Mietkinder zu Weihnachten

Die Beruhigung des eigenen Gewissens und Zurschaustellung der eigenen Großzügigkeit

Zu keiner anderen Jahreszeit sind die Geldbeutel so offen wie zu Weihnachten. Den Spendenaufrufen, die entweder per E-Mail kommen, im Briefkasten landen oder einen aus dem Fernseher überschwemmen, wird auch hierzulande mit großer Bereitschaft Folge geleistet. Zu Weihnachten geht es meistens um Kinder. Auch das Projekt des Staatsfernsehens, das vom Arbeits- und Familienministerium unterstützt wird, will sich um die Kleinen kümmern: „Ia-mă acasă de crăciun“ (Nimm mich nach Hause zu Weihnachten) heißt es.

„Normale“ Familien werden dazu aufgefordert, Kindern aus Waisenhäusern ein schönes Weihnachtsfest im Kreise der eigenen Familie zu schenken. Besonders aufwendig ist das Vorhaben für gutmütige Familien nicht: Ein Gesuch an die zuständige Kinderschutz-Stelle richten, einige Standesurkunden, polizeiliches Führungszeugnis, Gesundheitszeugnis, Einkommensbestätigung, Empfehlung von der Arbeitsstelle und eine von den Nachbarn anhängen, eine Datenschutzerklärung unterschreiben. Danach bekommt man ein „Geschenk“ zu Weihnachten, mit dem man spielen darf und es nach einigen Tagen zurückgeben wird. Klingt zynisch? Ist aber so!

Wer einmal in einem rumänischen Waisenhaus war, weiß wie anhänglich die Kleinen sind, wenn man zu ihnen freundlich ist. Sie halten einen an der Hand, schauen tief in die Augen und fragen: „Nimmst du mich mit?“. Nicht für eine Stunde, nicht für einen Tag – für immer. Sie brauchen eine Familie, die sie liebt, die mit ihnen durch Dick und Dünn geht, zu ihnen steht und die sie schließlich ihre Familie nennen dürfen. Wie herzlos muss man sein, um ein Kind, das vielleicht noch nie eine es liebende Familie hatte, für ein paar Tage oder eine Woche, aus dem zwar unbeliebten, aber gewohnten Umfeld herauszunehmen, ihm die „andere Seite des Lebens“ zu zeigen und danach zurückzubringen? Das alles, um das eigene Gewissen zu beruhigen, sich vor den Nachbarn und Freunden als „echten Menschen“ zu zeigen, wie Nadine Voindrouh, die selbst die Trostlosigkeit des Waisenhauses erlebt hat, auf ihrer Facebook-Seite schreibt. „Ich sage Ihnen mit Sicherheit, dass dieses Kind sich täglich fragen wird, warum Sie es zurückgebracht haben“, meint sie.

Die Kampagne des Staatsfernsehens wird von einigen „Prominenten“ unterstützt. Die Moderatorin Liana Stanciu ist auch dabei: „Schenkt einem Kind einige Momente der Freude, nehmt es nach Hause zu Weihnachten, macht euch und ihm ein unbezahlbares Geschenk“, wirbt sie für das Projekt auf der Homepage des Staatsfernsehens. Und viele wollen sich der „Prominenz“ anschließen. Immerhin winkt zumindest einigen „gewöhnlichen Menschen“ Teilnahme an einer Sendung, die auch „einige von den bewegendsten Antworten und Reaktionen auf diese Kampagne“ einschließen wird.

Eine der Begründungen dieser Mietkinder-Kampagne ist die Ermutigung zur Adoption. „Wirklich? (pe bune?) Ungebildeter und herzloser Mensch, wirst du in drei Tagen merken, dass du ein Kind adoptieren willst, das sicherlich nachts ins Bett macht? Ein Kind, das weinend das ganze Haus aufweckt, weil es Albträume hat? Ein Kind, das die meiste Zeit unter dem Tisch verbringt, weil es sich nur dort in Sicherheit fühlt? Niemand wird davon überzeugt, ein solches Kind zu adoptieren!“, teilt ihre Bedenken Voindrouh mit. Und sie bietet auch eine Lösung an: „Sei eine ständige Präsenz im Leben dieses Kindes, geh wöchentlich zu ihm, entwickele eine Freundschaftsbeziehung zu ihm, gewinne sein Vertrauen, bereite es auf das Leben durch Erzählungen und Ermutigungen vor. Lade es zu einem Film, ins Theater, zu einem Konzert ein. Lade es nach Hause erst nach Jahren ein. Ein Waisenkind darf keine Marionette sein!“.