„Mein Herz zieht mich nach Hause“

Anna Steinbinder – ein Paradebeispiel für die Solidarität der Sathmarer Schwaben

„Ich habe immer den anderen geholfen, soweit ich konnte“, meint die Schwäbin.

Anna Steinbinder in der Mitte der sathmarschwäbischen Tanzgruppe vom Kreisverband München.

Auf der Bühne beim Schwabentreffen in Bildegg

Frau Anni beim diesjährigen Treffen der Sathmarer Schwaben (ganz vorne) beim Trachtenumzug in Bildegg.
Fotos: Aida Ivan

Kurz vor Mitternacht in einem Bildegger Weinkeller bei der Weinprobe: Eine zierliche Frau mit lockigem, weißem Haar diskutiert lebhaft mit den anderen Sathmarer Schwaben. Genießt es in vollen Zügen, denn Geschichten und Anekdoten hat sie jede Menge zu erzählen. Sie scheint eine willensstarke Person zu sein und zeichnet sich durch ein besonders fröhliches Gemüt aus. Im Auto auf dem Rückweg nach Sathmar dürfen wir dann ihre verborgenere Seite kennenlernen: Sie singt melancholische Lieder aus früheren Zeiten, voller Sehnsucht nach etwas Unwiederbringlichem...
Am selben Tag hatte sie noch am Rundtischgespräch zum Thema „Förderung der Bildung in deutscher Sprache“ im Gebäude der Sathmarer Stiftung für Internationale Zusammenarbeit in Sathmar/Satu Mare sehr aktiv teilgenommen und den Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien ihre volle Unterstützung versprochen. Einen Tag davor sorgte sie beim Schwabentreffen dafür, dass keinem der Gäste etwas fehlte.

Anna Steinbinder lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, wo sie die Landsmannschaft der Sathmarer Schwaben im Haus der Heimat vertritt. Doch immer wieder kehrt „Frau Anni“, wie die beliebte Schwäbin in ihren Kreisen genannt wird, nach Rumänien zurück.

„Ich bin eine echte Sathmarer Schwäbin”, erklärt die gebürtige Schandenerin stolz. Das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, wurde früher nur von Schwaben bewohnt. Nach den ersten Schuljahren wurde sie nach Sathmar geschickt, um sich weiter zu bilden. 1981 wanderte sie zusammen mit ihrem 14-jährigen Sohn nach Deutschland aus. Jetzt sind es mehr als 30 Jahre her, seitdem Frau Anni in Nürnberg lebt. Inzwischen wohnt ihre ganze Familie in Deutschland. Ihre Landsleute in Rumänien hat sie trotzdem nie aufgehört zu unterstützen.

Von Schandern nach Nürnberg

Der Grund der Auswanderung war für Frau Anni der Sohn. Der Jugendliche war sich sicher, dass er und seine Mutter es in Deutschland schaffen würden. Auch wenn sie kein Deutsch sprachen, denn die Muttersprache der Familie ist Schwäbisch. Nachdem Anna Steinbinder Rumänien verlassen hatte, musste sie in ihrer Wahlheimat einen neun Monate langen Deutschkurs besuchen. Ihr Sohn hat sich ebenfalls Mühe gegeben: „Er hat auch gearbeitet, weil er gesehen hat, dass ich nicht allein für alles aufkommen konnte. Er wollte mir zurückzahlen, was ich für ihn alles in Rumänien aufgegeben hatte“, erinnert sich Anna Steinbinder an den Neubeginn in Deutschland.

Nachdem Anna Steinbinder mit ihrer Familie ausgewandert war, zogen allmählich Leute aus dem ganzen Dorf nach. „Damals haben wir alle sehr zusammengehalten. Dabei ging es nicht nur um Menschen aus unserem Dorf, sondern um alle, die aus Rumänien gekommen sind: Wir wussten schon, an welchem Tag sie am Bahnhof in Nürnberg ankommen“, erzählt Frau Anni. In Nürnberg gab es damals die Durchgangsstelle für Aussiedler und manchmal kamen 40 Leute auf einmal. „Wir wussten, was sie gearbeitet haben und haben im Voraus Wohnung und Arbeit für sie gesucht“, erklärt Frau Steinbinder, die sich gerne an diese Zeiten erinnert und ihre Erlebnisse sehr lebensnah zu schildern versteht. So zum Beispiel an eine Opernsängerin, die sie in schwierigen Zeiten unterstützt hatte, und die sich bei ihr später bei einer Versammlung in Biberach bedankte.

In Deutschland arbeitete Anna Steinbinder beim Arbeitsamt. Auf diese Weise konnte sie lange Zeit ihren Landsleuten in puncto Bürokratie helfen. Davon abgesehen, ist Frau Anni auch im Bund der Vertriebenen, einem Dachverband der deutschen Vertriebenenverbände in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, aktiv. Die Partnerschaften mit dem „Haus des Deutschen Ostens“ – eine Einrichtung des Freistaats Bayern in München, die der Pflege und Weiterentwicklung des Kulturerbes der Deutschen aus Mittel- und Ost-europa dient – und dem „Haus der Heimat“, einer Bildungs- und Begegnungsstätte, spielen eine wichtige Rolle für die in Deutschland ausgesiedelten Sathmarer Schwaben. „Wenn ich etwas nicht weiß, dann interessiere ich mich, wie das erledigt werden kann“, erklärt Frau Anni. Sie unterstützt immer noch gerne mit Rat und Tat alle, ob Rumänen, Ungarn oder Russlanddeutsche. Jenen, die in Rumänien geblieben sind, hat sie in den 90er Jahren oft Lebensmittel, Kleider und Medikamente mitgebracht. „Ich habe immer gerne anderen geholfen, soweit ich konnte“, erläutert Frau Anni.

