Moderne Christenverfolgung – Märtyrer von gestern und heute

Aus dem ersten ökumenischen, dreikonfessionellen, deutsch-rumänischen Kolloquium in Sâmbata de Sus (Teil 2)

Idyllischer Tagungsort: die Orthodoxe Akademie im Kloster Sâmbata de Sus
Fotos: George Dumitriu

„Es ist ein Wunder, dass im Land des großen Nicolae ausgerechnet in Niculițel – was so viel wie kleiner Nikolaus bedeutet – eine Märtyrerkrypta gefunden wurde: in finsterer Diktatur wie eine Offenbarung!“ leitet Prof. Hermann Pitters seinen Vortrag über Märtyrer im Kommunismus ein.

Berthold Pelster von der katholischen Stiftung „Kirche in Not“ berichtet über Christenverfolgung im Nahen Osten, Nigeria, Nordkorea, China und Indien.

Denkt man an Märtyrer und Heilige, dann meist an die Gestalten aus der Bibel. An verfolgte Christen der ersten drei Jahrhunderte, in Rumänien vielleicht auch an Stefan den Großen (1433-1504), der für jede Schlacht gegen muslimische Eroberer eine Kirche oder ein Kloster gestiftet haben soll. Oder an Constantin Brâncoveanu (1654-1714), der seinen Kopf in Konstantinopel verlor... Christenverfolgung scheint für die meisten ein historisches Thema zu sein.

Den Begriff des modernen Märtyrers kennt man oft nur aus dem islamischen Terrorismus. Dass es sowohl Christenverfolgung als auch Märtyrertum im 20. und 21. Jahrhundert noch gab und gibt, in Europa unter dem Eisernen Vorhang und aktuell im Nahen Osten, konnte der - vielleicht erstaunte - Teilnehmer des ökumenischen deutsch-rumänischen theologischen Kolloqiums zum Thema „Heilige und Heiligenverehrung in Ost und West“ erfahren, das vom 11. bis 14. Mai in Hermannstadt und Sâmbata de Sus stattfand - siehe Teil 1 des Berichts in der ADZ vom 19. Mai: „Auf dem Weg zur christlichen Einigkeit“.

„Es ist für mich ein Herzensthema“, leitet der evangelische Pfarrer Dr. Jürgen Henkel, der auf der Tagung moderierte, den Vortrag von Berthold Pelster von der päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ (München) ein. Es geht darin um die aktuellen Anschläge gegen Christen im Nahen Osten, die massive Flüchtlingswellen auslösten. Die antikirchlich geprägte westliche Medienlandschaft scheint blind für dieses Thema zu sein, beklagt Henkel: „Ich würde mir wünschen, dass es neben Unterschriftenlisten, um das Einschläfern eines bissigen Kampfhundes zu verhindern oder Lichterketten für die Opfer rechtsextremer Gewalt auch eine Mobilisierung gegen die aktuelle Christenverfolgung gibt.“

Doch was bedeutet heutzutage Christenverfolgung und Märtyrertum? Heiligkeit im kirchlichen Sinne setzt den Märtyrertod voraus, erklärt der orthodoxe Erzbischof von Siebenbürgen, Lauren]iu Streza. Nur die ersten Heiligen, die Zeitgenossen von Jesus, sind keinen Märtyrertod gestorben: Sie gelten als Zeugen (altgriechisch: martys) im ursprünglichen Sinne des Wortes. Um als christlicher Märtyrer anerkannt zu werden, muss der Glaube die Ursache für den Tod gewesen sein. Opfer politischer Verfolgung, auch wenn Christen, sind keine Märtyrer. Zur Heiligsprechung sind in der orthodoxen und katholischen Kirche – die evangelische kennt derartiges nicht – unterschiedliche Verfahren der Kanonisierung einzuhalten, die von den Kirchenrechtlern Pfarrer Prof. Dr. Irimie Marga (orthodoxe Fakultät der Lucian Blaga Univ. Hermannstadt/Sibiu) und Pater Prof. Dr. Maximilian Pal (Franziskanisches Kath.-Theol. Institut, Roman) auf der Tagung kurz vorgestellt wurden.

