Mit dem Russland-Bündel direkt ins Gefängnis

Eine Jahrmarkterin im berüchtigten Frauengefängnis Târgşor

Vordruck (Ausschnitt, Vorderseite) der „provisorischen Bestätigung“, die von der (militärischen) Zentralen Repatriierungskommission am 21. Februar 1951 für Katharina Wagner aus Jahrmarkt ausgestellt wurde. (Familienarchiv)

Ausschnitt mit den Vermerken auf der Rückseite der Personal-Strafakte mit dem Fingerabdruck und der eigenhändigen Unterschrift von Frau Wagner K. 1950. (Kopie nach www.iicc.ro)

„Mit dem Russland-Bündel direkt ins Gefängnis.“ So schilderte mir kürzlich der Sohn Peter, 60, das überraschende und enttäuschende Empfangs-Erlebnis seiner Mutter in Rumänien nach der „Heimkehr“ aus der sowjetischen Deportation Ende 1950. Im Unterschied zu den meisten anderen Landsleuten hatte sie („für Nix“, kommentierte der Sohn) statt fünf fast sechs Jahre im Raum Stalino (Makejewka, Bergwerk Trudowskaja, Stalino) gearbeitet bzw. ungewöhnlich zuletzt 1950 auch in einem Arbeitslager in Minsk (Weißrussland). Das weil sie angeblich als Heimkehrziel Deutschland angegeben hatte, nicht das Herkunftsland Rumänien. Sie wollte über Deutschland zu ihrem Ehemann nach England und ließ sich nicht mit Rumänien-Transporten entlassen.

Ob die Tatsache dabei eine Rolle gespielt hat, dass Katharina Klein (verh. Wagner) ein Jahrzehnt der Zwischenkriegszeit in den USA gelebt und dort die Volksschule besucht hatte, ist nicht nachvollziehbar. Angeblich, so berichtete Frau Wagner damals, forderte Rumänien 1949-1950 seine Staatsbürger zurück.
Als Begründung für die unmittelbare Festnahme und Verhaftung in Rumänien wurde den Betroffenen mitgeteilt, dass es sich um die „Klärung“ der Personalien handle. Dass dies fast drei Monate im berüchtigten Frauengefängnis Târgşor bei Ploieşti dauerte, ist eine andere, nicht ganz geklärte Sache. Viel berichtet hat die Mutter (gestorben im pfälzischen Lingenfeld 1998) den beiden Söhnen über diese Internierung nicht.

Aus der zugänglichen Personal-Akte Nr. 1716 des „Untersuchungsgefängnisses“ Târgşor (Nou) vom 19. Dezember 1950 – laut Akte der 31. Geburtstag der Heimkehrerin – geht das Internierungsdatum genau hervor, ganz unten wird auf der Vorderseite als „Endgültige Entlassung“ der 21. Februar 1951 angegeben laut Beschluss der „Zentralen Repatriierungskommission“ Nr. 5078/51. Das richtige Geburtsdatum war jedoch der 16. Dezember.

Der Entlassungsschein aus der Sowjetunion ist nicht erhalten, hingegen eine Kopie des Scheines, der von der (militärischen) Zentralen Repatriierungskommission ausgefolgt wurde (Nr. 746 vom 21. Februar 1951), eine befristet gültige Bestätigung zur Anmeldung bei der Milizdienststelle im Heimatort Jahrmarkt. Dieses Dokument hätte laut Aufdruck bei der Anmeldung (bestätigt in Jahrmarkt mit dem Datum 24. Februar 1951) von der Miliz eingezogen und archiviert werden müssen.

Im Unterschied zu den üblichen Personal-Strafakten trägt die Rückseite des Dokuments erklärlicherweise keine Vermerke bis auf Stempel und Unterschriften des zuständigen Beamten sowie die Handschrift „Wagner K.“ und ihren Fingerabdruck.

Interessant für uns heute sind die zusätzlichen Personaldaten, die damals als relevant auf der Personalakte festgehalten wurden. So zum sozialen Status bzw. zum Beruf (Ehemann Tischler, sie Hausfrau, Eltern Landwirte), zur Vermögenslage (30 Joch Ackerland, ein Haus mit drei Zimmern), Schulbildung (sieben Volksschulklassen) und zu politischer bzw. Parteizugehörigkeit (hier keine). Alle Personalakten-Vordrucke stellten zudem Standardfragen zur Personenerkennung und zu besonderen Merkmalen.

Frau Wagner erzählte, dass es sich 1950 um einen ganzen Transport gehandelt hat, darunter viele Banater, Siebenbürger und auch Bukowiner. Eine unter ihnen, Ida Bodnar aus Radautz, ebenfalls im Dezember 1950 aus der Deportation und nach der Internierung in Târg{or am 21. Februar 1951 entlassen, erklärte in ihren veröffentlichten Erinnerungen u. a. zur Ankunft in Rumänien: „… da hat man uns sehr schlecht aufgenommen. … Die haben uns hier wie Kriminelle behandelt.“

Die im Fall Wagner ungewollte Entlassung nach Rumänien brachte die Familie Wagner in weitere schwierige Situationen, weil der Frau mit ihrem 1943 geborenen Sohn Helmut – sie war deshalb angeblich nicht auf der Liste der Personen, die deportiert werden sollten – die Ausreise nicht erlaubt wurde. Das führte dazu, dass der Ehemann und Vater 1955 aus England nach Jahrmarkt zurückkehrte. 1958 wurde Sohn Peter geboren. Trotzdem wollten die „Hannesse-Tischtler“ aus der Altgasse, wie man die Familie im Dorf besser kannte, nach Deutschland auswandern. Das wurde ein neues Abenteuer.

Der jüngste Sohn Peter ging 1981 das große Risiko ein, einen Bulgarien-Sommerurlaub für die Flucht in die Türkei zu nutzen, wo er bis zur Erledigung der Papiere zwei Monate in einem Flüchtlingslager leben musste. Er hatte dann das Glück, nach Deutschland zu seinem Klein-Onkel nach Osthofen zu gelangen. Von dort kämpfte er für die „Zusammenführung“ der Familie. Für die inzwischen verwitwete Mutter und den Bruder hat er viel Loskaufgeld bezahlt, bis sie endlich 1987 in die Bundesrepublik ausreisen durften.