„Jetzt kannst du dich nur der Wissenschaft widmen“

ADZ-Gespräch mit Akademiemitglied Prof. Dr. Paul Niedermaier

Prof. Dr. Paul Niedermaier Foto: www.icsusib.ro

Mehrere Werke von Paul Niedermaier befassen sich mit dem mittelalterlichen und spätmittelalterlichen Städtebau in Siebenbürgen, im Banat und im Kreischgebiet oder mit Forschungen zur städtebaulichen Entwicklung im 12. bis 16. Jahrhundert.

Nach fünfstündiger Sitzung in der Rumänischen Akademie kam sein Anruf: Prof. Dr. Paul Niedermaier ist frischgebackenes Vollmitglied - „academician“ auf Rumänisch. Der 81-Jährige ist der erste Siebenbürger Sachse, dem diese hohe Ehre zuteil wird. Mit 43 Für- und einer Gegenstimme wurde der Historiker, Architekt und langjährige Direktor des Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften Hermannstadt in die Abteilung für Geschichte und Archäo-logie gewählt. Korrespondierendes Mitglied ist er schon seit 2001. Was bedeutet es überhaupt, Akademiemitglied zu sein? Wie kam es dazu? Und womit befasst sich der rastlose Wissenschaftler, der eigentlich längst seinen Ruhestand genießen könnte, aktuell? Im stillen Kämmerchen forscht er an Themen, für die er bisher keine Zeit gehabt hatte, verrät der Gelehrte im Gespräch mit Nina May.


Herr Professor Niedermaier, herzlichen Glückwunsch! Der wievielte Siebenbürger Sachse sind Sie nun als Mitglied der Rumänischen Akademie?

Der siebte - aber der erste als Vollmitglied. In der Zwischenkriegszeit gab es drei Ehrenmitglieder – ich beziehe mich jetzt nur auf Siebenbürger Sachsen (zu den Schwaben weiß ich nicht so genau Bescheid, da fällt mir nur der Nobelpreisträger Stefan Hell ein): das waren der Historiker Friedrich Teutsch, der Linguist Gustav Kisch und der Kunsthistoriker Viktor Roth. Dann kam die „krumme Zeit“, sagen wir mal so, und nach dem Kommunismus wurde Hermann Oberth post mortem gewählt. Der Musiker Wilhelm Berger war korrespondierendes Mitglied, wie bisher auch ich, und Christoph Klein Ehrenmitglied.

Was ist der Unterschied zwischen diesen verschiedenen Arten von Akademiemitgliedern?

Die korrespondierenden Mitglieder sind etwas tiefer eingestuft, sie tragen nicht den Titel „academician“, und haben - wie auch die Ehrenmitglieder - eine etwas kleinere Vergütung. Bei den Ehrenmitgliedern gibt es zudem keine feste Begrenzung der Anzahl. Es gibt im Ganzen rund 170 Akademiemitglieder, davon je die Hälfte korrespondierende und Vollmitglieder. Wenn ein Platz frei wird, also ein Mitglied stirbt, wird der Platz frisch vergeben. In den einzelnen Abteilungen, insgesamt 16, wird zuerst gewählt, in meinem Fall war das die Abteilung für Geschichte und Archäologie. Dann geht der Vorschlag ans Präsidium und wird der Generalversammlung unterbreitet, die die Einwilligung gibt, dass die Person auf die Liste kommt. Die Wahl ist dann so, dass die korrespondierenden Mitglieder von allen gewählt werden, die Vollmitglieder aber nur von Vollmitgliedern.

Wie kamen Sie auf die Idee, Architektur zu studieren - und wie schlugen Sie dann den Bogen zur Geschichte?

Ich war, was mein Studium betraf, gar nicht so entschlossen. Was mich beschäftigte, war Geologie und Mineralogie. Doch mein Vater sagte, das hältst du körperlich nicht aus, wochenlang im Gebirge und nur kaltes Essen. Dann hab ich gedacht, Theologie zu studieren, aber meine Eltern wären nicht begeistert davon gewesen. Mein Bruder sagte: Wenn du Theologie studieren willst, müssen wir auf den Vater einen Überrumpelungsangriff machen. So habe ich mich für Architektur entschieden, das ist auch ein wenig künstlerisch, habe mich aber im Laufe der Hochschulzeit ziemlich früh mit Architekturgeschichte beschäftigt. Schon im ersten Jahr bin ich mit Hermann Fabini zu den Kirchenburgen gefahren, jeden Tag zu einer anderen, von Mediasch aus. Meine erste Arbeit darüber habe ich im dritten Jahr geschrieben. Sie sollte auf einer wissenschaftlichen Tagung für Studenten vorgetragen werden, aber da es sich um eine Kirchenburg handelte – also eine Kirche, ist sie vom Programm gestrichen worden.
Bei der Dissertation habe ich die Geschichte der Architektur und des Städtebaus als Fachthema gewählt: die Entwicklung der siebenbürgischen Städte vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert.

