Mit dem Wein kamen Kunst und Wohlstand

Bildband „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“: 25 Kirchenburgen von Abtsdorf bis Wurmloch

Feinste Goldschmiedekunst: Abendmahlgefäße aus Birthälm

Die Kirchenburg von Abtsdorf
Foto: Georg Gerster

Heute erinnern nur noch leere Terrassen an den intensiven Weinbau der Siebenbürger Sachsen.
Fotos: Martin Rill

„Es herrschte Lust, Fröhlichkeit und Musik“ – mit diesen Worten beschrieb 1865 der englische Schriftsteller Charles Boner, zitiert von Pfarrer Gerhard Servatius-Depner, Autor des Vorworts zum neuen Bildband von Martin Rill, „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“, diesen Landstrich. Boner traf mitten in der Weinlese ein. Und in einer seltsamen Vorraussicht erkannte er schon damals die Kirchenburgen als „Monumente, die an und für sich etwas so Eigentümliches und dabei mit dem Geiste und Charakter des Volkes, das sie errichtet, so eng Zusammenhängendes sind, dass dieselben erhalten zu bleiben in hohem Grade verdienen.“ Könnte man es besser beschreiben?

Lust, Fröhlichkeit und Musik lassen sich zwar heute nur noch erahnen in den 25 Ortschaften, die der siebte Siebenbürgen-Band des Historikers Martin Rill umfasst: Von Abtsdorf/}apu über Almen/Alma Vii, Arbegen/Agârbiciu, Birthälm/Biertan, Bußd/Buzd, Donnersmarkt/M˛n˛rade, Eibesdorf/Ighi{u Nou, Frauendorf/Axente Sever, Großkopisch/Cop{a Mare, Haschagen/Ha{ag, Hetzeldorf/A]el, Kleinkopisch/Cop{a Mic˛, Kleinschelken/[eica Mic˛, Marktschelken/[eica Mare, Mediasch/Media{, Meschen/Mo{na, Mortesdorf/Moarda{, Nimesch/Nem{a, Pretai/Brateiu, Reichesdorf/Richi{, Schaal/[oala, Scholten/Cenade, Schorsten/[oro{tin, Tobsdorf/Dupu{ führt die Lese- und Schmökerreise in alphabetischer Reihenfolge bis nach Wurmloch/Valea Viilor. Zwei davon – Birthälm und Wurmloch - sind Teil des UNESCO-Weltkulturerbes in Rumänien.

Aus der Luft bis ins Tabernakel

Doch zeichnen die 25 Kirchenburgen als Kondensationskeime für Dörfer und Städte ein illustres Bild der fast neunhundertjährigen Siedlungsgeschichte der Siebenbürger Sachsen, deren Vorfahren sich aus der Gegend zwischen Rhein und Mosel dort niedergelassen haben. Dank des für den Weinbau geeigneten Klimas entwickelten sie sich schnell zu Inseln des Wohlstands. Wein war neben Gewerbeerzeugnissen einst das bedeutendste Ausfuhrgut der Siebenbürger Sachsen. Heute erinnern daran leider nur noch ungenutzte Terrassen, wie die Aufnahme der ausgedehnten Weinhalden um Hetzeldorf zeigt.

Wie auch die bisherigen von Martin Rill herausgegebenen Siebenbürgen-Bücher präsentiert „Mediasch und das siebenbürgische Weinland“ ein möglichst umfassendes Puzzle zu jedem Ort. Die Annäherung beginnt stets mit den Luftaufnahmen von Georg Gerster: Kirchenburgen mit ihrer umliegenden Infrastruktur - Pfarrhäuser, Schulen, Lehrerwohnungen, Friedhöfe, Wehrtürme und Ringmauern, ergänzt durch Aufnahmen des modernen Dorfbildes, orthodoxe Kirchen, Rathäuser, Dorflageplan. Ein ausführlicher historischer Abriss und die Dokumentation der jeweiligen architektonischen Besonderheiten und Kirchenschätze in Bild und Wort vermitteln einen vertieften Enblick.

Kobolde, Lotto-Teppich, Kelch-Altar

Der Fotoblick ins Innere der Kirchenburg enthüllt so manche Kuriosität und charmante Details, die man als Besucher vielleicht erst auf den zweiten Blick entdeckt. Beispiele, willkürlich herausgegriffen: die gotische Sedilie in Hetzeldorf von Andreas Lapicida, eine der „schönsten gotischen Steinmetzarbeiten in Siebenbürgen“; die frech grinsenden Kobolde auf den Wasserschrägen der Chorpfeiler in Eibesdorf; die Sakramentsnische aus dem Jahr 1400 an der Nordseite des Chors in Nimesch; das Nonnenkopf-Pfeilerkapitell in Pretai, die Blattmaske und der blätterspeiende „grüne Mann“, die in Reichesdorf Konsolen und Schlusssteine schmücken und mit den anderen Schlusssteinmotiven – Lamm Gottes, Christuskopf mit Schwertern in den Ohren, Gottvater oder Weinblätter mit Trauben – konkurrieren.

