„Mit einer Regierung wie dieser sind wir auf dem Weg des Euro-Skeptizismus“

Ein Gespräch mit Nicolae Ștefănuță (USR) über die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament

In Umfragen liegt die „Allianz 2020 USR/PLUS“ bei sieben Mandaten. Für Nicolae Ștefănuță würde dies den Einzug ins Europäische Parlament bedeuten. Foto: Michael Mundt

Nicolae Ștefănuță wurde 1982 in Hermannstadt/Sibiu geboren. Er studierte an der West-Universität in Temeswar und der Diplomatischen Akademie Wien sowie später an der Georgetown-Universität in Washington D.C. Als Diplomat vertrat der heute 37-Jährige das Europäische Parlament zunächst im Bereich Landwirtschaft sowie ländliche Entwicklung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika. Später war er für die Beziehungen des Parlaments zum Kongress sowie für die Leitung von zwei bilateralen Arbeitsgruppen verantwortlich. Im Herbst des vergangenen Jahres erreichte  Ștefănuță bei den Vorwahlen der „Union Rettet Rumänien“ (USR) für die Wahl zum Europäischen Parlament den dritten Platz. Auf der gemeinsamen Liste mit der Partei „PLUS“ (Partei für Freiheit, Einigkeit und Solidarität) hat er den sechsten Listenplatz inne. ADZ-Redakteur Michael Mundt traf Nicolae Ștefănuță, der neben seiner rumänischen Muttersprache auch Deutsch, Ungarisch, Englisch, Französisch und Italienisch spricht, am 18. April nach einer Veranstaltung zur Karriere bei der Europäischen Union zum Gespräch.

 

Herr  Ștefănuță, bei der Vorstellung des Europaprogramms der UDMR hat Hunor Kelemen gesagt, dass die rumänischen Parteien ausschließlich mit nationalen Themen Wahlkampf betreiben. Er habe von niemandem Vorschläge für europäische Reformen gehört.


Ich bin mit dieser Aussage nicht einverstanden. Ich habe heute von drei Herausforderungen gesprochen, die Europa betreffen und nicht nur Rumänien. Und ich glaube tatsächlich, dass es ein Fehler ist, nur über rumänische Themen zu sprechen, und wir machen es auch nicht. In unserem gesamten Programm steht sehr viel zur Zukunft Europas.

 

Erklären Sie unseren Lesern doch bitte Ihre Anliegen im Europäischen Parlament.


Die europäischen Rechte der rumänischen Bürger liegen mir sehr am Herzen. Es ist wichtig, dass die Rumänen ihre Rechte kennen. Die Leute im Transportsektor haben die gleichen Möglichkeiten, auf dem europäischen Markt Geschäfte zu machen, wie alle anderen auch und die Menschen, die in Österreich arbeiten, haben auch Anspruch auf Kindergeld. Die Europäische Kommission hat in diesem Fall ein Verfahren gegen Österreich eingeleitet. Es geht mir aber auch darum, dass die jungen Leute ihre Möglichkeiten in Anspruch nehmen, z. B. das Erasmus-Programm. Hier möchte ich gerne den gemeinsamen Haushalt erweitern. Erasmus darf kein Stipendium für reiche Kinder sein, sondern muss als Stipendium allen offen stehen.

 

Darüber hinaus sind mir die Umwelt und der Klimaschutz sehr wichtig. Dabei sehe ich Umwelt und Sicherheit in einem gemeinsamen Konzept. Denn es gibt keine tatsächliche Sicherheit, im Sinne von Verteidigung, ohne den Klimaschutz in Betracht zu ziehen. Der Klimawandel kann viel mehr Schäden anrichten als eine russische Rakete. Es gibt einen Mechanismus für europäische Zusammenarbeit, den wir letzten Sommer bei den Waldbränden in Schweden und Griechenland gesehen haben. Ich möchte diesen Mechanismus gerne erweitern und mit viel mehr Geld ausstatten, denn es wird mehr und mehr Fälle geben, bei denen eine europäische Zusammenarbeit benötigt wird.


Der dritte Punkt ist der Haushalt. Die Nettozahler stehen unter Druck, sodass Mittel für die Kohäsion (Anm. d. Red.: Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU) gekürzt werden könnten. Diese Hilfen müssen korrekt ausgegeben werden, denn sonst glauben die Nettozahler, dass ihr Geld in einem korrupten Land verschwendet wird. Für Rumänien hoffe ich, dass unsere Allianz die Wahlen jetzt gewinnt, aber auch im Jahre 2020. Denn erst dann können wir sicherstellen, dass die europäischen Mittel bei uns korrekt verwendet werden. Die Kohäsion ist aber auch darum wichtig, damit die Leute überall in Europa in Zukunft ein gleichwertiges Leben führen können, denn sonst verlieren wir die Griechen und die osteuropäischen Länder. Ich glaube nicht an ein Europa mit verschiedenen Geschwindigkeiten, sondern an ein Europa mit einer Geschwindigkeit und mit einer Zunahme des Wachstums in Osteuropa und Griechenland, damit Europa zusammenwächst.

 

In Ihrem Programm habe ich das Wort „Föderalismus“ gefunden. Doch was verstehen Sie unter dem Begriff? Denn sicher versteht die Europäische Freie Allianz mit dem von ihr propagierten „Europa der Regionen“ etwas ganz anderes, als Manuel Barroso unter seinem postulierten „Bund der Nationalstaaten“. Gleichwohl benutzen beide den Ausdruck Föderalismus.


