Kanzler Helmut Kohl zum Gedenken

Geschichtliches Verständnis, humanitäres Anliegen und politischer Wille

Die Deutschen, die Rumänien zwischen 1968 und 1989 verlassen konnten und in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat fanden, aber auch die Deutschen, die darnach auswanderten, und diejenigen, die in Rumänien verblieben, schulden dem verstorbenen deutschen Kanzler Helmut Kohl ein ehrendes Gedenken und große Dankbarkeit.
Seit dem Ende des letzten Krieges, insbesondere aber in den Jahren 1968 bis 1989 hatte die Bundesrepublik Deutschland umfangreich daran gearbeitet und Erhebliches dafür getan, den unter dem sozialistischen Rumänien leidenden Deutschen den Weg in die Freiheit zu bahnen und neue Heimat im freien Teil Deutschlands zu finden. Darüber hinaus war sie bemüht, den Deutschen, die in Rumänien verbleiben wollten oder mussten, ihre Lebensbedingungen zu erleichtern. Nach der politischen Wende in Rumänien hielt sie ihre Grenzen für alle offen, in die Bundesrepublik umzusiedeln. Helmut Kohl hatte an allen Bemühungen großen, ja entscheidenden Anteil. Nur wenig war darüber bekannt geworden, weil die rumänische Regierung strikte Geheimhaltung zur Bedingung gemacht hatte. Einige Fakten kamen erst nach mehr als 30 Jahren an die Öffentlichkeit. Es wurde in Filmen, Fernsehsendungen, Zeitungsberichten und Büchern aufgezeichnet und beschrieben. Helmut Kohl hatte auch weiterhin geschwiegen. Es lag ihm nicht, sich mit dem zu rühmen, was er für die Banater Schwaben, die Siebenbürger Sachsen, die Sathmarer und Berglanddeutschen politisch geleistet hatte.

Helmut Kohl hatte noch vor seiner 1982 beginnenden Kanzlerschaft als Vorsitzender der CDU und als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag darauf hingewirkt, die unter Kanzler Georg Kiesinger begonnene Aktion unter dem Decknamen „Kanal“ und unter der offiziellen Bezeichnung „Familienzusammenführung Rumänien“ fortzusetzen. Er war der festen Überzeugung, dass den von den Folgen des Krieges schwer getroffenen und unter der Diktatur in Rumänien besonders leidenden Deutschen geholfen werden musste. Das waren sein geschichtliches Verständnis, sein humanitäres Anliegen und sein politischer Wille. Nur wenige Wochen nach dem Beginn seiner Kanzlerschaft ließ er sich umfangreich berichten und griff in den Ablauf der Ereignisse immer wieder gestaltend ein. Er suchte Rat und verständigte sich mit den Entscheidungsträgern, namentlich mit Vizekanzler Hans Dietrich Genscher, dem Chef des Kanzleramtes Wolfgang Schäuble, mit Innenminister Friedrich Zimmermann, mit seinem Berater Horst Teltschick und ungezählte Male auch mit dem beauftragten alleinigen Verhandlungsführer Heinz Günther Hüsch. Er tat dies in seiner unnachahmlichen direkten und offenen Weise.

So entstanden ein vertrauensvolles politisches Klima und eine bemerkenswerte Klarheit für diejenigen, die seine Aufträge auszuführen hatten. In seiner Amtszeit gab es keinerlei Streit darüber, dass den Deutschen in Rumänien nach Kräften geholfen werden sollte. Dem dienten die diplomatischen und politischen Beziehungen, ganz besonders aber der geheime „Kanal“, über den mehr als 225.000 Rumäniendeutschen Freiheit und Zukunft verschafft wurden. Bedenkenträgern trat er entgegen und verwies sie in ihre Schranken. Auch er übersah nicht, dass vieles von dem, was Deutsche in Rumänien in Jahrhunderten geschaffen hatten, durch deren Weggang nun gefährdet war. Ihm war jedoch wichtiger, den Menschen in ihrem eigenen, ganz persönlichen Leben zu helfen. Er suchte nach Möglichkeiten, denen, die in Rumänien freiwillig oder gezwungenermaßen verblieben, Hilfen zukommen zu lassen. Ganz besonders, als sich 1987/1988 die wirtschaftliche Lage Rumäniens dramatisch verschlechterte. Schon zuvor hatte er über Jahre hin darauf drängen lassen, Härtefälle schnell zu lösen und soziale und kulturelle Hilfen anzubieten. Nun aber war er bereit, umfangreich zu helfen. Der Verhandlungsführer brauche sich keine Sorge um die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel zu machen, ließ er ihn deutlich wissen. Das Geld dazu werde er beschaffen.