Wie ging es mit Ihrer Karriere weiter?

Ich war dann im Freilichtmuseum angestellt, in Hermannstadt im Jungen Wald, bin aber mit dem Chef nicht so ganz zurecht gekommen, das war der Irimie (Anm: Ethnograf Cornel Irimie). Der hatte wohl Angst, dass ich ihn überflügle. Dann bin ich nach acht Jahren zum Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften Hermannstadt übergewechselt, das zur Rumänischen Akademie gehört. Dort bin ich seit 1971, davon 24 Jahre als Direktor. Dann hab ich mir mein Rentenalter ausrechnen lassen: 65 Jahre. Bei der Akademie sagte man mir: Suchen Sie jemanden, der bereit ist, Ihr Nachfolger zu werden und der Ihrem Anspruch genügt. Den hab ich mit Mühe und Not gefunden: Es ist Prof. Rudolf Gräf, seit neun Jahren Prorektor an der Babe{-Bolyai Universität Klausenburg, Historiker, moderne Geschichte – und ein sehr guter Fachmann, mit großer adminis-trativer Erfahrung. Vorläufig kann er beide Funktionen ausüben, er ist vorerst nicht die ganze Zeit in Hermannstadt. Aber er hat fest versprochen, wenn er nächstes Jahr in Rente geht, kommt er ganz nach Hermannstadt. Ich bin heilfroh, denn Prof. Gräf ist ein anerkannter Wissenschaftler, nicht nur im Inland, auch im Ausland, mit allen möglichen Auszeichnungen, Bundesverdienstkreuz, eine gleichwertige österreichische Auszeichnung etc.

Jetzt bin ich nur noch halbtags angestellt, aber für mein Alter ist das genug. Ich hab mich in den letzten Winkel des Instituts zurückgezogen und mir vorgestellt: Jetzt kannst du dich nur der Wissenschaft widmen! Was aber nicht stimmt, denn ständig ist man wo eingeladen oder soll irgendwo hingehen... Aber dann komme ich doch auch zu meiner Arbeit, und ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich aus Bukarest zurück komme.

Worum geht es in dieser Arbeit?

Ich schreibe ein Buch über Studien zur Siedlungsgeschichte Siebenbürgens im Mittelalter bis zum 13. Jahrhundert. Teil 1 ist fertig und jetzt arbeite ich an Teil 2, die Südkarpaten in der frühen Geschichte der Rumänen. Das ist ein Thema, das ich vorher nicht behandelt habe und das mich jetzt sehr interessiert, weil da vieles herauskommt, an das man gar nicht denkt.

Zum Beispiel?

Dass es dort früh Verbindungen gegeben hat zwischen dem Gebiet um Fogarasch und dem Altreich, oder genauer, der Walachei, während aber der Rest der Altsenke stark bewaldet war. Gerade dort, wo das Gebirge am felsigsten ist und so einen Schutzwall bildet, hat es dahinter in der Gegend um Kerz einen ausgedehnten Wald gegeben. Nur um Fogarasch herum, in einem größeren Gebiet, ist dicht gesiedelt worden. Das hatte bisher kein Mensch bemerkt! Und es gibt so hundert Dinge, die man erst feststellt, wenn man sich in Details vertieft...

Im Fogarascher Gebiet waren rumänische Siedlungen. Mir war das gerade jetzt interessant, wie das ist, mit den Rumänen. Ich habe mich jahrzehntelang vorwiegend mit den Sachsen und den Ungarn beschäftigt. Auch in der erwähnten Arbeit: Da ging es darum, dass die Komitate, die Verwaltungseinheiten Siebenbürgens, von den Ungarn im Laufe der Zeit immer weiter nach Osten ausgedehnt wurden, und dass dafür eine Menge Hilfsvölker verwendet wurden. Die bekanntesten sind die Szekler. Dann gibt es noch Oghusen und andere. In der Gegend um Dej gab es Chasaren. Das sind alles, wie die Szekler, Völker, vor allem Turkvölker, die aus dem Osten eingewandert sind. Sie sind meist über die Waldkarpaten gekommen und in den nördlichen Teil der Theiß-Ebene oder auch in die Donau-Ebene eingewandert. Im Mittelalter ist die Bevölkerung enorm schnell gewachsen. Das ist eine Sache, die in der Geschichtswissenschaft bisher praktisch nicht berücksichtigt wurde.

