„Mein Jugendtraum war ,Parra uf dr Heed‘“

Gespräch zum 50. Priesterjubiläum des emeritierten Bischofs der römisch-katholischen Diözese Temeswar, S. E. Martin Roos

Dr. h. c. Martin Roos im roten Empfangssaal des bischöflichen Ordinariats
Foto: Adrian Ardelean

Turbulenzen bestimmten sein Leben von Kindheit an, und sein Priesterleben sollte nicht anders sein – denn vieles kam anders als gedacht. Martin Roos kam 1942 in Knees/Satchinez in der Banater Heide zur Welt, begann in Karlsburg/Alba Iulia sein Theologiestudium und konnte es, nach einigen Monaten Studienaufenthalt in Kanada, im Jahr 1969 an der Philosophisch-Theo-logischen Hochschule in Königstein im Taunus abschließen, wo zwischen 1949 und 1978 Priesterkandidaten studierten, die durch Krieg und Vertreibung aus ihrer Heimat in den Westen verschlagen worden waren. Am 3. Juli 1971 wurde er durch Bischof Carl-Joseph Leiprecht für die Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Priester geweiht und feiert somit in wenigen Wochen sein goldenes Priesterjubiläum. Dazwischen liegen Pastoralarbeit in Deutschland und Rumänien, Arbeit für das Institut für Donauschwäbische Kirchen- und Kulturgeschichte e.V. in Stuttgart und im Südostdeutschen Priesterwerk St. Gerhard (einer Stiftung des Prälaten und Domherrn Josef Nischbach), die Neuorganisation der römisch-katholischen Diözese Temeswar, die Weihe zum Bischof – aber auch grundlegende Forschung und umfangreiche Buchveröffentlichungen zur Geschichte der alten Diözese Tschanad/Cenad, aus der das Bistum Temeswar hervorging. Die Theologische Fakultät Fulda zeichnete Roos wegen seiner Verdienste um die Kirchengeschichte des Banats wie auch um den Studien- und Bildungsaustausch zwischen den Diözesen Temeswar und Fulda mit der Ehrendoktorwürde der Fakultät aus. Papst Franziskus nahm am 16. Mai 2018 seinen altersbedingten Rücktritt an. Sein Leben in der Rückblende betrachtet Martin Roos im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Astrid Weisz.

Exzellenz, 50 Jahre Priesterdasein – wie fühlt sich sowas an?

Im Allgemeinen erfüllt einen Dankbarkeit, dass man diesen Dienst durch die Zeit hindurch versehen durfte und dass es gut ausgegangen ist. Ich habe mir bisher keine Rechenschaft darüber gegeben. Im Übrigen wird das Gericht durch Gott sagen, was das Ganze wert war.

Sie sind ein Kind der Banater Heide. Wie war Ihre Kindheit?

Turbulent. Ich bin ein Kind des Krieges. Da war vieles unvorhergesehen, es gab viele Überraschungen. Manches war weniger schön: Als ich geboren wurde, war der Vater im Krieg. Den habe ich erst mit neunzehn Jahren in Kanada kennengelernt. Die Mutter war verschleppt nach Russland. Die habe ich ebenfalls erst mit sieben Jahren kennengelernt. Ich hatte gute Großeltern, die für mich gesorgt haben und denen ich sehr verbunden bin. Ich habe es gelernt mit der Zeit, dass die Dinge kommen und gehen. Ich bin ein lebhaftes Kind gewesen, war auch manchmal schlimm, wie es Kinder einfach sind. Aber im großen Ganzen bin ich dankbar, dass ich einen ziemlich ruhigen Charakter habe, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lässt. 

Wie haben Sie Ihren schulischen Werdegang erlebt?

Da waren zunächst die sieben Jahre der Grundschule, die zu Hause waren, in einer Kindheit in Geborgenheit. Dann musste man von Zuhause weg, wenn man etwas lernen wollte. Doch der Abschied ist für mich leicht gewesen. Ich kam nach Karlsburg in die Mittelschule, Kantorenschule genannt, und habe dann auch dort in Karlsburg das Theologiestudium begonnen. Es folgte aber eine neue Turbulenz: Im Februar 1962 sind wir, Mutter und ich, nach Kanada ausgereist.

Wann haben Sie die Berufung zum Priester gespürt?

Das weiß ich nicht mehr. Man könnte sagen, dass es mir in die Wiege gelegt worden sei. Ich bin da hineingewachsen, ohne große Reflexionen. Alles, was mit der Kirche, mit Glauben, mit Gott zu tun hatte, hat mir Freude gemacht.