Angebotene und geheim zu haltende Vereinbarungen scheiterten jedoch am rüden Nein, das Ceau{escu anordnete und persönlich aussprach, obwohl auch er die Dramatik der Lage in Rumänien kannte. Er verlangte von seinem eigenen Volk unzumutbare Opfer und ließ es darben. Den Kanzler der Deutschen verdächtigte er, eine internationale Herabwürdigung Rumäniens zu betreiben. Das Gegenteil war der Fall. Als Rumänien seine Zahlungsunfähigkeit erklärte, war es die Bundesrepublik, die sofort politisch und wirtschaftlich geholfen hatte. Trotz Schwierigkeiten in der bedrängten deutschen Textilindustrie gab es umfangreiche Exportkontingente zu Gunsten Rumäniens. Es gibt weit mehr Ereignisse und Vorgänge, bei denen die Bundesrepublik Rumänien beigestanden ist – immer in der Sorge um die Deutschen in Rumänien und in dem Willen, ein für die Ausreiseverhandlungen günstiges Klima zu schaffen – selbst auf die Gefahr hin, das damalige politische System Rumäniens zu stabilisieren. So wies Kanzler Helmut Kohl die politische Richtung. Hardlinern, die eine kraftvolle politische und ideologische Auseinandersetzung suchten, folgte er nicht. Alle Maßnahmen sollten so gesteuert werden, dass die Interessen der Deutschen in Rumänien nicht gefährdet wurden. Selbst dann nicht, wenn die rumänischen Verhandler neue und oftmals unangemessene Forderungen trotz bestehender Vereinbarungen öfters strikt verlangend und fast erpresserisch stellten. Rumänien sollte „sein Gesicht nicht verlieren“. Obwohl unter den freiheitlichen westlichen Ländern abgesprochen war, Ceau{escu nicht mehr durch hochrangige Besuche aufzuwerten, war Kanzler Kohl zu einer Verletzung der Absprachen und zu einer Reise nach Bukarest bereit, wenn dadurch die Zahl der Ausreisen hätte erhöht werden können und den in Rumänien verbleibenden Deutschen hätte geholfen werden können. Für dieses Ziel riskierte er den Unwillen westlicher Freunde. Aber auch dieser Versuch scheiterte an dem harten Nein des rumänischen Diktators.

Dennoch gab Helmut Kohl nicht nach. Er blieb dabei, nach Kräften für die Rechte und die Hoffnungen der Deutschen in Rumänien einzutreten und darüber hinaus auch der ungarischen Minderheit beizustehen, worum er von Ungarn gebeten worden war. Während sich im Dezember 1989 die Ereignisse in Rumänien überstürzten, war Helmut Kohl um das Schicksal der Deutschen in Rumänien besorgt. Er hielt daran fest, ihnen auch künftig zu helfen. Als sich dann Rumäniens Grenzen öffneten und mehr als 120.000 Deutsche aus Rumänien in die Bundesrepublik drängten, waren sie willkommen. Es folgten der Freundschaftsvertrag mit Rumänien – nunmehr mit dem wiedervereinigten Deutschland – und die nun schon über Jahrzehnte andauernden deutschen Hilfen. Dank nicht zuletzt der Europapolitik Helmut Kohls sind Deutschland und Rumänien wieder Freunde geworden. Dass es so bleibt, sollte unser politischer Dank an den großen Deutschen und großen Europäer, den Freund der Deutschen aus und in Rumänien, sein: Unser Dank an Helmut Kohl!

(Dr. Heinz Günther Hüsch war der Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Familienzusammenführung.)