Luther und die Kirchenburgen

Gedanken zu einer Strategie zum Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen

Im Februar 2016 sind kurz hintereinander Teile des Glockenturms in Radeln und der ganze Turm in Rothbach eingestürzt. Sowohl in der Presse als auch im Internet ist ausführlich darüber berichtet worden. So stand am Donnerstag, dem 18. Februar 2016, in der ADZ: „Ein Eck vom Turm der Radler Kirchenburg ist am Sonntagnachmittag abgebrochen. Benötigt werden dringende Sicherheitsmaßnahmen, um weitere Schäden, wie z. B. Sturz der drei Glocken vorzubeugen. Die Nachricht verbreitete sich auf Facebook in Windeseile und führt zu kontroversen Diskussionen über Schuldzuweisungen bezüglich dieses Zwischenfalls, über Lösungsvorschläge, über den Sinn einer Spendenkampagne.“ Über den Einsturz des Turmes in Rothbach wurde am Dienstag, dem 23. Februar 2017, ebenfalls in der ADZ berichtet: „Dort wo der mächtige Kirchenturm stand, direkt an der stark befahrenen DN 13, die nach Schässburg führt, ist es nun jenseits der Wehrmauer bis zum Kirchengebäude leer geworden.

Der Turm ist weg und mit ihm auch das bekannteste Wahrzeichen von Rothbach/Rotbav. Er ist Freitagabend, um 21 Uhr, eingestürzt.“ Über diese beiden Ereignisse ist in der Presse, im Internet besonders auf Facebook widersprüchlich über Schuld, die Behebung der Schäden, die Verantwortlichen dafür und die Finanzierung der Bauarbeiten diskutiert worden. Nun, nach eineinhalb Jahren, ist es still geworden. In einem Artikel der ADZ über die Stiftung Kirchenburgen – „Verankerung des sächsischen Kulturerbes in der rumänischen Gesellschaft hat erst begonnen“, ADZ vom 26. August 2017, Seite 8 – wird erwähnt, dass gewissen Kirchenburgen „ein ähnliches Schicksal droht, wie den Kirchtürmen in Rothbach/Rotbav und Radeln/Roadeş“. Heißt das, dass man sich mit dem teilweisen Verlust dieser Kirchenburgen abgefunden hat?
Zur Beantwortung dieser Frage kann ein Blick auf das Schicksal dieser Baudenkmäler während der letzten fünfzig, sechzig Jahre aufschlussreich sein. Besonders günstig war dieses Schicksal für sie wohl nicht: War es vor der Wende von 1989 im kommunistischen Rumänien nicht leicht, für entsprechende Finanzierungen und Genehmigungen zu sorgen, so hat der Exodus der Sachsen nach 1990 den Erhalt des sächsischen Kulturerbes in Siebenbürgen vor schwierige, manchmal unlösbare Herausforderungen gestellt.

Betrachten wir die beiden Einstürze rein technisch. Der weitaus größte Teil der im Mittelalter errichteten Kirchenburgen bestehen aus einem Mauerwerk, bei dem die Mauerwände meist aus Fluss- oder Bruchsteinen hochgezogen wurden und dazwischen Füllmaterial aus Steinen und Kalkmörtel gegossen worden ist. Ziegel- und Mischmauerwerk kommt seltener vor, Fachwerk nur beim Aufbau von Türmen und Wehrgeschossen. Sieht man sich die Bruchstellen an, kann man diese Technik gut erkennen, die Mauerreste sind ein mit Mörtel durchmischter Haufen von Steinen verschiedener Größe. Interessant ist, dass dieses Mauerwerk sich sehr homogen verhält und viele Erdbeben und andere Beanspruchungen im Lauf der Jahrhunderte ausgehalten hat. Möglicherweise kann dieses durch den verwendeten Mörtel, vielleicht aber auch durch sein hohes Alter erklärt werden. Wenn dies Mauerwerk jedoch einstürzt, zerfällt es zur Gänze in seine Bestandteile; in Radeln war dies ein Steinhaufen an der Basis des Turmes, so auch in Rothbach, wo keine Mauerreste erhalten geblieben sind.

Ähnliche Einstürze hat es natürlich auch in der jüngeren Vergangenheit gegeben. Hier führen wir nur zwei Beispiele an. In Holzmengen ist ein Teil des südlichen Turms der inneren Wehrmauer eingestürzt, er ist im Zuge der Restaurierung der Kirchenburg 1994-1995 wiederhergestellt worden. In Weidenbach ist ein Abschnitt der Ringmauer im Osten der Kirchenburg 1996 eingestürzt, er wurde ebenfalls im Zug einer durch die Kulturstiftung der Länder aus Deutschland finanzierten Restaurierung rekonstruiert . Auch in Bogeschdorf sind Anfang der 90er Jahre zwei Wände der im Osten gelegenen Bastei eingestürzt, sie wurden mit Ziegelmauerwerk wiederaufgebaut, finanziert ebenfalls von der Kulturstiftung der Länder.