Welche Vorbilder haben Ihre Jugend und Kindheit geprägt?

Da waren natürlich die Priester: Einmal der Pfarrer im Ort und dann, als man ins Studium kam, waren da die Professoren, der Spiritual, die einen geprägt haben. Aber das war mehr oder weniger selbstverständlich. Im Theologiestudium war es vor allem der Spiritual für mich, Joseph Barton, der viel Geduld mit einem hatte und der mich sehr geprägt hat. In Deutschland begegnete mir dann Prälat Josef Nischbach, der mich sehr gefördert hat und mich untergebracht hat, mir damit auch Wege gezeigt hat. Da waren die Priester aus dem Banat, die damals in Deutschland lebten, denen ich sehr verbunden war und die für mich tatsächlich eine große Hilfe waren. Denn nach Kanada bin ich ziemlich schwer gegangen. Ich war hier im Banat schon verwurzelt, auch im Klerus der Diözese. Und diese Verbundenheit prägte mich das ganze Leben.

Sind Sie deshalb gleich 1990 wieder zurückgekommen?

Es waren mehrere Gründe. Der erste war sicherlich subjektiv, und das war das Heimweh. Mein Jugendtraum war immer „Parra uf dr Heed“, also Pfarrer auf der Banater Heide, zu werden. Und nach den Veränderungen an Weihnachten 1989 war für mich klar, dass ich zurückgehe. Noch als Student bin ich mit dem Pfarrer aus Großsanktnikolaus mit dem Fahrrad über die Heed und wir haben die Pfarrhäuser alle dort unsicher gemacht. Meine Vorfahren kommen fast alle aus der Heed.

Sie sind ein halbes Leben schon Priester in Deutschland gewesen, bevor Sie die Banater Heimat wieder hatte. Wie war dieser Abschnitt Ihres Lebens?

Ich habe viel gelernt in der Pfarrei in Stimpfach in Württemberg. Ich habe gute Mitarbeiter gehabt, die vorausgegangen sind. In der Seelsorge und auch in der praktischen Arbeit, dass man Kirchen renoviert und Orgeln baut und Glocken besorgt, habe ich da gelernt. Und das hat bis heute liebe Erinnerungen in mir erhalten.

Welche Freuden hat Ihnen das Priesterleben bereitet?

Das Priesterleben überhaupt, denn ich war gerne Pfarrer, bin gerne Priester geworden. Ich habe es auch nie bereut. Das geistliche Leben war immer eine große Freude für mich: Dass man sich geistig auseinandersetzt, dass man liest, meditiert, überlegt und, nach dem Worte des heiligen Augustinus „Serva ordinem et ordo servabit te“, also: „Halte du die Ordnung und die Ordnung hält dich“. Das ist so eine Maxime, die einem durch das Leben hilft und dabei auch unterstützt.

Wissen Sie noch, wie Ihr Primizspruch lautete?

Das war ein Zitat aus dem ersten Johannesbrief: „Was wir gesehen haben mit unseren eigenen Augen, was wir mit unseren Händen betastet haben vom Wort des Lebens, das verkünden wir euch“. Das war immer so das, was mich begleitet hat und fasziniert hat oder wie der Spiritual es immer auch sagte: „Contemplata aliis tradere“, das, was ich meditiert habe und mit meinem Leben decke, das anderen zu verkünden. Und das ist eine große Sache.

Wie ist Ihnen die Primiz in Erinnerung geblieben?

Es war eine Primiz in Bayern, mit vielen Fahnen und vielen Menschen, eine Messe im Freien unter einem Dach und die Menschen um den Altar herum. Es war ein großes Fest für die Gemeinde. Für unsereinen war das natürlich eine große Freude und Dankbarkeit, dass so viele teilgenommen haben und mich am Anfang meines priesterlichen Weges mit ihrem Gebet begleitet haben. Und ich glaube schon, dass viel gebetet wurde, denn ohne Gebet kann ein priesterliches Leben nicht gelingen.

Was fanden Sie 1990 hier im Banat vor, als Sie in Ihre Heimat zurückkehrten?

