„Länder wie Rumänien müssen ihre Hausaufgaben machen“

ADZ-Abschiedsgespräch mit Dr. Michael Schwarzinger, Botschafter der Republik Österreich in Rumänien

Exzellenz, Ihre Amtszeit in Bukarest läuft demnächst ab. Darf man fragen, welches die nächste diplomatische Station sein wird?

Mitte September werden meine Frau und ich nach einer vierjährigen Dienstzeit in Rumänien und der Republik Moldau wieder nach Österreich übersiedeln, ich kehre an das Außenministerium in Wien zurück. Welche Funktion ich dort bekleiden werde, steht noch nicht fest.

Wie lautet Ihr Fazit zu Rumänien nach diesem Mandat? Sie waren immerhin Zeuge einer schweren Staatskrise, des politischen Dauer-Hickhacks, der endlosen Korruptionsaffären und hartnäckigen Versuche von Politikern, sich über das Gesetz zu stellen ...

Als ich 2010 nach Rumänien kam, stand das ganz Land unter dem ungeheuren Druck der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Investoren waren ausgeblieben, die Steuern angehoben, Arbeitsplätze weg oder gefährdet, die Gehälter gekürzt. Aber die Währung blieb relativ stabil und auch das Wirtschaftswachstum ist nach und nach, wenn auch noch gedämpft, zurückgekehrt. In der Innenpolitik war ich 2012 Zeuge der zum Teil überraschenden, jedenfalls raschen Regierungswechsel von Premier Emil Boc zu Premier Mihai Răzvan Ungureanu und Premier Victor Ponta, mit dem anschließenden Verfahren zur Amtsenthebung des Staatspräsidenten. 2004 musste ich als Botschafter in Litauen bereits ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Staatspräsidenten mitverfolgen, und im Jahr 2012 galt es, einen ähnlichen Vorgang, der aber in der Geschichte an sich sehr selten ist, zu analysieren und zu verstehen.

Kein Diplomat steht hier als bloßer Zaungast der Ereignisse daneben, sondern versucht zu verifizieren, was die Akteure bewegt, ob dieses oder jenes dem Land dient und was als nächstes kommen könnte. Um Lage und Rolle eines Vertreters eines sehr befreundeten EU-Partnerlandes einzuordnen, möchte ich hinzufügen, dass ein solcher sich ja nicht nur als Gast im Ausland befindet, sondern auch mitten in „seiner“ Union und „seinem“ Binnenmarkt. Man ist sich im Klaren, dass die in Rumänien entscheidenden Akteure zu guten Teilen die Regeln und Werte mitbestimmen, die, auf Unionsebene erlassen, auch für mich gelten.

Sie kennen Rumänien gut, waren bereits in den 1990er Jahren hier. Wie würden Sie Evolution und Reformwilligkeit des Landes in den immerhin knapp 25 Jahren seit der Wende und fast 8 Jahren EU-Mitgliedschaft bewerten?

Ich war als Botschaftsrat von 1992 bis 1995 in Bukarest tätig, unter den Botschaftern Christoph Parisini und Paul Ullmann, und mein Eindruck ist jedenfalls der, dass sich in Rumänien seither sehr viel getan hat. Ich möchte hinzufügen, dass ich schon 2007 die EU-Aufnahme Rumäniens und Bulgariens argumentativ gegen Kritik verteidigt habe und auch heute noch der Ansicht bin, dass diese Entscheidung besser war, als beide Länder im Wartesaal zu belassen.

Natürlich verstehe ich jene, die mit der Entwicklung nicht zufrieden sind. Es wäre auch vieles besser gelungen, wenn die Weltfinanzkrise nicht gekommen wäre. Rumänien hat diese nicht verschuldet, war aber, als sie hierher durchgebrochen ist, offensichtlich nicht gut dagegen gewappnet. Zum Teil kam sie für das Land zu einem historisch, entwicklungsgeschichtlich sehr ungünstigen Zeitpunkt. Experten weisen darauf hin, dass stark wachsende Volkswirtschaften makroökonomische Ungleichgewichte erleiden (sie müssen z. B. mehr importieren als sie exportieren können) und stark von Auslandsinvestitionen abhängig sind, um diese Defizite finanzieren zu können.