Märtyrer unter dem Eisernen Vorhang

Mit Märtyrern der kommunistischen Periode befasste sich Prof. Dr. em. Hermann Pitters (Protestantisches Theol. Department, Lucian Blaga Univ.) im Rahmen seines „Werkstattberichts“ zur Erstellung eines ökumenischen Gedenkbuchs, dem Rumänischen Märtyriologium, das 2007 an Papst Benedikt XVI. übergeben wurde. Die Initiative war vom katholischen St.-Gerhards-Werk ausgegangen, ein Verein der Donauschwaben, der die Märtyrer seiner Gemeinden in Ungarn und im Banat historisch aufarbeiten wollte. Doch warum nur Katholiken erfassen? Weitere Kirchen zeigten sich interessiert, in der Region nach ihren Märtyrern zu forschen. Zu ihrer Identifizierung wurde eine zehnköpfige Kommission aus fünf orthodoxen, zwei römisch-katholischen, zwei griechisch-katholischen und einem evangelischen Forscher aufgestellt, die intensiv und freundschaftlich zusammenarbeiteten, erinnert sich Pitters. „Es gab eine große Basis an Quellen, denn hierzu war in Rumänien viel geforscht worden“, verweist er auf eine Studie von 1995, „Bekenner hinter Gittern. Diener der Kirche in den kommunistischen Kerkern“ mit Zeugen aller Konfessionen, sowie auf das 2000 erschienene Buch „Orthodoxe Priester in den kommunistischen Gefängnissen“. Ergebnis der gemeinsamen Recherchen war ein dreisprachiger, 800 Seiten starker ökumenischer Gedenkband mit 130 Lebensbildern: „Märtyrer für Christus in Rumänien zur Zeit des kommunistischen Regimes“. Jede Person wurde in ihrer Muttersprache beschrieben. „Leider war das Material der griechisch-katholischen und der unitarisch reformierten Kirche nicht rechtzeitig zum Druck fertig geworden, sodass das Werk unvollständig ist“, bedauert der Vortragende. Immerhin war die griechisch-katholische Kirche mit 150 Lebensbildern intensiv an den Vorarbeiten beteiligt, die ungarischen Unitarier hatten 14 Fälle aufbereitet.

Drohung an die gesamte Christenheit

Meist müssen Beweise für einen Märtyrertod mühsam zusammengetragen werden. Mit einem Fall, in dem die Täter diese selbst lieferten, leitet Berthold Pelster seinen Vortrag ein: Am 15. Februar 2015 stellte der Islamische Staat (IS) ein Video ins Internet, auf dem die Enthauptung von 20 koptischen Christen aus Ägypten und einem Christen aus Ghana zu sehen war. Es waren Wanderarbeiter auf dem Heimweg aus Libyen nach Ägypten zum Weihnachtsfest. Die Hinrichtung war regelrecht inszeniert worden – am Mittelmeerstrand köpften schwarz gekleideten Dschihadisten die 21 Opfer in orangenen Overalls. Ihr Blut färbte das Wasser rot. Der barbarische Propagandafilm mit dem Titel „Botschaft an die Nation des Kreuzes, geschrieben mit Blut“, zeigt den Anführer, der einen Dolch drohend in die Kamera hält. „Wir stehen hier südlich von Rom“, hebt er an. Seine Rede beendet er mit einer Drohung an die gesamte Christenheit, die er mit dieser Stadt identifiziert: „Das Meer, in dem ihr die Leiche Osama Bin Ladens versteckt habt, wir schwören bei Allah, wir werden es mit eurem Blut mischen!“

„Die Opfer hätten ihr Leben auf einfache Weise retten können“, sagt Pelster. „Mehrmals wurde ihnen angeboten, zum Islam überzutreten.“ Die koptisch-orthodoxe Kirche in Ägypten sprach die Männer wenige Tage später heilig. Ihr Gedenktag ist der 15. Februar und es gibt bereits mehrere Ikonen. Der Schriftsteller Martin Mosebach, der nach Ägypten gereist war, um mit den Familien der Opfer zu sprechen, stellt den Fall ausführlich in seinem Buch „Die 21 – Reise ins Land der koptischen Märtyrer“ dar, und zeichnet darin auch ein faszinierendes Bild über das koptische Christentum.

Von Islamisten getötet und vertrieben

Bereits seit Ende 2016 ist in Ägypten die islamistische Gewalt gegen Christen neu aufgeflammt. Sie müssen als Sündenböcke für die politische Ausschaltung der Muslimbruderschaft herhalten. Vom Dezember 2016 bis zum Dezember 2017 starben über 150 Kopten bei Attentaten, über 190 wurden verletzt. Die Anschlagsserien lösten die Flucht von Hunderten christlichen Familien aus.

In Syrien gab es vor dem Krieg 2,5 Millionen Christen. Mindestens ein Fünftel musste fliehen oder wurde aus dem Land vertrieben, zahllose andere sind innerhalb des Landes auf der Flucht.

