Konfrontation nahe dem Wurzelort

In Temeswar hat das Eurothalia-Festival mit „Konfrontation“ begonnen

Im Rahmen der Eröffnung des Eurothalia-Festivals eröffnete der Luxemburger Fotokünstler Marc Schroeder (Foto rechts) seine Ausstellung mit Porträtfotos von ehemaligen Russlanddeportierten aus Rumänien. Zur Vernissage sprachen der Stellvertreter des Intendanten des DSTT, Rudolf Herbert (Foto Mitte) und der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten, Ignaz Bernhard Fischer (dritter von rechts).
Foto: Zoltán Pázmány

„Konfrontation“: Als wenn es davon in der realen Welt nicht derzeit genug davon gäbe, haben sich die Organisatoren eines ungewöhnlichen Theaterfestivals an einem ungewöhnlichen Ort genau dieses Stichwort als Motto gewählt: Mit „Konfrontation“ ist das diesjährige ‚Eurothalia‘-Festival überschrieben – ein Treffen von sieben Gruppen aus neun Ländern weit weg von Deutschland, in Temeswar, der Europäischen Kulturhauptstadt 2023.

Gestartet ist das Festival am Mittwoch; es dauert noch bis einschließlich Donnerstag dieser Woche und wird vom „Deutschen Staatstheater Temeswar“ organisiert  – im Übrigen nur wenige hundert Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt, wo sich derzeit die wohl alles beherrschende „Konfrontation“, nämlich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, abspielt. Und der schlägt sich natürlich auch auf den Verlauf des Eurothalia-Festivals im Westen Rumäniens nieder, und nicht nur, weil in der Stadt viele Flüchtlinge aus der Ukraine leben.

„Rumänen hamma müssen sein. Uns deutsches Volk… Rumänen. Die Menschen hatten einen solchen Hass, auf alles Deutsche. Was mach’st in der Fremde?“ Es geht um Menschen, die zwischen zwei Welten regelrecht hin- und hergeschubst werden – Rumäniendeutsche mehrerer Generationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als vermeintliche Nazis in ihrer Heimat ausgegrenzt werden. Schließlich aus ihrer fiktiven Gemeinde mit dem Namen „Wurzelort“ auswandern, nach Deutschland. Mit „Karpartenflecken“, einem Stück des in Wien lebenden Autors Thomas Perle, eröffnete das Ensemble des Deutschen Theaters Berlin das „Eurothalia“-Theaterfestival im westrumänischen Temeswar.

„Der Wurzelort in dem Stück ist im Grunde genommen in der Maramuresch, im Norden Rumäniens, zu lokalisieren. Und damit ist eigentlich Oberwischau gemeint.“ …sein Geburtsort, sagt Autor Thomas Perle, der, ähnlich wie die Protagonisten seines Stückes, Anfang der 90er Jahre mit seiner Familie Rumänien verließ und ein neues Leben in Deutschland begann. Dass nun, zum Auftakt des „Eurothalia“-Festivals, Perles „Karpartenflecken“ auf dem Programm steht, lenkt die Aufmerksamkeit ganz automatisch auf das, was sich derzeit nur ein paar Kilometer vom „Wurzelort“ des Autors entfernt abspielt.

„Also die Maramuresch, also mein Heimatort, ist eben auch ganz nah: Der nächste Ort ist ja schon die Ukraine. Das grenzt also an die Ukraine. Ich hab‘ das Stück 2015 begonnen. Da habe ich überhaupt nicht gedacht, dass so ein Krieg wieder kommt. Kommen könnte. Und jetzt stehen wir da und haben furchtbares Leid, das wir erleben. Aber ich hätte auch nie gedacht, dass ich so viele Jahre nach meiner Großmutter auch da stehe und so viele Diktatoren um mich herum habe auf der ganzen Welt.“

Und damit schlägt sich der Krieg auch indirekt auf das Festival nieder, fast wie eine Fatalität der Geschichte. „Denn offenbar ist es doch ein Privileg, ein Theaterfestival zu eröffnen, mitten in einer europäischen Stadt, wo unweit von hier ein absurder Krieg wütet, Leben zerstört…“, sagte zur Eröffnung des Festivals der Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar, Lucian V²r{²ndan. Mit seinem „Eurothalia“-Festival will er der Konfrontation ein paar Hundert Kilometer weiter, im Osten, etwas entgegensetzen – nämlich eine Vielfalt auf der Bühne mit Gruppen aus ganz Europa. „Es war kein Zufall, dass das Deutsche Theater Berlin hier zu Gast war. Und zu den anderen Ländern möchte ich Frankreich zählen, die Republik Moldau, Slowenien – um nur einige zu nennen.“ So Mitorganisator Rudolf Herbert, Dramaturg und Stellvertreter von Theatermanager Vărșăndan. Ob eine für diese Woche angekündigte russische Exil-Theatergruppe nach Temeswar kommt, ist indes fraglich.

„Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, dass diese Gruppe in Frankreich, wo sie sich zurzeit aufhält, politisches Asyl beantragt hat. Einige Mitglieder haben das Asyl bereits erhalten, die anderen noch nicht.“ Da ist Reisen und auf Tournee Gehen noch schwierig. „Ein Verbrecher ist das, das wissen doch alle. – Bei mir ist er kein Verbrecher nicht…“

Zweiter Festivalabend: Das gastgebende Ensemble des Deutschen Staatstheaters Temeswar zeigt eine Bühnenfassung von Rainer Werner Fassbinders Film „Katzelmacher“ – die schwierige Geschichte eines griechischen Gastarbeiters, der in eine durchgeknallte Clique junger Menschen in Deutschland hineingerät. Und ausgegrenzt wird. Auf der Bühne wird geschrien, gepfiffen, es geht um Sex und Gewalt.

„Das Deutsche Staatstheater hier in Temeswar hat mehrere Stücke, die ungewöhnlich provokativ sind. Und das ist für unser Publikum nichts Neues…“, sagt Schauspielerin Olga Török aus dem Temeswarer Ensemble – und spricht damit einen Paradigmenwechsel an: Denn als das Deutsche Staatstheater vor fast 70 Jahren als Angebot an die rumäniendeutsche Minderheit gegründet wurde, standen zumeist Klassiker wie Goethe, Schiller, Kleist auf dem Programm. Doch in den 90er Jahren sind die meisten Rumäniendeutschen nach Deutschland ausgewandert. „Und dieser Wandel hat dazu geführt, dass das Profil des Theaters jetzt ein anderes ist.“ Sagt Intendant Lucian V²r{²ndan. „Es ist ein viel offeneres Theater. Es bringt zeitgemäße Angebote auf die Bühne.“

Und es richtet sich an ein verändertes Publikum: Angesprochen werden sollen nicht nur Rumänien-Deutsche, sondern alle, die sich für Theater interessieren: „… gerade jüngere Menschen, die in deutscher Sprache ausgebildet werden, denn das Deutsche ist nach wie vor attraktiv. Und nicht zuletzt spielen wir auch Theater für nicht-deutschsprachige Rumänen oder Anders-Nationale, die dank der Simultan-Betitelungen und Übersetzungen ins Rumänische und seit Kurzem auch ins Englische unser breitgefächertes Repertoire in Anspruch nehmen können.“

Ein breitgefächertes Angebot erwartet demzufolge die Besucherinnen und Besucher des Eurothalia-Festivals in Westrumänien noch bis kommenden Donnerstag. Der Kartenvorverkauf spreche für eine gute Resonanz, heißt es beim Theater.