„Mit der Musik lernt man, den anderen zuzuhören“

ADZ-Gespräch mit dem Direktor der Sing- und Musikschule München, Hans Peter Pairott

Hans Peter Pairott: „Mit dem Brandeisz-Violinwettbewerb ist etwas geboren worden, was den guten Namen der Stadt Temeswar und deren Bevölkerung nach Europa und der Welt transportiert. Ich wünsche mir, dass wir uns beim nächsten Wettbewerb in zwei Jahren wiedersehen!“
Foto: Zoltán Pázmány

Jahrelang war er Projektleiter des vom Deutschen Musikrat getragenen bundesweiten Wettbewerbs “Jugend musiziert”, bis er 2008 an die Städtische Sing- und Musikschule in München wechselte: Hans Peter Pairott, der Direktor einer der ältesten und größten Musikschulen Deutschlands, kam anlässlich des ersten Josef-Brandeisz-Violinwettbewerbs nach Temeswar und hatte da den Vorsitz der Jury inne. Raluca Nelepcu traf Hans Peter Pairott zum Gespräch.

In Temeswar fand in diesem Jahr erstmalig der Josef-Brandeisz-Violinwettbewerb statt. Wie war aus Ihrer Sicht diese erste Auflage?

Unbedingt wiederholenswert! Wir haben einen Wettbewerb erlebt, der vom Niveau her außerordentlich hoch war. Wir haben mehrere Jugendliche gehört, 20 an der Zahl, und keiner von ihnen war fehl am Platze. Das ist manchmal so, dass man – gerade wenn ein Wettbewerb zum ersten Mal organisiert wird – nicht so genau weiß, wie sind die Anforderungen, was wird erwartet, wie reagiert die Jury. Die Informationen sind durch die Vorbereitung dieses Wettbewerbs allerdings so gut transportiert worden, dass sich alle Kinder und Jugendlichen, die hier gespielt haben, sehr gut präsentiert haben. Es ist nicht nur ein hohes Niveau bei den Spielerinnen und Spielern festzustellen, sondern auch bei der Organisation des Wettbewerbes. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, auf einem so hohen Niveau einen Wettbewerb durchzuführen. Da braucht man viel Logistik im Hintergrund, die Einspielräume und die Akkompagnisten müssen stimmen usw. Als Jurypräsident kann ich sagen, wir waren alle zufrieden.

Es waren Jugendliche aus Rumänien und aus anderen Ländern dabei. Inwiefern gibt es einen Unterschied zwischen den jungen Musikern, was ihre Motivation angeht?

Das liegt in der Natur der Sache und in der Natur der Ausbildungssituationen in unterschiedlichen Ländern. Die Jugendlichen, wie wir hier gehört haben, gerade auch aus Rumänien, die haben eine exzellente Förderung. Sie haben sehr häufig Unterricht in der Woche, die Schule nimmt, zum Großteil, Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, das solistische Spiel steht im Vordergrund. Bei uns, zum Beispiel, in München, ist es etwas anders. Da rückt das solistische Spiel mehr in den Hintergrund und ist denen vorbehalten, die wirklich ganz „top“ sind. Die anderen werden motiviert, Kammermusik und Orchester zu spielen und haben als Hauptberuf auch, zur Schule zu gehen und sich für das Abitur vorzubereiten. Da nimmt unser Bildungssystem in Deutschland nicht so viel Rücksicht auf die leistungsfähigen und leistungswilligen Kinder und Jugendlichen, wie es, zum Beispiel, das System in Rumänien tut.

Wie früh kann man überhaupt erkennen, ob aus einem Kind irgendwann mal ein Virtuose wird?