Die dortigen Banater Priester hatten mir zwei Dinge auf den Weg gegeben: Maria Radna zur Basilica Minor erheben zu lassen und dieses Haus hier (das bischöfliche Ordinariat) wieder bewohnbar zu machen, von wo aus die Verwaltung der Diözese geschehen kann, unter geordneten Verhältnissen. Mit guten Mitarbeitern und Unterstützung auch von Deutschland her sind diese Dinge ziemlich gut über die Bühne gegangen. Maria Radna wurde ’92 zur Basilica Minor erhoben und dieses Haus wurde 1995 wieder bezogen. Als Priester habe ich zunächst Vertretungen gemacht, später waren es dann immer mehr administrative Aufgaben im Ordinariat. 

Wie war es für Sie, Bischof zu sein? 

Administrativ war ich da weniger gefordert als bis dahin. Der Bischof darf herumfahren und visitieren, und das war für mich in den ersten acht Jahren ein großes Anliegen. Ich war viel unterwegs und konnte wochenlang mit den betreffenden Pfarrern zusammenleben, sie und ihre Pfarrei, ihre Arbeit, ihre Freuden und Sorgen kennenlernen. Das war eine große und positive Erfahrung. 
Es war mir auch wichtig, dass man die Wallfahrt nach Maria Radna lebendig macht und lebendiger gestaltet. Und auch die Kirche selber und das Kloster wurden ja kurz vor meiner Emeritierung noch durch das europäische Projekt restauriert. Maria Radna war mir auch in der Zeit, als ich in Deutschland lebte, sehr wichtig und ich ging jedes Mal hin, wenn ich hier auf Besuch war.

Sie haben in der zweiten Hälfte ihres bischöflichen Wirkens auch viel Zeit damit zugebracht, zu forschen und über die Kirchengeschichte des Banats zu schreiben. Wie und wann kam diese Begeisterung dafür auf? 

Das war auch ein Erbstück aus der frühen Kindheit. In Knees war ein alter, guter Lehrer, der sich viel mit lokaler Geschichte befasst hat und mir davon erzählt hat. Da entstand bereits eine gewisse Neigung. In Deutschland durfte ich dann 1977 eine Arbeit über die Geschichte der Diözese zwischen und 1867 und 1918 schreiben, die sehr positiv beurteilt wurde, und später, 1983, eine kurze Zusammenfassung über Maria Radna. Hier in Temeswar gab es die Aufgabe zu bewältigen, dass wir die Dokumente über die verschiedenen Immobilien für die Restitutionen aus dem Archiv heraussuchen mussten. Und da hat der damalige Generalvikar gemeint, Bischof László von Großwardein heute, man sollte das auch niederschreiben, damit das nicht wieder im Archiv verschwindet. So habe ich angefangen zu schreiben, zu forschen, manches näher zu klären. Und manches ist noch in Arbeit: Die Geschichte des Domes, da bin ich jetzt am dritten Band dran, dann die Geschichte der Diözese, die sollte auch noch fertig gestellt werde, so Gott mir Gesundheit und Tage schenkt.

Wie wichtig ist die Mehrsprachigkeit für einen Priester im Banat?

Im Banat ist das fast eine Notwendigkeit, denn die drei Sprachen, die sind doch ziemlich verbreitet. Und wenn man die Leute verstehen will und mit ihnen sprechen will, dann muss man auch die Sprache beherrschen, in meinem Fall Rumänisch, Deutsch und Ungarisch. Ich hatte keine Gelegenheit, Serbisch zu lernen, obwohl mir das auch Spaß gemacht hätte.

Bei einer täglichen Messe feiert man in 50 Jahren Priesterdasein über 16.000 Gottesdienste, oder?

Meine Mitbrüder hier im Haus und ich feiern die Eucharistiefeier täglich und hoffen, dass daraus Segen entsteht und Segen herab gefleht wird auf die Menschen, die uns anvertraut sind und die Menschen, die hier mit uns zusammen leben. Beten ist eine gute und eine ständige Aufgabe. Deswegen ist auch das tägliche Gebet genauso wie die tägliche Messe für uns eine Selbstverständlichkeit.

Wie wollen Sie ihr goldenes Priesterjubiläum feiern?

Ich habe die Bischöfe von den drei Diözesen für den Tag meiner Weihe, am 3. Juli, eingeladen. Da feiern wir in der Kapelle eine Messe miteinander. Wegen der Umstände wird es nicht so ein großes Fest wie in Radna zum 25. Jubiläum.

Was zählt am Ende von 50 Jahren priesterlichen Wirkens?

Das beurteilt der liebe Gott. Ich wage da kein Urteil zu fällen bzw. zu erlauben. Das möge er gut oder weniger gut finden. Im Übrigen liegt alles in seiner Hand.