Leistung  und Lohn

Der berühmte Schriftsteller Franz Werfel (er starb 1945) schrieb einen Roman mit dem Titel: „Der veruntreute Himmel“. Die Hauptperson dieses Buches ist die Magd Teta Linek. Sie kennt ihre Dienstmagdpflichten genau und erfüllt sie auch gewissenhaft. Sie hält sich an das Prinzip: Wie die Arbeit, so der Lohn! Es hängt also von ihrer Leistung ab, wie viel sie verdient. Aber sie ist nicht nur eine verlässliche Dienstmagd, sondern auch eine gläubige Christin. So will sie durch Arbeit und Leistung nicht nur ihre irdische Existenz sichern, sondern sich auch den Himmel „verdienen“. In ihrer Naivität überträgt sie das irdische Schema Leistung-Lohn, nach dem sie als Dienstmagd lebt, auch auf den Himmel. Darum schickt sie einen armen Neffen ins Priesterseminar. Alle Ausbildungskosten zahlt sie von ihrem sauer verdienten Lohn. Sie denkt: Kann ich Gott mit meinem Geld einen Priester geben, so verdiene ich mir damit den Himmel. Doch der Neffe enttäuscht ihre Erwartungen. Er schreibt ihr Jahre hindurch Briefe, bittet immer wieder um Geld, berichtet von seinen Studien, von seiner Priesterweihe und seinem ersten Wirkungsfeld. Doch alles ist Lüge. Nach langem Suchen findet sie ihn als einen verkommenen Menschen, der überhaupt nicht studiert hat. Sie ist  verzweifelt; das ganze Geld war unnütz zum Fenster hinausgeworfen. Das Resultat all ihrer Opfer: kein „verdienter“ Himmel, sondern ein „veruntreuter“ Himmel. Erst auf einer Rom-Wallfahrt, wo sie aufs Sterbebett sinkt, geht ihr ein Licht auf, dass man sich den Himmel nicht „verdienen“ kann, sondern nur von Gott als Geschenk empfangen.
Hier auf Erden herrscht das Leistungsprinzip: Wie die Leistung so der Lohn. Viele fromme Juden übertrugen, wie diese Dienstmagd, das Schema Leistung-Lohn auch auf Gott. Daher die peinliche Erfüllung von äußeren Vorschriften bei den Pharisäern. Sie dachten: Je höher die Leistung, desto größer der Lohn.

Dieser Auffassung tritt Christus im heutigen Evangelium entgegen. Der Arbeitgeber einigt sich mit den Arbeitern auf einen Tagelohn von einem Denar. Es ist ein gerechter Lohn, sie sind damit zufrieden und gehen in den Weinberg. Auch später, zu verschiedenen Stunden, schickt der Weinbergbesitzer noch andere Männer, die keine Arbeit gefunden haben, in den Weinberg. Einige arbeiten nur eine einzige Stunde und dennoch erhalten alle, unabhängig von der Dauer der Arbeitszeit und der Leistung, den gleichen Lohn: einen Denar. Die Arbeiter der ersten Stunde murren, sie wollen mehr als die anderen haben. Sie haben doch mehr geleistet. Nach unserem menschlichen Leistungsprinzip haben sie recht. Bei Gott aber gilt ein anderes Prinzip: nicht Leistung-Lohn, nicht Knecht-Herr, nicht Angestellter-Unternehmer.

Kann ein Mensch Gott gegenüber mit Recht auf seine Leistung pochen? Der hl. Paulus sagt: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Hast du aber es empfangen, warum willst du dich rühmen?“ Alles, was wir sind und haben, ist ein Geschenk Gottes. Ohne seine zuvorkommende Gabe gibt es keine sittliche Leistung. So lautet das Prinzip Gottes: schenkende Gnade! Darum sagt wiederum der hl. Paulus: „Es kommt nicht aufs eigene Laufen an, sondern auf Gottes Erbarmen.“ Das richtige Verhältnis des Christen zu Gott ist nicht das Verhältnis Knecht-Herr, Arbeiter-Arbeitgeber, Leistung-Lohn, sondern das innige Verhältnis Kind-Vater! Der Leistungsgläubige schielt auf die Hand Gottes, was er als Lohn erhalten wird. Wer sich als Kind Gottes fühlt, blickt auf das Herz Gottes. Er liebt Gott und geht ihm in Liebe entgegen. Liebe rechnet nicht mit Leistung und Lohn - Liebe will sich hingeben, Liebe will sich verschenken! Wie wird Gott wohl auf eine solche kindliche Haltung antworten? 

Unter Alexander dem Großen hatte sich ein Soldat durch eine Heldentat ausgezeichnet. Dafür schenkte ihm der König eine ganze Stadt. Der Soldat konnte diese Freigebigkeit nicht fassen und meinte, ein Haus in der Stadt wäre wohl als Lohn genug. Alexander antwortete: „Ich frage nicht, was für dich genug ist, sondern was sich für mich als König zu geben geziemt.“

Lassen wir also das Leistung-Lohn-Schema für die irdischen Bereiche. Hier hat es seine Berechtigung. Wo es sich aber um Gott handelt, gehen wir ihm als liebende Kinder entgegen. Suchen wir das Herz Gottes, ohne auf die Hand zu schielen, ob sie auch sicher den gerechten Lohn birgt. In der Liebe lässt sich Gott nicht übertreffen. Seine Verheißung lautet: „Ich werde dein übergroßer Lohn sein!“