Europas stark industrialisierte Länder in West und Nord sehen derzeit wenig Wachstumspotenzial. Davon ist im Südosten des Kontinents mehr vorhanden. Diese Region mit und um Rumänien bietet enorme Wachstumschancen. Hier engagierte Firmen können ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Aber das bedeutet auch, dass Länder wie Rumänien ihre Hausaufgaben machen, also strukturelle Reformen, Rechtsstaatlichkeit, akademische und berufliche Bildung für alle Schichten und sozialen Gruppen pflegen. Dass auch andere Länder bei Reformen hinterherhinken und im Gegensatz zu Rumänien zum Teil extreme Solidaritätsleistungen in Anspruch nehmen müssen, soll bitte für Bukarest nicht heißen, dass man sich nicht anstrengen müsste.

Sie haben jüngst gegenüber der Presse die Korruptionsbekämpfungsbehörden des Landes, DNA und ANI, lobend erwähnt. Deren Ansuchen um Aufhebung der Immunität korruptionsverdächtiger Abgeordneter werden vom Parlament allerdings regelmäßig abgeschmettert. Wäre die im österreichischen Parlament geltende Immunität, die zwischen „beruflicher“ und „außerberuflicher“ Immunität unterscheidet, Ihrer Meinung nach eine Lösung für Rumänien?

Aus der DNA höre ich, dass diese 2013 in nicht weniger als 4183 Fällen die Ermittlungen abschließen und die Dossiers an die Justiz übergeben konnte. Für Ende 2014 rechnen die Korruptionsfahnder sogar mit doppelt so vielen Fällen. Das ist durchaus ein starkes Zeichen. Allerdings ist zu beobachten, dass das Parlament in diesem Jahr jeden Antrag auf Aufhebung der Immunität gegen Mandatare ausnahmslos abgelehnt hat. Ich höre, dass hier der gedankliche Grundsatz wirken soll, dass die Abgeordneten als Volksvertreter und damit als direkte Vertreter des Souveräns über dem Gesetz stehen.

In Österreich steht allen Abgeordneten die politische Immunität zu, bestehend aus der beruflichen (Abgeordnete können für Aussagen im Parlament nicht belangt werden) und der außerberuflichen Immunität: Bei einer Tat, die offensichtlich nicht im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit steht, erfolgt die Aufhebung der Immunität. Auch in Österreich muss das Parlament die Immunität in jedem Einzelfall aufheben, bevor eine Strafverfolgungsbehörde tätig werden kann. Aber der Sinn dieser Regelung ist, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu schützen, und nicht, einen persönlichen Vorteil für Mandatare zu schaffen. Also Ja zur Immunität, aber kein Schutz bei Straftaten und bei Korruption.

Gegenüber der Presse attestierten Sie unserer öffentlichen Verwaltung etlichen Nachholbedarf und stellten Rumänien, sofern erwünscht, die Unterstützung Ihres Landes in Aussicht. Ist ein derart behäbiger und korruptionszerfressener öffentlicher Dienst überhaupt noch reformfähig? Und wo könnten österreichische Experten ansetzen?

Auf jeden Fall ist Österreich gerne bereit, Erfahrungen weiterzugeben und gleiche Behörden in beiden Ländern miteinander zu vernetzen. Konkret gibt es eine Kooperation der Bildungsministerien bei der Lehrlingsausbildung im dualen System, es steht außerdem im Raum eine Kooperation der Behörden für das öffentliche Beschaffungswesen (Vollziehung von Ausschreibungen), und es gibt ein österreichisches Angebot für die Raumordnung. Der rumänische öffentliche Dienst ist hier unser Partner, und ich möchte als Beispiel dafür auch die sehr gute Zusammenarbeit auf politischer und Beamtenebene in vielen Bereichen der EU-Donauraumstrategie hervorheben. Natürlich ist insgesamt im öffentlichen Dienst noch viel zu machen, aber warum sollte er nicht reformfähig sein?

Herr Botschafter, wie ist es um die österreichischen, hierzulande tätigen Unternehmen bestellt? In unseren Medien ist es recht still um sie geworden, während die österreichischen entweder über den neuen Rekordverlust der BCR/Erste oder den Verkauf der hiesigen bauMax-Töchter berichten – mit anderen Worten über nichts Gutes.

