„Man muss die Menschen an der Stelle abholen, wo sie sind“

Thomas Farnbacher arbeitet mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen

Therapeuten, die den JKA anwenden, müssen aus dem Ausland nach Rumänien kommen, denn solche Spezialisten gibt es hierzulande noch nicht
Foto: privat

Ein Mädchen liegt ganz entspannt auf einer weichen Matratze, Sonnenstrahlen dringen durch den Vorhang. Auf dem Sofa sitzt eine Frau – die Mutter. An diesem ruhigen Frühlingsnachmittag drehen sich die Schicksale der beiden um den Mann im Raum: Der Therapeut lenkt sanft die Bewegungen der Jugendlichen und biegt allmählich jedes Bein, dann den Rücken, das Becken und anschließend den Kopf der 14-Jährigen. Ab und zu wird ein Objekt gebraucht: ein Roller, um das Bein zu stützen, ein Tuch, um ihren Kopf zu schützen. Die Mutter springt rasch vom Sofa und bringt die notwendigen Gegenstände, dann setzt sie sich auf den Boden neben ihre Tochter, die gerade therapiert wird.

Im Hauptsitz des Vereins Sfântul Ştefan in Bukarest findet gerade ein fünftägiges Programm für Kinder mit besonderen Bedürfnissen statt, bei dem der Jeremy Krauss Approach (JKA) eingesetzt wird. Carmen Mustaţă unterhält sich mit Antonia und hilft auch als Übersetzerin, denn der deutsche Therapeut Thomas Farnbacher muss dem Mädchen mit Zerebralparese ab und zu Anweisungen erteilen. Meistens hört man aber nur die Stimme von Antonia. Mit ihren roten Brillen auf der Nase stellt Antonia Fragen, zählt Lieblingspersönlichkeiten und -länder auf, während Farnbacher sie sorgfältig behandelt. „Jetzt fühlt sie sich sehr wohl. Wenn sie etwas nicht machen will, dann kann keiner sie dazu bringen“, sagt die Mutter. Therapeut Thomas Farnbacher ist hierfür speziell aus Deutschland gekommen. Er ist Experte für die Feldenkrais-Methode und den Jeremy Krauss Approach, der Kindern mit erhöhtem Förderbedarf helfen soll. Wenn man über Kinder mit speziellen Bedürfnissen spricht, dann geht es um ein weites Feld, das Autismus, Zerebralparesen oder Erbkrankheiten umfasst. Kinder, die in ihrer Entwicklung gehindert sind, bei denen die Entwicklung langsamer vorangeht, erläutert Farnbacher.

Ein Ansatz für Kinder mit besonderen Bedürfnissen

Empfohlen wurde Thomas Farnbacher von Jeremy Krauss, der letztes Jahr nach Rumänien kam. Jeremy Krauss arbeitete damals auch mit der Tochter von Carmen Mustaţă, die zufrieden mit dem JKA ist. „Ich war ständig auf der Suche nach verschiedenen Therapien, damit der physische, geistige und psychologische Zustand meiner Tochter sich verbessert“, erinnert sie sich. Irgendwann kam sie in Kontakt mit der Feldenkrais Therapie: JKA wird als Weg beschrieben, der Kinder mit erhöhtem Förderbedarf hilft, zu lernen, zu wachsen und sich zu entwickeln, basierend auf der Feldenkrais Methode. Seit Antonia diese Therapie macht, konnte ihre Mutter feststellen, dass der Zustand ihrer Tochter tatsächlich besser wurde. Besonders begeistert ist Carmen Mustaţă von der Verbindung zwischen dem Therapeuten und ihrer Tochter. „Es ist der Ausgangspunkt für eine fantastische Zusammenarbeit“, sagt sie.

Farnbacher arbeitet sowohl mit Kindern als auch mit Erwachsenen. Außerdem betätigt er sich als Ausbilder für Therapeuten, denen er diese Methode beibringt. Wenn er aber mit einem Kind arbeitet, dann muss er vor der Therapiestunde mehr über es erfahren: „Ich möchte schon ein Bild von dem Kind haben, die Informationen lasse ich mir meistens von den Eltern schreiben. In der Stunde, in der das Kind kommt, möchte ich mich nicht in ersten Linie mit den Eltern beschäftigen müssen, sondern ganz dem Kind widmen“, sagt er. Man sieht sofort, dass diese Methode eine andere Perspektive bietet als die meisten Therapien.

