Mein treuer Feind und Companion, du nervst!

Eine Hommage an mein Gewissen – oder so ähnlich

Jeder Mensch kennt ihn, diesen untreuen Begleiter, der nur nervt. Er nervt wie Papa, der sagt: „Du solltest mal wieder Laufen gehen!” oder Omas „Iss doch mal mehr!” oder damals der Klassenlehrer: „Mach doch endlich deine Hausaufgaben – um deinetwillen!” Sie nerven alle, weil sie recht haben, genau wie dieser jetzt-bin-ich-da-und-jetzt-bin-ich-wieder-weg-Begleiter, von dem ich schreiben will. Eine Hommage an das vermaledeite Gewissen – oder so ähnlich.

Ich habe ein Problem. Ein lästiges Problem. Und mit diesem Problem stehe ich ganz und gar nicht alleine da. Zurzeit studiere ich – das ist nicht das Problem, etwas Geduld noch –, ich studiere Journalistik/Medienmanagement. Im Moment befinde ich mich im obligatorischen Auslandssemester und mache ein Praktikum bei der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien (ADZ) in Bukarest.

Jetzt zum Problem: Ich habe hier zeitweise zu wenig zu tun und deshalb viel zu viel Zeit, in der mich die kleine Stimme in meinem Kopf professionell qualvoll beunruhigt. Grundsätzlich schafft mein holder Verstand es, zu verdrängen, dass das Studium einmal enden wird und ich dann leider nicht automatisch in die nächste Klassenstufe des Lebens versetzt werde. Also, was dann?

Ich könnte einen Master machen. Sollte ich vielleicht auch. Nur worin? Als Journalist muss ich ja irgendwas besonders gut kennen. Einfach nur Journalistsein und das Handwerk draufhaben nimmt schon mehr und mehr Form an, aber ohne Spezialgebiet wie Sport, Kultur oder Wirtschaft sehen die Karriereaussichten recht mau aus. Man kann zwar freier Journalist sein, aber nicht ressortfreier Journalist.

Also was nun? Feuilleton vielleicht? Kultur ist doch cool, aber ich habe die letzten zehn Jahre nicht gerade damit verbracht, die Rolle des passionierten Theaterjunkies oder Bücherwurms in meinem Bekanntenkreis zu übernehmen. Vielleicht Politik? Das ist aber verdammt trocken und, ehrlich gesagt, ist auch hier allein mein demokratisches Gewissen dafür verantwortlich, dass ich mir tagtäglich die wankelmütigen Verwurstellungen und Verzwiebelungen von schlechten, guten und kontroversen Ideen und Vorhaben jedweder Parteien und Schlipsträger und -„trägerinnen” reinziehe. Es ist ja wirklich wichtig und es ist ja wirklich – langweilig.

Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn ich fertig studiert habe. Wenn ich direkt im Anschluss das nächste Projekt starten will, bleibt mir nicht mal mehr ein Jahr, um herauszufinden, was das sein soll (bin im fünften von sieben Semestern). Als ich eben gerade nach Masterstudiengängen gesucht habe, fand ich dieses und jenes, nur waren die Aufnahmebedingungen stets außerhalb meiner Referenzen. Spontan heimgesucht von einem erstickend drückenden Gewissen, öffnete ich Facebook und schrieb meiner Freundin hastig eine Nachricht (einiges aus der Nachricht ist in diesen Text eingeflossen.Wiederholungen stehen kursiv):

„Hey mon Coeur, ich habe ein Problem. Ich habe hier zu wenig zu tun und deshalb zu viel Zeit zum Nachdenken und mich vom Internet zu sehr beunruhigen zu lassen. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, wenn ich fertig studiert habe. Wenn ich direkt im Anschluss das nächste Projekt starten will, bleibt mir nicht mal mehr ein Jahr, um das herauszufinden. Gemäß dem Fall, dass wir beide bis dahin auf nichts kommen, würdest du mit mir viel Geld sparen, die Taschen packen und ein Jahr ins Ausland gehen? Ich glaube, das sollten wir so oder so tun. Was denkst du? Afrika, Australien, Herrgott, in die eingefrorene Hölle am Nordpol von mir aus. Ich weiß, wie du dich oft fühlen musst. Ein scheiß Gefühl ist das. Ich liebe dich. Sei bitte immer an meiner Seite!“
(Aus journalistischer Genauigkeit heraus, habe ich nichts gekürzt. Entschuldigt das Gefühlsgedusel. Die Frau ist halt der Hammer.)

Nun plane ich also doch. Aber wem mache ich denn hier etwas vor? Das ist ein Fluchtplan. Ein Plan zwar, aber ein Fluchtplan. Dumm nur, dass ich dabei keine Fluchtchancen habe. Auch das Jahr würde verstreichen und mit etwas Pech bin ich dann keinen Schritt weiter.

Dem Leben ist nicht zu entkommen. Whoa, was für ein ekeliger Satz, oder? Ist auch nicht von mir. Das ist eine dieser widerlichen Platitüden, die das Gewissen abfeuert, wenn es kurz aus der Deckung hervorspringt und aus der Hüfte schießt. Und es ist der harte, wahre Kern darin, der einem direkt in die Magenkuhle knallt.
Ich weiß, ich dramatisiere gerade etwas. Ich bin eigentlich Hedonist. Glück ist alles, was ich brauche. Cool, oder…? Seit ich eine Lebenseinstellung habe, ist es diese eine: Egal, was in meinem Leben passieren wird oder was mir widerfährt, mein Leben wird wundervoll sein. Daran besteht kein Zweifel. Mein Gewissen hat diese Zeilen aber nicht geschrieben, es hat sie auch nie unterschrieben. Ich glaube, es ist auch grundsätzlich dagegen.

Und das ist auch gut so. Ah, wieder so ein hinterhältiger Schuss. Ohne Skepsis scheint es nicht zu gehen. Das Gewissen ist wie ein Verfassungsgericht, nur dass es im Gegensatz zu ihm ausschließlich ungefragt aktiv wird, ohne festen Hauptsitz, stattdessen wie mein „Big Brother”, der Kameras und Mikrofone überall zwischen meinen Synapsen postiert hat. Mein Gewissen und ich müssen uns zu arrangieren lernen.

Das könnte folgendermaßen funktionieren: Ich mache mein Ding und es macht seines. Und sein Ding ist eben immer mein Ding. Damit kann ich leben und mir, wenn es soweit ist, ein richtig schönes und abenteuerliches Jahr irgendwo auf der Welt machen. Denn es gibt immer jemanden, der mich daran erinnert, wer ich bin, wo ich herkomme und vor allem, wo ich eigentlich hinwollte, wenns mal unübersichtlich wird.
Vertrauter Feind und Companion, ich danke dir! Papa, Oma und Herr ehemaliger Klassenlehrer, vielen Dank euch allen! Hört nie auf zu nerven! Übrigens hat meine Freundin geantwortet. Sie hält die Reise für eine gute Idee und kommt mit mir mit.