Leben am Limit

Temeswarer Bergsteiger Horia Colibăşanu brach bereits fünf rumänische Alpinistenrekorde

In diesem Sommer hat Horia Colibăşanu seinen siebten Achttausender bezwungen

„Es gibt nur drei Sportarten: Autorennen, Stierkampf und Klettern. Der Rest sind schiere Spiele“, sagte Ernest Hemingway. Dieses Motto ist für Horia Colibăşanu ein Leitspruch fürs Leben. Der rumänische Bergsteiger gibt seine Leidenschaft nicht auf und nimmt jede Herausforderung mit Enthusiasmus an. „Hallo, ich bin Horia und ich kann ohne Sauerstoff atmen!“ sagt der 37-Jährige in einem knappen Vorstellungsvideo, kurz vor seiner jüngsten Expedition im Frühling dieses Jahres und meint damit, dass er ohne künstliche Sauerstoffzufuhr bis auf die höchsten Gipfel der Welt steigen kann.

Zehn Jahre sind es her, seitdem der Temeswarer Zahnarzt Horia Colibăşanu den Fuß auf den schwierigsten Achttausender der Welt, den K2, gesetzt hatte. Seitdem verging kein einziges Jahr, ohne dass Colibăşanu eine neue Herausforderung entgegengenommen hätte. Zuletzt hatte der rumänische Bergsteiger den Mount Everest im Visier. Mit seinen 8848 Metern ist er der höchste Berg der Erde. Er ist einer der 14 Achttausender und als höchster Gipfel Asiens auch als einer der „Seven Summits“ bekannt.

Im Mai kletterte der Alpinist Horia Colibăşanu auf den Everest, auch diesmal ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne die Hilfe einheimischer Sherpas. Der Wind war jedoch zu stark und das Unwetter hinderte ihn daran, bis zum begehrten Gipfel vorzudringen. Kurz davor hatte es der Temeswarer geschafft, seinen siebten Achttausender, den Shisha Pangma im Himalaja, zu bezwingen.  Während der Expedition war Horia nicht allein. Der Temeswarer bildete zusammen mit dem Slowaken Peter Hámor ein Team. Der slowakische Bergsteiger hatte bereits zehn Achttausender bezwungen und gilt als einer der besten Bergsteiger der Welt. Horia ist bisher der einzige Bürger Rumäniens, der die Himalaja-Gipfel K2, Annapurna und Dhaulagiri bezwungen hat – drei im Ranking der fünf tödlichsten Gipfel der Welt.

Im Gleichgewicht: Beruf, Familie und Bergleidenschaft

In totalem Kontrast zu seinem immer am Limit geführten Lebensstil ist es in der Zahnarztpraxis der Colibasanu-Brüder ganz ruhig. In dem alten Gebäude mit hohem Satteldach am Mihai-Viteazu-Boulevard erklingen ab und zu typische Zahnarztgeräusche: eine Vakuumpumpe, das Brummen einer Dentalturbine oder das Piepen eines Wurzellängenmessgerätes. Ab und zu hört man ein Flüstern: „Tut es weh?“ oder „Alles in Ordnung?“ Horia Colibăşanu übt seinen Beruf sehr ernsthaft aus. Seine Patienten wissen längst: Immer, wenn der Frühling kommt, geht ihr Lieblingszahnarzt auf Expedition. Ganz fest drücken sie ihm die Daumen, dass er wohlbehalten zurückkehren möge. Es gibt viele Patienten, die nicht einmal für einen Notfall zu einem anderen Zahnarzt gehen würden, gesteht Horia Colibăşanu und lächelt geschmeichelt. „Das ermuntert mich auch, ihnen treu zu bleiben!“ fügt er hinzu.

Im Leben von Horia Colibăşanu wird die Zeit streng eingeteilt, denn der Mann ist der erfolgreichste Bergsteiger Rumäniens, doch gleichzeitig eben Arzt und vor allem Familienvater. Damit er die höchsten Berge der Welt bezwingen kann, muss er das Gleichgewicht zwischen Beruf, Familie und seinem akuten Bedürfnis nach extremer Leistung finden.