Dem Auseinanderbrechen von Türmen kann mit Stahlverankerungen, die die Horizontalkräfte übernehmen, effizient vorgebeugt werden. Besonders im Burzenland, wo die Erdbebengefahr höher ist als weiter westlich in Südsiebenbürgen, ist dieses Verfahren angewendet worden, so z. B. in Honigberg (2002-2003), wo die Zuganker sowohl innen als auch außen an den Turmmauern verlegt worden sind. In Brenndorf sind 1978, nachdem durch das Erdbeben vom März 1977 gefährliche Risse entstanden waren, Zuganker durch die bis zu drei Meter dicken Mauern eingesetzt worden. Die dafür nötige Bohrmaschine wurde der Bauabteilung des Landeskonsistoriums von Kirchen aus Deutschland geschenkt. Bei einsturzgefährdeten Mauerabschnitten hat man in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Mauer eingelassene L-förmige Stützen und horizontale Betongurte eingesetzt, die man heute noch unter anderen in Radeln und Wurmloch sehen kann. Die Verwendung von Eisenbeton wird heute nicht mehr empfohlen, sodass je nach konkreter Situation andere Techniken zur Anwendung kommen können.

Was ist zu tun in den beiden anfangs erwähnten Fällen? In Radeln muss, aus meiner Sicht, möglichst bald mit dem Wiederaufbau der Turmmauer begonnen werden. Es sollte ein erfahrener Statiker dafür sorgen, dass eine gute Verbindung zum vorhandenen Mauerwerk erreicht und eine entsprechende Unterlage für den Dachstuhl erzielt wird. Warum möglichst bald? Damit die Originalsubstanz, die noch auf der Baustelle vorhanden ist, wiederverwendet werden kann. Das ist aus zwei Gründen empfehlenswert: Es ist einerseits denkmalgerecht und andererseits sicher kostengünstiger als eine Restaurierung mit neuem Material. Besonders die Bestandteile des hölzernen Dachstuhls sollten möglichst originalgetreu wieder an ihrer ursprünglichen Stelle eingesetzt werden. Letztlich ist jede Verzögerung der Wiederherstellung kontraproduktiv, durch den Verlust von Originalsubstanz und durch die Steigerung der Kosten.
In Rothbach haben wir eine andere Lage. Da hier durch den totalen Einsturz des Turmes die verwendbare Originalsubstanz gleich Null ist, muss entschieden werden, ob der Turm wiederaufgebaut werden soll oder nicht. Für den Wiederaufbau spricht, dass es sich hier um ein Wahrzeichen der Ortschaft handelt.

Auch war dieser Turm der einzige Glockenturm einer Kirchenburg im Burzenland, der Elemente von Verteidigungsarchitektur aufzuweisen hatte, einen Kranz von Guss- und Schießscharten im letzten Geschoss. Entsprechend den Grundsätzen der Denkmalpflege gilt, dass, wenn ein Denkmal ganz zerstört wurde, ein Wiederaufbau eigentlich nicht mehr in Frage kommt. Allerdings gibt es zwei interessante Beispiele, bei denen dieser Grundsatz nicht eingehalten worden ist: die Kampanile, der Turm neben dem Dogenpalast, auf dem Markusplatz in Venedig, der 1902, ähnlich dem Rothbacher Turm gänzlich einstürzte und zu einem Schutthaufen wurde, dann die Frauenkirche in Dresden, wo man sich 1994 zum Wiederaufbau des Baudenkmals entschied, von dem nach dem Einsturz im Februar 1945 nur noch spärliche Mauerreste vorhanden waren (Einweihung der wiederaufgebauten Kirche 2005). In beiden Fällen war das wichtigste Argument, dass es sich um Bauten handelte, die eine hervorragende Bedeutung in den jeweiligen Stadtsilhouetten hatten. Dieses Argument sollte auch im Fall Rothbach ausschlaggebend sein.

Welches der gegenwärtige Stand des Wiederaufbaus dieser beiden Türme ist, ist mir nicht bekannt, in der Presse wird darüber nicht berichtet. Dort wird, wie im erwähnten Artikel vom 26. August 2017, über den pragmatischen Ansatz nachgedacht, „wie man das wenig zur Verfügung stehende Geld einsetzen“ soll; denn „alle (Kirchenburgen) kann man nicht erhalten.“ Die Stiftung hat 2016 zusammen mit der TU Berlin und dem Kulturforum östliches Europa eine Wanderausstellung mit dem Titel: „Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen. Ein Europäisches Kulturerbe“ erstellt, die bisher in Berlin, Dinkelsbühl, Marburg, Bukarest, Hermannstadt und anderen Orten gezeigt worden ist. Weiter lesen wir in dem Artikel, dass „bis Ende 2018 die Stiftung zusammen mit der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat ein Notprogramm entwickeln will.“

