Ist glutenfrei wirklich gesund?

Auch die Wissenschaft ist sich darüber nicht ganz einig...

Gluten wird von manchen Menschen mit bestimmten Erkrankungen, etwa Zöliakie, nicht vertragen.

Im Handel gibt es inzwischen sehr viele glutenfreie Produkte

Wer der glutenfreien Diät zuliebe ganz auf Vollkorn verzichtet, riskiert einen Mangel an B-Vitaminen, bestimmten Mineralien und anderen wertvollen Inhaltstoffen.

„Es ist erforderlich, sechs Monate nach Beendigung der Therapie komplett auf Gluten zu verzichten. Gluten kann einen chronischen Entzündungsherd im Körper fördern, der auch das Zahnfleisch beeinträchtigen kann. Genauso wie Gluten ist auch Kuhmilch entzündungsfördernd und man sollte auch Milchprodukte in dieser Zeitspanne meiden“. Der Verzicht auf Gluten und Milchprodukte war ein einziger Punkt auf einer langen Liste von Sachen, die man nach einer Paradontitis-Lasertherapie nicht tun darf. Anfang August bekam ich diese Liste von meinem Zahnarzt in die Hand gedrückt, nachdem ich jahrelang gewarnt wurde: „Wenn du nicht etwas tust, wirst du deine Zähne verlieren“. Im Sommer entschied ich mich dann zu einer Laser-Therapie, die - obwohl sehr kostspielig und schmerzhaft – hoffentlich helfen wird, der Paradontitis vorzubeugen. Dass Zahnentzündungen chronische und Autoimmunerkrankungen auslösen oder negativ beeinflussen, weil sie den Körper zusätzlich belasten, hatte ich schon vor Jahren im Internet gelesen. Und dass Zahnprobleme eine Reihe von Krankheiten bedingen können, deren Auslöser man nicht im Mundraum vermutet (Diabetes, Herzentzündungen, Depressionen), wusste ich auch seit einer Weile. Man kann also mit einer guten Mundhygiene und regelmäßigen Besuchen beim Zahnarzt vielen Krankheiten vorbeugen. Ebenfalls wusste ich, dass die Nahrungsmittel, die wir essen, einen wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben, da 80% unseres Immunsystems im Darm liegt. 

Doch ist es wirklich nötig, komplett auf Brot, Croissants, Pasta, Pizza und Bier zu verzichten? Inzwischen gibt es im Supermarkt ganze Regale voller glutenfreier Pasta, in manchen Restaurants kann man Pizza ohne Gluten bestellen und sogar Bierhersteller bieten inzwischen glutenfreie Varianten an. Online und in den Buchhandlungen sind hunderte von Büchern mit glutenfreien Rezepten zu finden. Theoretisch ist es also leicht, eine Diät zu halten. Obwohl man sich manchmal nach frischem, warmen Brot mit Speck und Zwiebeln sehnt. „Ich habe versucht, Speck mit Bio-Reiswaffeln zu essen”, erzählte mir neulich eine Freundin, die auch auf Gluten verzichtet hat. „Es schmeckt scheußlich”. Doch glutenfreie Kost kann auch gut schmecken – wie vor Kurzem eine Geburtstagstorte, deren Geschmack sich kaum von einer Torte unterschieden hat, die mit Mehl gebacken wurde. Die Frage ist, ob es Sinn hat, komplett auf Gluten zu verzichten. Nach anderthalb fast glutenfreien Monaten fühlte ich mich nicht nur ein wenig energielos (das kann daran liegen, dass ich die Nährstoffe aus dem Weizen nicht durch andere Stoffe ersetzt habe), sondern auch etwas skeptisch (das ist normal) und habe angefangen, zu recherchieren. Wie erwartet ist das Internet voll von Artikeln. Warum ist Gluten zum Bösewicht geworden und lebt man wirklich gesünder, wenn man darauf verzichtet? 

Was ist eigentlich Gluten? 

Gluten bezeichnet eine Gruppe von Proteinen, die in manchen, jedoch nicht allen, Getreidesorten enthalten ist. Zu diesen Getreidesorten gehören Weizen, Gerste, Roggen und Triticale (eine Kreuzung aus Weizen und Roggen). Die beiden Hauptproteine des Glutens werden Gliadin und Glutenin genannt. Gluten wird für viele Backwaren benötigt. In Verbindung mit Wasser bildet Gluten sogenanntes Klebereiweiß. Dieses bildet das Teiggerüst bei Brot und Gebäck. Die Menge an Gluten ist für die Backfähigkeit von Weizenmehlen ausschlaggebend. Gluten ist dehnbar und sorgt im Weizenteig dafür, dass das Kohlendioxid gehalten wird und somit das Gebäck aufgehen kann. Im fertigen Gebäck sorgt das gebundene Kohlendioxid dafür, dass das Gebäck seine Form behält. 

Gluten steckt heutzutage fast in allem, was irgendwie verarbeitet wurde. Folgende Lebensmittel könnten ebenfalls als potenzielle Quellen fungieren, da sie Gluten enthalten können: Cornflakes, Suppen, Saucen, Stärke, Milchprodukte mit Cerealien, Frischkäsezubereitungen, Brotaufstriche (Nuss-Nougat-Creme, veganer Aufstrich), Wurst, Schokolade, Fruchtzubereitungen, Fruchtriegel, Salatdressing, Würzsaucen (z. B. Maggi, Sojasauce), Fertiggerichte, Überzüge bei Nüssen oder Früchten, Kartoffelchips, Kroketten, Pommes Frites, Frittiertes (z. B. Panaden bei Fisch und Gemüse), Light-Produkte, Käse- und Wurstimitate (vegan), eingelegte Speisen (Fischkonserven, Surimi etc.), Speiseeis und Kartoffelerzeugnisse (Püree, Gnocchi, Schupfnudeln).

