensiver an einem positiven politischen Bewusstsein zu arbeiten. Wir sind nicht (nur) schmückendes Beiwerk des rumänischen Kulturraumes, sondern politischer Baustein unseres Staates. Wir werden dies in den kommenden Jahren im Sinn behalten müssen.