Die Probleme, mit denen ihre Landsleute konfrontiert wurden, kennt sie in- und auswendig: Die Sathmarer Schwaben waren seinerzeit stark magyarisiert worden und nur die wenigsten konnten noch Deutsch. Einige sprachen Schwäbisch. Frau Anni erinnert sich aus ihrer Kindheit, dass sogar die Pfarrer auf Ungarisch gepredigt hatten. In ihrem Heimatdorf Schandern/[andra war es eine Ausnahme, dass der Pfarrer ein Schwabe war. Sie selbst wurde als Kind oft von den anderen ausgelacht, weil sie kein Ungarisch konnte. Die Lehrerin in der Schule sprach hingegen nur ungarisch und aus diesem Grund, war es nicht möglich, die Kinder zu unterrichten. Eine Lösung hatte der örtliche Pfarrer gefunden: Er kam in die Schule und übersetzte alles, was die Lehrerin sagte, auf Schwäbisch. 

In diesem Kontext erzählt Frau Anni den Fall einer Bekannten: Der Schwäbin wurde bei der Durchgangsstelle der Status als Aussiedlerin überraschenderweise nicht anerkannt. Der Grund: Die Frau hatte angegeben, dass sie mit ihren Nachbarn in Rumänien rumänisch und ungarisch kommuniziert hatte. Man hatte ihr vorgehalten, ihre Kultur und ihr Deutschtum nicht gepflegt zu haben.

Aktuelle Schwierigkeiten der Schwaben

Fragt man Frau Anni, wie viele Sathmarer Schwaben ausgewandert sind, kommt die Antwort blitzschnell: „Die Hälfte der Schwaben ist ausgewandert. Viele haben die ungarische Staatsangehörigkeit angenommen und leben in Rumänien. Sie kriegen die Rente vom ungarischen Staat.“ Sie erzählt von einer Frau, die mit ihrem deutschen Mann auswandern wollte. Als Aussiedler wurde jedoch nur der Mann anerkannt und sie kehrte nach Rumänien zurück. Dort hat sie die ungarische Staatsangehörigkeit erworben und noch für eine Weile gewohnt. Jetzt lebt sie in Italien mit ihrem ungarischen Pass und bekommt eine ungarische Rente.

Das Leben der Schwaben in Deutschland ist nicht immer unproblematisch, im Fokus steht momentan das Thema der Renten. Wenn die Aussiedler in Rente gehen, bekommen sie Geld sowohl von der deutschen als auch von der rumänischen Seite. Das alles auszurechnen ist ein kompliziertes Verfahren. „Manche Leute bekommen vom rumänischen Staat eine Summe in Höhe von 10 Euro“, erläutert Frau Anni. Wenn heute junge Leute ihre älteren Verwandten nach Deutschland holen, müssen sie zuvor erklären, dass die Älteren keine Sozialhilfe brauchen.

Kulturelle Aktivitäten in Deutschland und Rumänien

Nach Rumänien ist Frau Anni zum diesjährigen Schwabentreffen seitens des Hauses der Heimat, der Begegnungsstätte für alle Aussiedler in Nürnberg, gekommen. Mitgebracht hat sie die Sathmarer Tanzgruppe aus München. Engagiert ist sie auch für Kulturveranstaltungen – entweder bringt sie Sathmarer Kulturgruppen nach Deutschland oder umgekehrt. „Ich werde vom Ministerium unterstützt, bin im Bund der Vertriebenen im Vorstand und auch in der Union der Vertriebenen (UDV)“, erklärt die Schwäbin ihre Rolle in der Sathmarer Gemeinschaft in Deutschland. Im „Haus der Heimat“ werden allerlei Veranstaltungen organisiert – Unterricht für Kinder, Feiertage oder Kulturtage. Sprachunterricht brauchen auch Erwachsene.

Rumänien ist ihre Heimat, gesteht Frau Anni, ihr Herz zieht sie hierher, doch könnte sie hier nicht mehr leben,  ihre Familie ist in Deutschland. Ihre Verbindung zu Rumänien ist immer noch sehr eng, drei Mal pro Jahr kommt sie nach Sathmar. Auch, weil sie den Friedhof besuchen möchte, wo ihre Eltern ruhen. „All das kostet viel Kraft – ich habe ehrenamtlich gearbeitet“, erklärt sie leidenschaftlich. „Mein Sohn sagt immer, dass ich damit aufhören muss, dass ich nicht allen helfen kann. Dass ich nicht mehr so jung bin.“ Es klingt, als wolle sie sich selbst überreden.