Farnbacher sagt über Kinder, die von Therapien traumatisiert sind: „Kinder sind in der Regel höchst sensibel. Was soll das für einen Sinn haben, sie zu zwingen oder mit körperlicher Gewalt über eine Grenze zu gehen, wo es gerade gar nicht geht oder das Kind vielleicht nicht will“. Er findet, es sei schlauer, wenn man in der Richtung weitermacht, wo gerade etwas geht. „Später kommt man dann zu dem ersten Ansatz zurück, und dann geht es vielleicht plötzlich. Wieso geht es dann?“

Seine Herangehensweise ist nicht problemorientiert: Der Therapeut spricht über ein Netz an Fähigkeiten bei den zu Behandelnden, das mehrere Möglichkeiten anbietet, was den nächsten Schritt betrifft. Gewählt wird stets der leichteste Weg: „Mein Fokus liegt nicht auf dem, was fehlt. Er richtet sich auf das, was vorhanden ist. Was sind die Hauptbedürfnisse? Es geht immer um Weiterentwicklung“. Farnbacher erklärt, dass die Therapie für die Kinder körperlich anstrengend sein kann, denn „es passiert eine Menge auf der Ebene des Nervensystems“. Als Beispiel nennt er Kinder, mit denen er in Bukarest arbeitet. Es kann sein, dass manche nach der Therapie stundenlang schlafen oder sogar ein wenig kränklich wirken, wenn es zu viel war. „Heute kam ein Kind dran, mit dem ich gestern und vorgestern gearbeitet hatte, und es war noch vollkommen erschöpft“, illustriert der Therapeut.

Bewegung und Lernen

Farnbacher hat eigentlich Mathematik studiert und wollte Lehrer werden: „Mich hatte interessiert, wie man so etwas Fantastisches wie Mathematik so unterrichten kann, dass es den Leuten Spaß macht.“ Doch irgendwann wurde ihm klar, dass er „etwas mit Bewegung“ machen wolle. Im Laufe der Zeit hat er sich mit Kampfkunst, Physiotherapie und Tanz beschäftigt. „Ich habe alles ausprobiert, was ich kriegen konnte“. Schließlich hat er sich auf Bewegung und Lernen konzentriert, denn er fand, dass die beiden Dinge sehr stark zusammenhängen. „Fähigkeiten erlernt man, indem man Dinge praktisch tut - und in allen Bereichen ist mir immer wieder die Feldenkrais Methode begegnet“, meint der Therapeut. Seine Grundausbildung hatte er zwischen 1992 und 1995 in Wien absolviert, seitdem befindet er sich in ständiger Fortbildung bei Paul Newton und Jeremy Krauss. 2011 bis 2013 nahm er an den ersten formalen Ausbildungen für den JKA Jeremy Krauss Approach teil und arbeitet seitdem intensiv mit Kindern als zertifizierter JKA Praktiker. 2016 wurde er ebenfalls als JKA Ausbilder zertifiziert und gibt seither Seminare darin.

Feldenkrais und der Jeremy Krauss Approach

Der Gründer der Feldenkrais Methode ist Moshé Feldenkrais, ein Physiker, der die Zusammenhänge zwischen Bewegung, Wahrnehmung, Denken und Fühlen studierte. Zur Feldenkrais Methode gibt es nicht nur Bücher und Artikel, sondern auch Videos. Man unterscheidet die Gruppen-Methode (Bewusstheit durch Bewegung) und die Einzelmethode (Funktionale Integration). Letztere sieht vor, dass der Patient auf einem Tisch liegt und der Therapeuten ihn bewegt. Das geht nonverbal von statten: „Da sprechen wir eher nicht. Da bewegen wir“, erklärt Farnbacher. Viele bekannte Studien zeigen, wie man nach Feldenkrais mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen arbeitet. „Nur Feldenkrais hat es niemandem beigebracht. Er hat den Leuten beigebracht, wie man mit normalen Kindern arbeitet, aber er hat niemandem beigebracht, wie man die Feldenkrais Methode auf Special Needs Kids anwendet“, fügt Farnbacher hinzu. Deshalb hat Jeremy Krauss diese Methode entwickelt, die auf der Arbeit von Moshé Feldenkrais basiert. „Wir arbeiten mit dem ganzen Menschen. Wir sagen, wir fassen keinen Körperteil an, sondern wir haben Kontakt mit dem Menschen. Also, in unseren Augen kann man kein körperliches Problem haben, sondern es hat immer mit dem ganzen Menschen zu tun. Wir trennen nicht Körper, Geist und Seele“, erklärt der Therapeut. Was die Feldenkrais Methode im Allgemeinen angeht, kann Farnbacher sagen, dass es weltweit eine reale Nachfrage gibt. Allein in Deutschland existieren 4000 Therapeuten, dort gibt es auch den größten Berufsverband der Welt.

Antonias Mutter, Carmen Mustaţă, absolviert gerade selbst eine Ausbildung, damit sie den Jeremy Krauss Approach für Kinder mit besonderen Bedürfnissen anwenden kann. Derzeit gibt es mehrere ausländische Therapeuten, die nach Rumänien kommen, um Menschen zu therapieren, denn hier gibt es noch keinen Experten für die Feldenkrais Methode oder den Jeremy Krauss Approach.