Lebt Spielzeug?

Zu Besuch in der großen Welt der Kleinmodelle

Shwan Sebastian, von Beruf Konzertpianist, 37 Jahre und leidenschaftlicher Sammler von Modelleisenbahnen und LEGO-Spielzeugsätzen, vor der aufgebauten LEGO Town.
Foto: privat

Eine Kleinstadt mit Güterbahnhof und vorprogrammierten Zügen. Die Steuerung solcher Anlagen erfolgt heute über Prozessoren oder Rechner und erfüllt im Wesentlichen genau dieselben Anforderungen wie der „echte“ Eisenbahnverkehr.

Ein imaginärer Planet, den LEGO-Männchen im LEGO Space bevölkern.
Fotos (2): Hans Butmaloiu

Sollten Sie irgendwann einem Kleinkind obige Frage stellen, so könnte es durchaus sein, dass die bejahende Antwort sogar von einer Vorführung begleitet wird, wie die Lieblingspuppe oder der Kuschelbär von der imaginären Suppe schlürft. Doch im Folgenden soll nicht von Puppen, die gekämmt werden oder Stoffhunden, die Ball spielen wollen die Rede sein, sondern von der durchaus reellen Welt der Modellsammler, Bastler und Tüftler, die fast unbeachtet ein Parallelleben führen: in der Welt der Modelleisenbahnen und Dioramen.
 

Unweit des Marktplatzes von Kronstadt/Braşov wurde am Sommeranfang eine Ausstellung eröffnet, die zurzeit zu einem Pilgerort für Kindergartengruppen und Eltern, Großeltern bzw. Kindern geworden ist. In drei großen Räumen stehen mehrere großflächige Tische, von denen jeder eine Welt in Miniatur beherbergt. Über zwei der Tische gibt es sogar einen Miniaturweltraum. Es ist eine Ausstellung von Legospielzeug und Modelleisenbahnen, mit deren Erschaffern wir sprachen.

Laut Definition sind Modelleisenbahnen maßstäbliche Nachbildungen echter Eisenbahnen. Je nach Maßstab weisen sie mehr oder weniger genaue Details des Originals auf. Es ist zwar etwas weit hergeholt, doch wörtlich genommen gehörten auch die hölzernen Nachbildungen von Lok und Waggons in diese Gattung, genau wie die aus Dünnblech mit einem Federantrieb und aufgemalten Teilen. Keine der letzteren werden Sie jedoch in der Ausstellung finden, sondern nur richtige Sammlermodelle mit eigenem Antrieb in nachgebildeter Landschaft, mit Gebäuden, Straßen, Fahrzeugen und Bäumen. Es sind Modelle zweier Erzeuger, die von Kennern hoch geschätzt werden: Piko und Roco, wobei beim ersten Namen es bei manchem Leser klingeln könnte, denn Piko war vor 1990 das einzige Produkt, zu welchem man, natürlich als „Buckelware“ auf dem einheimischen Spielwarenmarkt, Zugang hatte.

Märklin, Fleischmann und Roco belegen die ersten drei Plätze in der Welt der Modelleisenbahnen, doch für Nostalgiker bleibt Piko auch mit dem Gefühl „der ersten eigenen Lok“ verbunden, welches durch nichts ersetzt werden kann. Der ehemalige volkseigene Betrieb (VEB) der DDR war der einzige Erzeuger dieser Art von Spielzeug im gesamten Ostblock und seine Modelleisenbahnen und -zubehör in den Nenngrößen H0 und N waren sehr gefragt. Und weil der Held unserer Geschichte auch mit Piko angefangen hat, hier die Kurzgeschichte der Marke: 1948, also noch bevor es die DDR als selbständigen Staat gab, beschloss die sowjetische Militärverwaltung, aus welchen Gründen auch immer, in einem enteigneten ehemaligen Siemens & Halske-Werk die Entwicklung und Produktion einer elektrischen Miniatureisenbahn. Dieses befand sich in Chemnitz und hatte bis dahin Messgeräte hergestellt.