Natürlich, jeder verwendet diesen Begriff mit einer anderen Definition. Ich halte mich an das, was Jean-Claude Juncker gesagt hat: „Europe must be big on big problems and small on small problems“. Es geht also um eine bessere Verteilung der Kompetenzen. Ich glaube sehr an ein föderales System, wie es in Deutschland zu finden ist, wo die Bundesländer ein Gewicht haben. Der Nationalstaat, in unserem Fall Europa, sollte in Bereichen Befugnisse übernehmen, in denen dies Sinn ergibt, z. B. bei der Verteidigung, der Sicherheit, dem Klimaschutz, dem gemeinsamen Markt oder den Bürgerrechten. Und ich würde auf eine tatsächliche europäische Bürgerschaft hinarbeiten. Als EU-Diplomat habe ich einen europäischen Pass, und dieses Dokument ist das wichtigste, das ich im Leben habe, wichtiger als mein rumänischer Pass und genauso wichtig wie meine rumänische Nationalität. Und das wünsche ich mir auch für alle anderen Bürger.

 

Welche Gestaltungsmöglichkeiten stehen einem Abgeordneten einer kleinen Partei im Europäischen Parlament denn über-haupt zur Verfügung, wenn man bedenkt, dass die Gesetzesinitiative bei der Kommission liegt?


Eine gute Frage. Ich habe in dieser Kampagne nicht das Blaue vom Himmel versprochen, sondern versucht, sehr spezifisch zu sein. Ich habe immer von europäischen Rechten der rumänischen Bürger gesprochen, weil ich tatsächlich glaube, dass die Leute ihre Rechte nicht kennen und deswegen anfangen, euroskeptisch zu werden. Denn sie denken, Europa schütze sie nicht. Meine Vorstellung für die nächsten fünf Jahre ist, dass ich diese Rechte bekannt mache und verteidige. Dass ich den Rumänen, die in Italien arbeiten, oder den Rumänen, die in Österreich ihr Kindergeld nicht kriegen, helfe und sich schließlich die Gewissheit entwickelt: Sie sind Europäer und sie haben Rechte. Auf diese Weise soll eine europäische Würde entstehen. Denn die Rumänen sind ein bisschen zu bescheiden in Sachen Europa.

 

Eine Frage an den EU-Diplomaten Nicolae Ștefănuță: Wie hat sich Rumänien auf europäischer Ebene in den vergangenen zwölf Jahren eingebracht und wie hat das Land mitgestaltet?


Sehr schlecht aus meiner Sicht. Den Leuten, die uns in Brüssel vertreten haben, aber auch denjenigen, die uns hier zu Hause geführt haben, ist es nicht gelungen, den Menschen die Kompetenzen eines Parlamentariers zu erklären. Die Gesetzesinitiative gibt es nicht, aber die Rolle des Diplomaten und der Druck auf die Kommission existiert, nur wurde dies von den rumänischen Regierungen nicht genutzt. Ich glaube, in den letzten zwölf Jahren waren wir schlecht vertreten und das sieht man auch an den Ergebnissen. Die rumänischen Regierungen haben nicht verstanden, wie viele Gelder und Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, um das Land weiterzuentwickeln. Und jetzt sind wir an einem Punkt, mit einer Regierung, die eigentlich euroskeptisch ist und die auf europäisches Geld verzichtet, wie im Fall der Autobahn A8 – ein Projekt, welches die Moldau mit Siebenbürgen verbinden sollte. Dort haben sie auf Gelder von der EU verzichtet, Gott weiß warum. Mit einer Regierung wie dieser sind wir auf dem Weg des Euro-Skeptizismus, wobei die Bevölkerung dafür nicht bereit ist.

 

Zum Abschluss des Gesprächs eine Frage zur ungarischen Bevölkerungsgruppe. Sie selbst sprechen Ungarisch, können Sie auch die Probleme der Ungarn nachvollziehen?


Sprache ermöglicht einem einen speziellen Zugang, aber nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur. Ich tanze gerne siebenbürgische Tänze, auch mal ungarische, auch mal rumänische Tänze. Es gibt sehr viel gegenseitigen Einfluss. Durch diese kulturelle Einsicht, die du nur durch die Beherrschung der Sprache erhältst, verstehst du auch die Nation und die Kultur besser. Das ist meine Philosophie in Bezug auf die Sprachen, die in Siebenbürgen gesprochen werden.


Ich habe also auch einen guten Einblick in die „ungarische Frage“, in die Fragen der Minderheit, aber ich kann natürlich nicht von der UDMR sprechen. Sie gehört nicht zu meinen Lieblingsparteien, auch weil sie in diesem korrupten System 29 Jahre lang mitgemacht hat. Bei der USR gibt es auch viele Ungarn. Wir kommunizieren auch teilweise auf Ungarisch und versuchen, die Minderheit zu erreichen. Wir sagen: Leute schaut, wir haben dieselben Interessen. Dass Rumänien ein korrupter Staat ist, liegt nicht an der Nationalität. Dass Rumänien arm ist und die Regionen, in denen Ungarn leben, arm sind, liegt nicht an der Nationalität, sondern am gesamten System.