Als die Sachsen kamen, trafen sie auf all diese bunten Völker?

Die Sachsen kamen nicht aus dem blauen Himmel, sie wurden gerufen. Da war Siebenbürgen bis zu einem gewissen Grad unbewohnt oder zumindest schütter bewohnt. Sie kamen in solche schütter bewohnten Gegenden.

Schütter bewohnt von wem? Von Rumänen?

Schwer zu sagen, das hängt von Fall zu Fall ab. Auch stark von Szeklern, die vom ungarischen König nach Siebenbürgen verschoben worden sind und dann, als das Gebiet der sächsischen Stühle von den Sachsen in Besitz genommen wurde, weitergeschoben wurden.

Kommunizierten diese Völker miteinander?

Jein – das hing von Fall zu Fall ab. Es war schon ein geregeltes Zusammenleben, auch wenn es mitunter kurzzeitige Störungen gab, wie im Fall der Kuruzzen-Aufstände. Aber im Prinzip war es geregelt. Ich erinnere mich an eine Urkunde von 1224, in der den Sachsen der Wald der Rumänen und Petschenegen zur Mitverwendung zur Verfügung gestellt wurde. Die Petschenegen sind ein Volk, genau wie die anderen aus dem Osten kommend, das im ersten Jahrtausend vor allem in die Moldau und auch nach Siebenbürgen eingesickert ist und Raubzüge gemacht hat. Zum Teil haben sie sich dort auch niedergelassen. Nachdem sie 1068 von den Ungarn vernichtend geschlagen worden sind, haben sie sich in die Moldau zurückgezogen, aber einige sind geblieben. Zum Beispiel in Heidendorf (rum. Viișoara) neben Bistritz, das hieß auf ungarisch Besenyö. In Hermannstadt gibt es einen Berg namens Beșineu. Olteț im Kreis Kronstadt hieß früher Beșimbac und im Kreis Tulcea gibt es eine Ortschaft Peceneaga. So gab es einzelne Orte, die eben petschenegisch geblieben sind, was man dem Namen noch entnehmen kann, aber nicht sehr viele. Heute sind sie längst rumänisiert.

Gab es damals Transhumanz? Spielte sie eine Rolle?

Sicher. Die wohlhabenderen Rumänen haben zum großen Teil am Fuß der Gebirge gewohnt und sind im Sommer mit ihren Schafen auf die Hochweiden. Nicht aber gab es Transhumanz im späteren Sinne, dass sie wer weiß wie weit gezogen sind. Das wäre nicht logisch, denn in gewissen Gebieten war das viel zu gefährlich, zumal in der Walachei auch zuerst Petschenegen waren, die waren schon nicht so geheuer. Dann kamen die Kumanen, die schlugen die Petschenegen. Muntenia hieß früher Kumania. Die Geschichte ist eine sehr komplizierte Sache.

Woher kamen eigentlich die Rumänen?

Das ist eine sehr diskutierte Frage. Es gibt zwei Theorien – die eine, dass sie schon immer hier waren, und die andere, dass sie vom Balkan herkamen, wo es auch heute noch gewisse rumänische Stämme gibt, die Aromunen. Ich glaube – aber das ist meine persönliche Überzeugung – dass diese schwarz-weiß Theorien eigentlich überlebt sind. Bei einer geringen Bevölkerungsdichte sind die Leute mal hier, mal dort gewesen mit ihren Herden, sicher auch in Siebenbürgen und in der Pannonischen Tiefebene. In einer früheren Chronik wurden dort zwar nicht rumänische, aber romanische Hirten erwähnt. Diese sind von den Ungarn verdrängt worden. Zu einer sehr frühen Zeit dürfte es keine so klaren, festen Siedlungsgebiete gegeben haben.

Was ist mit den Dakern als mögliche Vorfahren der Rumänen?

Da bin ich überfragt. Es werden ja welche übrig geblieben sein, aber wie viele, das ist nicht klar.

Wer seine Geschichte nicht aufschreibt, der verschwindet aus ihr, ist es nicht so?

Das ist stark von der politischen Situation abhängig. In der „Școala ardeleană“ hieß es, die Römer sind das einzige. Am Anfang der kommunistischen Zeit hieß es, nein, die Slawen, die sind es! Bei Ceaușescu hieß es dann, die Daker, die autochthonen, die sind es! Jetzt gibt es diese festen Vorstellungen nicht mehr. Aber das kann sich alles noch ändern mit den jeweiligen politischen Umständen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!