Gespaltene Meinungen 

Eine Reihe von Hollywoodschönheiten ernähren sich gluten- und milchfrei und schwören darauf, dass sie sich besser fühlen, wenn sie Getreide weglassen. Sie sprechen davon, dass die Verdauung besser ist und sie mehr Energie haben. Und seit einiger Zeit findet man auf Supermarkt-Regalen Produkte wie Mandelkäse, Apfelchips oder veganen Kokos-Yoghurt. 

Kein Wunder, dass viele Leute auf Nudeln, Pizza und das Frühstücks-Croissant verzichten, um ein geundes Leben zu führen und abzunehmen. 

Doch unter Wissenschaftlern scheiden sich die Geister, wenn es um Gluten geht. Während die einen behaupten, es lebe sich gesünder ohne, weisen andere darauf hin, dass dies nur bei tatsächlichen Unverträglichkeiten (wie Zöliakie) nötig sei. Es gibt die Variante „Gluten ist schlimm”. Zu diesem Thema wurden ganze Bücher geschrieben (unter anderen mit Titeln wie „Die Gluten-Freiheit”, „Wie uns der Weizen vergiftet” oder „Glutenfrei glücklich”). Manche Studien brachten tatsächlich hohen Weizenkonsum mit Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Beschwerden und sogar Krebs in Verbindung. Außerdem steht Weizen im Verdacht, Autoimmunprozesse zu fördern. Und: Gluten wird tatsächlich von manchen Menschen mit bestimmten Erkrankungen nicht vertragen. Bei Menschen mit angeborener Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) löst das Eiweiß eine Dünndarmentzündung mit teils heftigen Darmbeschwerden aus. Auch Blutarmut, Blähungen oder Osteoporose können die Folgen sein. Einige andere Menschen leiden an Weizenallergie oder Gluten-Sensitivität. Manche Wissenschaflter sind der Meinung, für gesunde Menschen bringt die glutenfreie Ernährung keine Vorteile. Laut einer Studie italienischer Forscher verschafft eine glutenfreie Ernährung auch bei Menschen ohne Zöliakie oder Weizenallergie bei Magen-Darm-Beschwerden Erleichterung. Das kann aber auch am Placebo-Effekt liegen. Wenn man glaubt, dass man sich gesund ernähert, fühlt man sich automatisch besser. 

Diät ohne Gluten kann die Gesundheit sogar belasten 

Aber auch ohne Symptome entscheiden Menschen, Lebensmittel ohne Gluten zu essen. Sie gehen davon aus, dass Gluten ungesund ist und kaufen glutenfreie Lebensmittel, weil sie glauben, dass sie gesünder sind und sie beim Abnehmen unterstützen. So eine Umstellung ist aber meistens nicht zu empfehlen. Das wurde kürzlich in einer Studie erneut bestätigt. Während alle Teilnehmer der Studie sich zwei Wochen lang glutenfrei ernährten, bekam die eine Hälfte täglich Gluten verabreicht, während die andere Hälfte ein glutenfreies Placebo erhielt. Die Symptome wie Darmbeschwerden, Schmerzen oder Müdigkeit unterschieden sich nicht zwischen den Gruppen. Eine Umstellung auf glutenfreie Ernährung kann sogar gesundheitsschädlich sein, belegte eine große Studie in den USA vor Kurzem. Zwei Studien wurden ausgewertet, in denen 45.000 Frauen und 65.000 Männer 30 Jahre lang alle vier Jahre zu ihrem Gesundheitszustand befragt wurden. Personen, die sich besonders glutenreich ernährten, waren genauso gesund wie der Durchschnitt. Bei Studienteilnehmern jedoch, die eine glutenarme Ernährung hatten, wurde etwas häufiger als im Schnitt eine Herzerkrankung diagnostiziert. Das liegt daran, dass sie zum Beispiel auf Vollkornprodukte verzichtet haben – diesen wurde ein herzschonender Effekt nachgewiesen. Wer gesund ist, muss also nicht auf Gluten verzichten. Denn Ballaststoffe aus Vollkorn sind wichtige Bestandteile für die Darmflora, regulieren die Darmtätigkeit und lassen den Blutzuckerspiegel langsamer ansteigen. Wer Getreide ohne Grund meide, halte dem Körper zugleich wichtige Polyamine vor, etwa Weizenkeimöl, meinen Experten. Man spricht auch von einem Magnesium-Mangel bei längerem Gluten-Entzug. 

Falls man trotzdem davon überzeugt ist, dass man sich ohne Gluten besser fühlt, sollte man genügend Lebensmittel mit Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen zu sich zu nehmen. So lässt sich die Versorgung etwa mit Vitamin B12, Folsäure, Eisen, Zink, Magnesium und Kalzium sicherstellen. Die wichtigen B-Vitamine, die Getreide liefert, stecken ebenfalls in Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten, grünem Gemüse (Spinat, Brokkoli), Sesam, Sonnenblumenkernen, Avocado, Bananen und Fisch – oder aber auch in glutenfreien Haferflocken.

Was sollte letztendlich jemand tun, der nicht Glutenintolerant ist, aber trotzdem auf Gluten verzichten will? Die Schlussfolgerung ist: solange man darauf achtet, dass man alle wichtigen Nährstoffe zu sich nimmt, kann man selbst entscheiden, was man isst und was nicht. Und: eine Pizza, leckere Frühstücksbrötchen oder frisches Brot mit Speck und Zwiebeln ab und zu können auf keinen Fall schaden.