Natürlich halten österreichische Botschaft und Außenwirtschaftscenter engen Kontakt zu den Vertretern österreichischer Unternehmen. Ich glaube, es liegt sowohl im Interesse meines Landes und gleichzeitig dem Rumäniens, dass sich ausländische Investoren wohl fühlen, im Lande bleiben und gedeihen. Es macht daher Sinn, wenn erforderlich, politisch zu intervenieren und Probleme auszuräumen. Viele Firmen kennen die rumänischen Marktverhältnisse inzwischen recht gut und können ihre Strategien darauf erfolgreich ausrichten. Insgesamt ist und bleibt Rumänien ein wichtiger Hoffnungsmarkt, von stattlicher Größe und mit enormem Potenzial.

Welches sind die aktuellen Probleme der österreichischen Unternehmen?

Zurzeit wird, so scheint mir, sehr auf den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gewartet. Hier wären Erfolgsmeldungen über neue Autobahnstrecken zwischen Nădlac und Deva und weiter von Hermannstadt nach Bukarest sehr willkommen. Auch jede Verbesserung bei der Eisenbahn wird begrüßt. Ein heißes Eisen ist die schwindende Förderung für die Windkraftanlagen. Hier wurde viel Geld im Vertrauen auf die rumänische Regierung nach Rumänien gebracht, dieses Vertrauen sollte nicht enttäuscht werden. Es wird auch viel über den Ausbau der Berufsschulen gesprochen und es gibt erfreuliche Projekte für neue Berufsbildungseinrichtungen, z. B. eine Tourismusschule in Freck. Ansonsten schauen Firmenvertreter anscheinend sehr auf den Erhalt des deutschsprachigen Schulwesens in Rumänien.
Weitere Sorgenkinder wären das Steuersystem, die Abgabenkontrolle und Schlupflöcher für die Steuerhinterziehung, die Märkte verzerren können.

Wie sehr ist das Interesse der österreichischen Investoren am Standort Rumänien mittlerwei-le gesunken? Oder besteht etwa Aussicht auf neue Großinvestitionen?

Bekanntlich investiert die OMV in die Petrom jedes Jahr erhebliche Summen – und Petrom gehört nur zur Hälfte der OMV. Insgesamt beschäftigt Petrom über 19.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist nicht wenig. Die BCR beschäftigt über 6000. Ich glaube, dass Rumänien nach wie vor zu den wichtigsten Destinationen für österreichische Auslandsinvestitionen zählt und die rumänische Regierung einigen Spielraum dafür hat, derartige Investitionen weiter anzukurbeln.

Wie wichtig ist dabei eine moderne Transportinfrastruktur? Und wie sehr nervt Auslandsinvestoren, einschließlich die österreichischen, das Herumeiern unserer Politiker in puncto Autobahnen?

Um das genauer zu umreißen: Der Korridor IV ist von gesamteuropäischer strategischer Bedeutung. Das ist der Weg Europas zum Hafen Konstanza, in die Türkei, in den Schwarzmeerraum, nach Zentralasien und in den arabischen Raum. Von Rumänien aus können grundsätzlich Waren per Eisenbahn bis China verfrachtet werden. Der Korridor IV besteht aus Donau, Bahnstrecke und Autobahn. Alle drei Verkehrswege müssen ausgebaut werden. Für die Donau benötigen wir eine durchgehende Fahrrinne von ausreichender Tiefe für die Schleppkähne, und darüber hinaus für den regelmäßigen Betrieb als Sicherung die Ausweichmöglichkeit auf Bahn und Lkw. Fahrstrecken von 18 Stunden für Lkw von Hermannstadt nach Wien sind nicht zeitgemäß und, wie gesagt, nicht nur ein Thema für Hermannstädter und Temeswarer.