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt viele Mütter, die glauben, das sofort zu erkennen, und fördern ihre Kinder dann auch entsprechend. Es hängt von den Kindern und Jugendlichen ab. Manchmal zeigt sich so eine Begabung sehr früh und dann braucht das eine entsprechende Förderung. Manchmal kommt aber eine Begabung auch erst später zum Vorschein. Bei der Geige ist es in der Tat so, dass sich der Beginn der Förderung in den letzten Jahren immer weiter nach vorne verschoben hat. Es gibt nicht selten Kinder, die mit 3 oder 4 Jahren ganz behutsam anfangen, Geige zu lernen und es wie ein selbstverständliches Spiel zu betrachten. Sie müssen also dafür nicht ihre Kindheit opfern. Es kann aber natürlich auch schief gehen und da muss man halt als Musikpädagoge wirklich sehr aufpassen, dass man jederzeit das Richtige tut und die Entwicklung des Kindes berücksichtigt, um entsprechend zu handeln.

Wie kann das „schief gehen“? Was meinen Sie damit?

Es kann dadurch schief gehen, dass ein Kind sich überfordert fühlt oder in der Tat überfordert ist. Dass die Lehrkraft nicht von ihrem Plan, den sie hat, abweichen will, und das Kind sich irgendwie gezwungen fühlt, Stücke zu spielen, die es vielleicht nicht mag. Es würde andere Stücke lieber spielen, die passen dann aber nicht in den Entwicklungsplan der Lehrkraft hinein. Das kann schief gehen und dann passiert es manchmal, dass die Kinder von dem einen Instrument zu einem anderen abschweifen oder vielleicht das Musizieren auch ganz sein lassen. Wenn wir nun bedenken, dass wir hier 20 Kinder und Jugendliche gehabt haben, und vielleicht mal in zehn Jahren schauen, aus wie vielen dieser 20 dann wirklich Musikerinnen und Musiker geworden sind, dann kann ich Ihnen diese Frage genauer beantworten.

Warum ist es wichtig, dass Kinder ein Instrument spielen lernen?

Es gibt viele Untersuchungen, die belegen, dass Kinder, die musizieren, an Intelligenz zulegen. Dass sie offensichtlich mehr Schlüsselkompetenzen erlangen, weil man mit der Musik lernt, den anderen zuzuhören. Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, man lernt, die Verantwortung anderer zu respektieren, man lernt, miteinander zu kommunizieren, selbst, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. All das sind Kompetenzen, die die Kinder in ihrem Berufsleben – ob sie nun Arzt werden, ob sie in die Wirtschaft gehen, ob sie Ingenieur oder Musiker werden – in ihrem späteren Leben brauchen. Deswegen erscheint es uns ganz besonders wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen von Anfang an mit der Musik in Kontakt kommen, weil das zu einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen beiträgt.

Wie wichtig sind Preise im Leben eines jungen Musikers? Könnten, zum Beispiel, Musikwettbewerbe die Kinder und Jugendlichen auch demotivieren?

Das kann man natürlich nie ausschließen. Das liegt aber nicht an dem Wettbewerb an sich, sondern an der Vorbereitung auf den Wettbewerb. Schauen Sie, hier haben sich 20 Kinder und Jugendliche angemeldet und dann muss jedem von vornherein klar sein, dass es nicht auszuschließen ist, dass sie ohne einen Preis wieder nach Hause fahren. Das ist für die Mehrzahl der Jugendlichen, die hier waren, eigentlich der Normalzustand. Wenn die entsprechenden Lehrkräfte und Betreuungspersonen das vorher gut vorbereiten, dann darf es nicht zu einer Enttäuschung kommen. Eine Enttäuschung beruht darauf, dass es erstmals eine „Täuschung“ gegeben hat: Diese Täuschung ist dann halt die falsche Selbsteinschätzung, die möglicherweise durch das Urteil einer Jury zu einer Enttäuschung wird.

Wie viel Prozent ist bei einem Virtuosen Arbeit und wie viel Talent?

Es gibt nicht wenige Musiker, die behaupten, 20 Prozent wären Inspiration und 80 Prozent Transpiration. Ich kann mich dem anschließen, weil ich es aus meiner eigenen Erfahrung als Musiker weiß, dass ein gewisses Talent vonnöten ist, dass es aber ohne gezielte Förderung auch nicht geht. Beides muss zusammenpassen.