Ins rechte Licht gerückt werden auch Altäre und Orgeln, Taufbecken und Kanzeln, geschitzte Gestühle und bemalte Emporen, bestickte Fahnen und orientalische Knüpfteppiche, Wandmalereien, filigrane Abendmahlkelche und schlichte Hostienteller. Jedes Objekt erzählt seine Geschichte:

•  Schon mal von einem Lotto-Teppich gehört? Mit Glücksspielen hat der Name des in Siebenbürgen früher sehr beliebten Knüpfwerks nichts zu tun. Statt dessen geht er auf den venezianischen Maler Lorenzo Lotto zurück, dessen Bilder diese Art von Teppich häufig zeigen. Eines der schönsten Exemplare aus dem 17. Jh. ist in Mediasch zu bestaunen.

•  Und was, bitte, ist ein Kelch-Altar? Tatsächlich sieht er aus wie ein überdimensionaler Pokal, über dem das Gottesauge schwebt. Zu sehen ist dieses in Siebenbürgen einzigartige Stück in der Bergkirche von Hetzeldorf.

•  Von allerhöchster Goldschmiedekunst zeugt (nicht nur) die reich verzierte Abendmahlkanne in Birthälm aus der Werkstatt des 1609 dokumentierten Mediascher Meisters Hannes Gundhardt, Humpen genannt.

•   Und als zumindest eigenwillig springt in Donnersmarkt das herzförmige, zinnerne Nachbarschaftszeichen vom Großen Bach ins Auge, die Aufschrift  „Anno 1854 A. Martin Stefan“ verweist wohl auf den Nachbarvater.

Künstler, Stifter und Persönlichkeiten verewigt

Auch wenn Lust, Fröhlichkeit und Musik längst stummen Zeitzeugen gewichen sind, lässt sich doch von diesen einiges über die Menschen, die dort gelebt und gewirkt haben, erfahren. Nicht nur Künstler wie Andreas Lapicida (15. Jh.), der in Reichesdorf sein Wappenschild mit Steinmetzzeichen hinterließ, oder Johannes Stoß (16. Jh.), einer der Söhne des berühmten Nürnberger Altarbauers Veit Stoß, der sich in Schäßburg niedergelassen hatte und dem der Altar von Schorsten zu verdanken ist, hinterließen ihre Namen und Spuren.

Auch Stifter von Kunstwerken – Stolz oder Frömmigkeit? - haben sich stets gerne verewigt. Beispiele aus Marktschelken: Das bemalte Lesepult spendete 1734 Thomas Hihn, das barocke hölzerne Taufbecken Andreas Sonntag, und auch dessen Restaurator 1777 fand seine Tat einen Eintrag wert: „Laurentius Roth Kassier und seine Ehefrau“. „Zur Ehre Gottes und zum Gedächtnis der Gemeinde“ stiftete Rebecca Olertin, geb. Simonis, 1776 den barocken hölzernen Kanzeldeckel. Und den Anstrich der Orgel spendierte 1900 „Friedrich Markus Gastwirt“.
Anderen wiederum wurde postum ein Denkmal gesetzt: In Mediasch erinnern steinerne Grabplatten an Stadtpfarrer und eine Pfarrersgattin, an Bürgermeister und Königsrichter; in Birthälm an he-rausragende Theologen, Reformatoren und Bischöfe. Über die Berufe der Menschen zeugen dort die Zunftfahnen der Schneider (1792), der Lein- und Wollweber (1691), und undatiert die der Wagner, Schuster und Kürschner.

Statt Lust... vom Schicksal gebeutelt

Der historische Abriss zu jedem Ort verdeutlicht, dass beileibe nicht immer nur „Lust, Fröhlichkeit und Musik“ im Weinland herrschten. Nur zwei Beispiele, auszugsweise:
•  Abtsdorf, aus der Habsbur-gerzeit: 1772 vergibt Maria Theresia vier Dörfer  - Abtsdorf, Donnersmarkt, Scholten und Schorsten – zusammen mit 83 anderen Gemeinden für 20.000 Dukaten für einhundert Jahre an die Familie des Hofkanzlers Michael Teleki. Diese setzt einen Gutsverwalter ein, der die Bewohner sofort zu Leibeigenen macht. So geriet Abtsdorf in die Hände von rücksichtslosen Verwaltern. 25 Bauern flüchteten bei Nacht und Nebel nach Hermannstadt/Sibiu und Kronstadt/Bra{ov. Zurück blieben verlassene Gehöfte, in denen Rumänen aus den Nachbarorten angesiedelt wurden.

• 1884, Reichesdorf: Nur wenige Jahre nach dem Besuch von Charles Boner wütete dort die Reblaus. Schlagartig vernichtete sie große Anbauflächen und löste damit eine Auswanderungswelle nach Amerika aus: 1886 bis 1887 sind 40 Reichesdorfer nach Ohio ausgewandert. Wo einer geht, folgen bald viele: 1909 befanden sich bereits 206 Reichesdorfer in den USA. Auch andere Dörfer wurden offenbar vom Amerika-Fieber erfasst: 1908 spendieren Landsleute aus Cleveland eine neue Mensa für den Marktschelkener Altar.