Europa hat bekanntlich eine besondere Geografie, wir müssen daher periphere Räume an den wirtschaftlichen Zentralraum über Verkehrsnetze anbinden. Das brauchen wir für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Glücklicherweise können wir Europäer viel Gütervolumen auf Binnenschifffahrtswege verlagern. Das ist ökologisch und wirtschaftlich am günstigsten. Für die Bahn benötigen wir die Binnenmarktvorteile, damit diese ihre Verkehrsmarktanteile nicht einbüßt. Ähnliches gilt auch für Gasnetze und Elektrizität. In beiden Bereichen hat Rumänien viel anzubieten.
Europa wird sich global nur dann weiter gut behaupten können, wenn wir alle unsere Ressourcen und naturgegebenen Vorteile nachhaltig und gescheit für uns nutzbar machen. Das klingt hochtrabend, ich weiß, aber es ist so. Für Rumänien heißt das, bitte mitmachen, nicht zurückbleiben.

Welches sind die derzeitigen Schwerpunkte im Rahmen der österreichisch-rumänischen Beziehungen?

Die bilateralen Beziehungen sind wirklich ausgezeichnet und vielseitig, also auf ganz vielen Ebenen lebendig. Das beginnt bei der hohen Politik, setzt sich fort auf Beamtenebene, ein Beispiel dafür ist die effiziente Polizeizusammenarbeit, es gibt Schul- und Städtepartnerschaften, gemeinsame und wechselseitige Kulturprojekte, die Migration von Personen, Wirtschaftsbeziehungen, Beziehungen auf Sport- und Vereinsebene und von Universitäten. Die Menschen sind im 21. Jahrhundert nicht mehr in gleicher Weise wie frühere Generationen auf ihren unmittelbaren geografischen Bereich fixiert.

Die moderne Kommunikation trägt dazu viel bei. Auch sind etwa Firmen in ihrem Verhalten und Denken viel internationaler geworden, zumindest innerhalb des Binnenmarktes. Das überträgt sich auf die bilateralen Beziehungen. Ich kenne in Österreich sehr viele Menschen, die wissen, dass die Firmen oder Institutionen, in denen sie tätig sind, auch mit Rumänien zu tun haben. Es leben heute rund 60.000 Rumäninnen und Rumänen in Österreich, etwa 1000 studieren in Österreich. Ich glaube, die politische Kooperation muss mit dieser Lebenswirklichkeit der Menschen Schritt halten. Wir errichten daher z. B. neue Honorarkonsulate in Rumänien. Es wäre auch schön, mehr Erasmus-Studenten in Rumänien zu haben.

Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, Botschafter bei Abschiedsinterviews auch über ihr schönstes und schlimmstes Erlebnis hierzulande zu befragen, die Antworten sind oft sehr relevant. Daher – was war Ihr schönstes und was Ihr schrecklichstes Erlebnis in Rumänien?

Als besonders bedrückend empfinde ich den Verlust von Unterstaatssekretär Helge Fleischer, der in Neppendorf begraben ist. Außerdem waren die schrecklichsten individuellen Erlebnisse noch zwei ganz traurige Beerdigungen lieber Menschen, beide Male in Bukarest, eine davon nach einem tödlichen Verkehrsunfall. Ich darf sagen, dass wir selbst im Straßenverkehr und auch gesundheitlich von schlimmen Überraschungen verschont geblieben sind. Es überwiegen die positiven und schönen Erlebnisse. Besonders ehrenvoll und außergewöhnlich waren eine Ehrendoktorverleihung (Universität 1. Dezember, Karlsburg) und zwei Ehrenbürgerschaften (Kronstadt und Pianu).

Meine Frau erhielt eine sehr schöne Auszeichnung seitens Business Arena. Sie hat sehr viel im karitativen Bereich erfolgreich zustande gebracht. Wir durften sehr würdige Anlässe mit Firmen begehen, wir waren von lieben Freunden eingeladen, konnten Freundschaften aus unserem früheren Aufenthalt in Bukarest wieder aufleben lassen. Wir haben überaus interessante und gescheite Menschen näher kennengelernt, auch solche aus der Politik. Wichtig für meine Frau und mich waren auch unsere Fahrten in die Republik Moldau. Dann möchte ich erwähnen, dass wir besondere Freunde der Törzburg und der Schulerau sind. Die vier Jahre in Rumänien haben wir – sowohl beruflich als auch privat – sehr intensiv erlebt.

Exzellenz, wir danken für Ihre Ausführungen und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.

Das Gespräch führte Lilo Millitz-Stoica.