Sicher ist die internationale Zusammenarbeit erfreulich und gut, doch soll und kann sie den direkten Handlungsbedarf vor Ort nicht ersetzen. Dass es in dieser Richtung auch überzeugende Beispiele für handfestes Anpacken und einzelne, engagierte Aktionen zum Erhalt von Kirchenburgen gibt, soll hier besonders herausgestrichen werden. Ich denke vor allem an die Kirchenburgen in Bulkesch, Trappold, Felldorf, Mardisch, Frauendorf und Kleinschenk, wo durch den Einsatz besonders einzelner oder von Gruppen motivierter Zeitgenossen beispielhafte Ergebnisse in Erhalt und Nutzung dieser Baudenkmäler erzielt worden sind. Nicht unerwähnt soll das Engagement verschiedener Eigentümer und Verwalter zum Erhalt und Betrieb von Kirchen und Kirchenburgen bleiben, so in den Dörfern Deutsch-weißkirch, Meschen, Almen, Bodendorf, Kerz, Holzmengen u. a. Durch den Wiederaufbau eingestürzter Teile von Kirchenburgen kann die Möglichkeit für die Instandsetzung und die spätere Restaurierung für die Zukunft offengehalten werden. Die erwähnten Beispiele berechtigen zur Hoffnung, dass sich auch in Zukunft Personen oder Gemeinschaften für den Erhalt einer bestimmten Kirchenburg ihrer Wahl einsetzen werden.

Nehmen wir den Turm in Rothbach. Sein Wiederaufbau bedeutet, je nach der vorgeschlagenen technischen Lösung, die Mittel für eine Quantität von 500-700 Kubikmeter Mauerwerk, und natürlich auch Lohnkosten für Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, eventuell Eisenbieger u. a. Eine konkrete Kostenschätzung wird eine Summe ergeben, für die eine Finanzierung sich im Bereich des Möglichen hält, besonders wenn ein Spendenaufruf aufgrund einer seriösen und nicht überzogen gewinnorientierten Planung erfolgt.
Heuer, im Jubiläumsjahr der Reformation, ist man geneigt, den Martin Luther zugesprochenen Satz mit dem Apfelbäumchen für Siebenbürgen umzuformulieren: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich das zerstörte Mauerwerk in Radeln ergänzen und den größten-teils erhaltenen Turmhelm draufsetzen, den Turm in Rothbach von Grund auf neu errichten und überlegen, den eingestürzten Chor der Kirche in Wölz wiederaufzubauen.“
Mit dieser Sicht befindet man sich in einer jahrhundertealten siebenbürgischen Tradition, die immer nur, den jeweiligen Umständen entsprechend, das Nächstliegende im Auge hatte, und dadurch in Zeiten großer Bedrängnis und Armut diese Kulturlandschaft geschaffen und eben auch erhalten hat. Im europäischen Kontext ist diese siebenbürgische Kulturlandschaft einzigartig und es wird allgemein anerkannt, dass sie wert ist, bewahrt zu werden.

Der siebenbürgisch-sächsische Beitrag, und dazu zählen neben den Städten die Kirchenburgen, bildet eine wichtige Stimme in dieser polyphonen Vielfalt. Sie unverfälscht zu erhalten, kann heute noch nicht ohne Weiteres an andere Gemeinschaften oder Institutionen delegiert werden. Der Umgang mit mittelalterlichen sächsischen, ungarischen und rumänischen Burgen, auch außerhalb Siebenbürgens, sollte diesbezüglich ein warnendes Beispiel sein: Denken wir an die Burgen in Reps, Deva und Marienburg (im Planungsstadium befinden sich die Burgen in Rosenau und Keisd), wo enorme Summen eingesetzt worden sind, um diese Baudenkmäler touristisch attraktiv zu machen, ohne dabei auf ihre historische, ästhetische und denkmalpflegerische Bedeutung Rücksicht zu nehmen. Angesichts dieser Investitionen kann man zum Schluss kommen, dass Siebenbürgen ein sensibleres Verständnis von Kulturlandschaft und ihrer Pflege verdient.
Dass ein fachgerechter Umgang mit den siebenbürgischen Baudenkmälern möglich ist, beweisen die erwähnten gut restaurierten Kirchenburgen, aber auch manch eine gute Restaurierung im städtischen Bereich. Sicher kann die Finanzierung eine wichtige Rolle spielen, ich bin jedoch der Meinung, dass es ein Fehler ist, sie als das entscheidende Moment zu verstehen.

Unsere Lage als ethnische Minderheit in Siebenbürgen kann auch als Untergang einer Kultur verstanden werden, der unbestritten auch seine ästhetischen Dimensionen hat und den man genüsslich darstellen und auskosten kann. Da muss sich jeder entscheiden, ob er der heutigen Situation der Minderheit auch positive Dimensionen abgewinnen kann oder ob er keinen Sinn darin sieht, sich weiter in Siebenbürgen zu engagieren. Finden wir heraus, welches in diesem Kontext Luthers Botschaft an unsere Generation sein kann.