Auch in Nigeria breitet sich der Islamismus aus. Die Sekte Boko Haram kämpft fanatisch gegen jeden westlichen Einfluss. Die christliche Religion betrachtet sie als Import aus einer dekadenten westlichen Welt. Boko Haram will ebenfalls einen islamischen Staat einrichten, der Einfluss der Sekte ist vor allem im armen Norden groß. 2012 wurden dort alle Christen aufgefordert, zum Islam überzutreten oder das Gebiet zu verlassen. Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen sollen seither durch Boko Haram ums Leben gekommen sein, darunter Hunderte Christen. Rund 2,5 Millionen sind auf der Flucht, auch Tausende von Christen.

Im Irak wurden Christen – neben schiitischen Muslimen und religiösen Randgruppen – immer wieder Opfer von Anschlägen radikaler Islamisten oder wurden vertrieben. Ihre Zahl hat sich dort in den letzten Jahren von 1,5 Millionen auf ca. 300.000 reduziert – um 80 Prozent! Mitte 2014 eroberte der IS die Millionenstadt Mossul im Norden des Irak. Wenige Tage später wurden die Moscheen der Schiiten und Sufis gesprengt, die Christen aufgefordert, zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Ihre Häuser wurden mit einem „N“ (für Nazarener) beschmiert, die der Schiiten mit einem „R“ (für Abtrünnige), um den Mörderbanden den Weg zu weisen - vermutlich von Nachbarn, mit denen sie bisher friedlich zusammengelebt hatten. Nach einem Ultimatum seitens der IS – sie forderten Konvertierung oder Tod - setzte eine nie gesehene Massenflucht ein. Viele flohen in die Ninive-Ebene. Als der IS auch dort an Einfluss gewann, flohen sie weiter in den kurdischen Norden. 120.000 Christen aus Mossul und der Ninive-Ebene mussten ihre Häuser innerhalb weniger Stunden verlassen. Ein Großteil schlug sich nach Erbil durch, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan, wo sie von christlichen Kirchengemeinden aufgefangen und dank der Hilfe westlicher Organisationen wie „Kirche in Not“ notdürftig untergebracht und versorgt wurden.

Gehören Christen in den Nahen Osten?

„Mesopotamien ist uraltes christliches Gebiet“, erinnert der Vortragende. „Nun besteht die Gefahr, dass die Christen nie wieder dorthin zurückkehren.“ Von Europa, das sie für das Paradies des Christentums hielten, sind die meisten der christlichen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten enttäuscht. Sie mussten feststellen, dass dort 90 Prozent kaum noch in die Kirche gehen, dass es wenig echte Gläubige gibt und sich alles in Wahrheit nur um wirtschaftliche Interessen dreht...

„In den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge ist Christsein noch eine echte Entscheidung“ gibt Pelster zu bedenken. „Die Alternative wäre eine Konversion zum Islam.“ Trotzdem wären viele bereit, in ihre alte Heimat zurückzukehren. „Kirche in Not“ hat die Kosten für einen Wiederaufbau der christlichen Dörfer in der Ninive-Ebene ausgerechnet: ungefähr 250 Millionen USD wären nötig, über 130 Millionen verfügt die Stiftung selbst. „Das ist nicht die Welt“, meint Pelster, „es werden ganz andere Summen für andere Dinge ausgegeben.“ Henkel kritisiert die mangelnde Wahrnehmung des Themas seitens der Politik : „Man diskutiert, ob der Islam zu Deutschland gehört – aber niemand stellt die Frage, ob die Christen im Nahen Osten dazugehören“.

Glaubensverbot oder Einheitsreligion

In manchen Ländern führt totales Religionsverbot zur Christenverfolgung und nicht nur, in anderen eine politisch gewollte Einheitsreligion. Beispiel für ersteres ist Nordkorea, ein so-zialistischer Staat, der nur die Juche-Ideologie als Religionsersatz zulässt. Bei dieser steht der Personenkult um den verstorbenen „ewigen Präsidenten“ und Staatsgründer Kim Il-Sung und seiner Nachkommen im Vordergrund. Als das Regime an die Macht kam, wurden alle Kirchen und Klöster zerstört, Priester und Mönche verhaftet oder hingerichtet.
In China gilt Religion als Aberglaube, der abgeschafft werden muss. Bis dahin sollen Nationalkirchen die Gläubigen unter Kontrolle halten. Viele Christen verweigern sich diesen und leben ihren Glauben in Untergrund-Gemeinden aus.

Bestrebungen zur Durchsetzung einer Einheitsreligion sind in Indien zu erkennen: Die Indische Volkspartei, seit 2014 an der Macht, strebt einen hinduistischen Nationalstaat an. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen auf Christen und Andersgläubige.