1949 kamen zwei Spielzeugeisenbahnen der Baugröße H0 auf den Markt und waren eine der Sensationen der Leipziger Herbstmesse. Die längst zur Legende gewordenen Sätze enthielten je eine Elektrolokomotive ME 102 oder die stromlinienförmige Dampflokomotive mit Schlepptender ME 101. Der Name Piko entstand als Abkürzung für Pionier Konstruktion und ist bis heute geblieben, auchwenn die Produktion mehrmals verlagert wurde. Nach wenigen Jahren schon war die Nachfrage, auch im Ausland, so gestiegen, dass der Bedarf durch die Fabrik in Chemnitz nicht mehr gedeckt werden konnte und 1952 eine Verlagerung nach Sonneberg notwendig wurde. Für die steigende Zahl der Modelle - alles Nachbildungen von tatsächlich existierenden Loks und Waggons - entstand eine eigene Entwicklungsabteilung. Preiswert, sehr präzise in der Ausfertigung und mit einer immer größer werdenden Auswahl von Zubehörteilen ergänzt, wurden Piko Modelleisenbahnen Anfang der 80er Jahre auch vom Versandhaus Quelle vertrieben.

Damals hatte sich auch Shwan Sebastian (37) unwiderruflich in die leise rasselnden Loks verliebt, die er als Kind geschenkt bekam und deren unermüdliche Kreisbahnen er auf dem Fußboden gebannt verfolgte.
 

Wie wurden Sie zum Sammler und wann begann Ihre Leidenschaft genau?

Es steckte mir irgendwie im Blut, denn meine ersten Erinnerungen sind aus der Zeit, als ich so um die drei Jahre alt war und meinem Vater, selbst Sammler von Modellen „Berliner TT Bahnen” im Maßstab TT (d.h. 1:120) zusah. Er hatte eine Sammlung von Modellbahnen, doch seine Leidenschaft waren eigentlich Flugzeuge gewesen. In seiner Jugend hatte er davon geträumt, Pilot zu werden. Da ich von seiner Sammlung umgeben war, hatte mein Kindheitstraum mehr Bodennähe: Ich wollte Lokführer werden!

Schon als ganz kleiner Junge faszinierte mich die echte Eisenbahn, wo ich sie auch zu sehen bekam: in Bahnhöfen, in Fahrt, überall. Das Eisenbahngleis und der sie umgebende Geruch von Teer aus den Holzschwellen waren meine Welt. Ich war es also, der meine Begleiter, ob Mutter, Tante oder Oma, hinter sich auf wahre „Erkundungsreisen“ zog, einige davon sogar ziemlich abenteuerlich.
 

Bei so einer Vorgeschichte drängt sich die Frage auf: wie viele Teile umfasst Ihre Sammlung zurzeit?

Es sind zwei Bereiche: einmal die H0-Größe, Maßstab 1:87, welche 115 Loks und über 300 Waggons umfasst; dann die TT-Größe, Maßstab 1:120, welche 40 Loks und 131 Waggons umfasst. Diese sind hauptsächlich deutsche Modelle, sowohl von der Deutschen Bundesbahn als auch der Deutschen Reichsbahn (der staatliche Eisenbahnbetrieb in der ehemaligen DDR nannte sich so bis 1994). Als historische Bereiche gibt es die Unterteilung in III und IV, die sich von 1945 bis 1985 erstreckt. Die TT-Sammlung liegt mir ganz besonders am Herzen, denn sie kommt direkt aus meiner Kindheit und enthält ausschließlich Modelle der Firma „Berliner TT Bahnen“.
 

Nun können sehr viele dieser Modelle hier in Kronstadt in einer Dauerausstellung sowohl in einem Diorama als auch in Schauvitrinen bewundert werden. Sie leben in Bukarest, wie kam es also, dass die Ausstellung in Kronstadt steht?