Man kann ein leichtes Funkeln in seinen Augen erkennen, wenn er über seine Kinder erzählt: Mihnea ist dreieinhalb Jahre alt, [erban wurde in diesem Sommer ein  Jahr alt. Zusammen wohnt die Familie im neulich fertiggebauten Haus am Rande von Temeswar/Timişoara. Der Familie versucht Horia so viel Zeit wie möglich zu widmen. Wenn das Surren und Piepen seiner Zahnarztgeräte verstummt, ist es Zeit für Familie und Training. Es vergeht kein einziger Tag, an dem der Temeswarer seine Ausdauer und Leistung nicht trainiert.

Der einzige Bürger Rumäniens, der bisher auf die höchsten Berge der Welt ohne zusätzlichen Sauerstoff kletterte, betrachtet das Training als eine Art Sucht. „Es geht einfach nicht weiter ohne Sport!“ sagt Horia Colibăşanu. Ein typischer Tag beginnt für ihn mit einer zweistündigen Morgengymnastik und endet am Abend mit einem Lauf auf den Treppen des städtischen Fußballstadions. In seinem  Rucksack hängen dann immer zehn volle Zwei-Liter-Wasserflaschen. Mit dem 20 Kilogramm schweren Rucksack läuft Horia die Treppen des „Dan-Păltinişanu“-Stadions jeden Tag eine Stunde lang hoch und runter. „Auf dem Berg allerdings gehst du sehr langsam. Vor allem in großer Höhe kannst du bloß bis zu zwölf Kilo maximal auf dem Rücken tragen“, erzählt er. „Ich versuche daher, meinen Rucksack immer leicht zu machen und nehme tatsächlich nur das meiner Meinung nach strikt Nötige mit bis zum Gipfel“, fügt Horia hinzu.

Kletterfan seit früher Kindheit

Horia lebte schon als Kind seine Leidenschaft für Sport aus. Früh zeigte er eine besondere Vorliebe fürs Klettern. Es begann mit einem Berg hinter dem Haus seiner Großeltern,  in der Nähe von Hermannstadt/Sibiu, wo er in seiner Kindheit immer die Sommerferien verbrachte. Er ging aus dem Garten seiner Großeltern, querte eine Viehweide und begann zu klettern. Immer blieb er auf halbem Weg stecken – ein dichter, verstrüppter Wald erlaubte ihm nicht, weiter nach oben zu gelangen. So entwickelte sich sein Traum, dass es ihm eines Tages gelingen möge, höher zu klettern.

Als er sich mit einer Gruppe von Freunden auf seine erste Expedition außerhalb des Landes begab, 1998, war er 21 Jahre alt und im dritten Jahrgang an der Uni. Das Ziel war der Elbrus (5642 Meter), der höchste Gipfel im Kaukasus. Seitdem verpasste er keine Möglichkeit, an Expeditionen teilzunehmen, sodass die Jagd nach Sponsoren, die Suche nach einem geeigneten Kletterpartner und das tägliche Training bald seinen Lebensstil definierten.

Horia lässt keine Gelegenheit aus, um zu trainieren. Wenn er Zeit hat, geht er zum Stadion und läuft, an anderen Tagen geht er ins Fitnessstudio oder an die Kletterwand, Eislaufen mit der Familie oder ins Schwimmbad. Er braucht alle Trainingsarten, denn damit er die Höhe ertragen kann, muss sein Körper topfit sein.

Bei 2000 Metern Höhe beginnt die größte Belastungsprobe. Der Körper braucht eine Zeit zur Anpassung an den Luftdruck, an die trockene Luft und die Kälte. Deshalb verbringen die meisten Kletterer einen großen Teil ihrer Expeditionen, die zwischen zwei und drei Monaten dauern, mit dem täglichen mehrmaligen Bergauf- und Bergabklettern von den Basislagern, um ihren Körper an die hohen Belastungen zu gewöhnen. Die Basislager des Himalaja sind in rund 5000 Metern Höhe installiert. Hier beginnt die Übelkeit als Abwehrreaktion des Körpers auf die ungewohnten Umweltbedingungen – Kopfschmerzen und Schwindel, Hypothermie, Hypoxie und Hypoglykämie, mit all diesem muss ein Bergsteiger rechnen.

2004 – der erste Achttausender

Im Extremfall gibt es sogar ein Lungenödem, das dringend behandelt werden muss. „Die Hypoxie wird zum Dauerzustand bei 7000 Metern Höhe. Der Körper bekommt nicht genügend Sauerstoff über die Atmung und die körperliche Leistungsfähigkeit wird vermindert, sodass die Kletterer sich nicht mehr konzentrieren können“, erzählt der Arzt Colibăşanu. Dort oben, „machst du einen Schritt – und dann schnappst du in einer Minute zwanzig Mal nach Luft, mit all deiner Kraft, um mehr Sauerstoff zu atmen“, sagt Horia.

Im Juni 2004 kletterte er zusammen mit einem anderen Bergsteiger, Fane Tulpan, auf den K2 (8611 Meter), den zweithöchsten der 14 Achttausender im Himalaja. Das ist einer der schwierigsten Gipfel, die es zu bezwingen gibt. Fane war 32 Jahre alt und war schon im Jahr zuvor auf dem Everest gewesen. Horia war 27 und hatte vorher das Tienschan-Gebirge, mit den höchsten Gipfeln über 7000 Metern, bezwungen. Damals hatte er nicht einmal die notwendige Ausrüstung oder ein Zelt und umso weniger die notwendigen 5000 Euro Expeditionskosten. Mit etwas Glück schaffte er es, durch Sponsoring das Geld zu sammeln. Arbeitete Zusatzstunden in der Zahnarztpraxis und bekam die Ausrüstung geliehen. Spätestens als er im darauffolgenden Jahr wieder ankündigte, er würde sich auf einen Achttausender begeben, war allen klar: „Der Wahnsinn vergeht bei dem nicht mehr!“ lacht der 37-Jährige laut. In den fast zehn Jahren seither erkletterte Horia sieben Gipfel über 8000 Meter und brach dabei fünf rumänische Rekorde im Kletterstil der „Puristen“, d. h. ohne zusätzlichen Sauerstoff.

Ein Held unter Extremalpinisten

Das Leben am Limit ist nichts Ungewöhnliches für den Temeswarer Bergsteiger. 2008 musste Horia den Tod seines Freundes, des spanischen Bergsteigers Iñaki Ochoa de Olza am Annapurna im Nepal miterleben. Dieser hatte bereits die Hauptgipfel von zwölf Achttausendern und einen ihrer Nebengipfel bezwungen. Den Cho Oyu bestieg er zweimal. Alle seine Aufstiege führte er ohne Sauerstoffunterstützung und mit so wenig Fixseilen wie möglich durch. Er war der erste Spanier, der einen 8000er in 24 Stunden bezwang.

Beim Versuch, den Annapurna über die Südseite zu erklimmen, kam Ochoa ums Leben. Nach einem gescheiterten Versuch, den Gipfel zu erreichen, schaffte er es noch zu seinem vierten Hochlager auf etwa 7400 Metern Höhe zurück, wo er  kollabierte. Der Notruf seines rumänischen Partners Horia Colibăşanu erreichte zwei andere Bergsteiger, die sich ebenfalls an der Annapurna-Südwand befanden und ihre Erstbesteigung vorbereiteten. Ein weiteres rasch zusammengewürfeltes, internationales Rettungsteam, darunter einige kasachische Spitzenbergsteiger, machten sich mit Medikamenten auf den Weg, aber nur ein einziger Bergsteiger konnte Ochoa nach zwei Tagen erreichen. Horia Colibăşanu war durch den langen Aufenthalt in extremer Höhe mittlerweile selbst gesundheitlich schwer angeschlagen und hätte so schnell wie möglich absteigen müssen. Für Ochoa kam dennoch jede Hilfe zu spät. Er verstarb im Beisein des dazugestoßenen Alpinisten.

„Der Tod von Iñaki war der härteste Test, den mir der Berg zumutete“, sagt Horia. Ohne Rücksicht auf sich selbst hatte er sich geweigert, seinen Freund allein auf dem Berg zurückzulassen. So wurde Horia zu einem Helden im engen Kreis der Extrembergsteiger der Welt. „Dort oben hat man keine Zeit für Emotionen. Diese kommen erst dann, wenn du von oben herab schaust: Das ist atemberaubend – ein Gemisch aus Frohsein, Angst vor der Enttäuschung, unerwartet aufwallender Erregung und Hoffnung“, schließt Horia Colibăşanu.