Von 2012 bis 2016 hatte ich die große Ehre und auch das Vergnügen, die Modelleisenbahnausstellung im Bahnhof von Sinaia verwalten zu dürfen. Der Standort und das damals ausgestellte Diorama gehören der nationalen Eisenbahngesellschaft CFR, und als der Mietvertrag für den dortigen Raum zu Ende ging, da haben wir wortwörtlich „unser Spielzeug eingesammelt“, d.h. alle Modellbahnen, die LEGO-Sammlung, die Flugzeuge; alles, was eben Privatsammlung ist, und sind nach Kronstadt gekommen. Dort habe ich die Herausforderung angenommen und wollte sehen, ob ich es schaffe, eine neue Ausstellung einzurichten, und zwar von Grund auf. Ich habe die Räumlichkeiten gemietet und alles, was zu sehen ist, entstand durch Eigenleistung; meiner und jener, die mir zur Seite stehen.

Weshalb aber Kronstadt? Das ist, weil mich mit dieser Stadt bedeutende Dinge aus meinem Leben verbinden: Hier war ich auf der Hochschule, hier habe ich meinen Master gemacht, also kann ich ruhig sagen, dass ich zu Kronstadt eine ganz besondere Verbindung aufgebaut habe. Nicht zuletzt fiel die Entscheidung aber auch, weil ein Großteil der Besucher in Sinaia damals schon meinte, ich solle doch mit der Ausstellung auch nach Kronstadt kommen.
 

Wie sieht die nahe und weniger nahe Zukunft der Ausstellung aus?

Die Ausstellung, deren Namen ich jetzt doch nennen werde - sie nennt sich „Das Städtchen der Modellbahnen, Kronstadt“ - ist als Dauerausstellung gedacht. Zurzeit umfasst sie zwei LEGO-Sammlungen, und zwar LEGO-Teile vom Ende der 70er Jahre, einen Teil meiner Modellbahnensammlung in Vitrinen und ein Diorama, in welchem wöchentlich neue Modellbahnen aus der Sammlung fahren. Neueinrichtungen von größerem oder kleinerem Umfang finden durchgehend statt, eine davon ist z.B. die Sammlung von Flugzeugmodellen im Maßstab 1:72, welche bald zu sehen sein wird. Eine große Neueinrichtung wird folgen, und zwar eine auf der gesamten Fläche der Ausstellung, mit einem durchgehenden Diorama. Dafür haben wir das Projekt fertig gestellt, doch die Umsetzung mit mehr Gleisen, Anlagen, Städtchen, Bahnhöfen, Tunnel bedeutet einen sehr großen Arbeitsaufwand, viel Kreativität und selbstverständlich auch die dazugehörigen Mittel!

Zum Beispiel konnte ich in diesem Sommer das Spielzeugmuseum „Hans-Peter Porsche TraumWerk” in Bayern besuchen. Von dort sind wir mit ganz großen Plänen zurückgekommen. Bloß, hinter dem Museum in Bayern steht ein Name wie H.P. Porsche und da kann ich nur sagen, dass wir zwar viele Ideen haben, doch mit den Mitteln steht es nicht so gut. Wir befinden uns eben auch auf der stetigen Suche nach Partnern, Liebhabern von Bastelarbeiten und Gönnern, die zu finden sehr schön wäre.
 

Die Ausstellung enthält zwei LEGO-Bereiche: eine, sagen wir, „Weltraumstadt“, wo auch Raumschiffe von der Decke hängen, und eine irdische mit Parkhäusern und Menschen. Wann begann die Leidenschaft für LEGO?

Das liegt sehr weit zurück, außerhalb meines Erinnerungsvermögens, denn man erzählte mir, dass ich, als ich erst ein Jahr alt war, LEGO- Sätze bekommen habe, mit denen ich spielte. Ich blieb ihnen treu, bis ich so ungefähr 13 Jahre alt wurde und kaufte mir immer neue Sätze mit dem Geld, welches ich als Preis für gewonnene Klavierwettbewerbe bekam. Es folgte dann eine Zeit, in der ich begann, dem Klavier Vorrang zu geben, doch der Gedanke, meine Sammlungen zu ergänzen, setzt sich auch heute fort. Seit 2009 habe ich das auch gemacht und kann heute stolz altes LEGO-Spielzeug – und zwar LEGO Space und LEGO Town– der Jahre 1978–1993 vorstellen!
 

Wir danken Ihnen für Ihre Ausführungen.