Mütter in Rumänien in der Zwickmühle

Das Leben zwischen vermeintlichen Rechten und widerlichen Umständen

Cornelia Paraschiv ist Projektleiterin bei der NGO World Vision. Das Projekt wird in den Landkreisen Vâlcea, Dolj und Vaslui durchgeführt.

„So war es der Wille Gottes“: Die 35-jährige Lucreţia Drăguiescu ist Mutter von sieben Kindern.

An Aufklärungsveranstaltungen haben bisher 2500 Frauen im Kreis Vâlcea teilgenommen
Fotos: die Verfasserin

„Haben Sie sich kostenfreien ärztlichen Untersuchungen während der Schwangerschaft untergezogen?“, lautet eine Frage in der Runde. „Wir haben bezahlt, es war nicht kostenlos“, erwidern mehrere Frauen fast gleichzeitig. Es ist ein angenehmer Herbsttag in der ländlichen Ortschaft Stoileşti im Landkreis Vâlcea: Der Hof des Bürgermeisteramtes ist leer, drinnen in einem kleinen Konferenzraum haben sich ungefähr 20 Mütter – Frauen aus der Gemeinde, manche mit ihren Kindern – versammelt: Was sie hierher gebracht hat? Eine Aufklärungsveranstaltung, eine App, die als Ovulationskalender fungiert, ein Gespräch zum Thema Reproduktionssystem und Rechte der schwangeren Frauen.

Die Organisation World Vision Romania, die hier ein Pilotprojekt durchführt, organisierte unlängst eine Journalistenreise. Die NGO will mit konkreten Beispielen zeigen, welche die Situation einer schwangeren Frau oder einer jungen Mutter auf dem Land in Rumänien ist. Entlarvt werden sollen die Hindernisse, mit denen schwangere Frauen konfrontiert werden. Was für Rechte hat die Frau in Rumänien? Wie geht das Krankenversicherungssystem mit ihr um? Haben Frauen überall im Lande Zugang zu ärztlichen Dienstleistungen während der Schwangerschaft?

Eine der teilnehmenden Mütter bei der Zusammenkunft, Elena Pleşa (32 Jahre), erklärt kurz und bündig den Grund, warum sie während der Schwangerschaft die ärztlichen Dienstleistungen bezahlt hat, auch wenn sie sich ihrer Rechte bewusst war: „Keiner beachtet dich, wenn du nicht zahlst.“ In der Theorie sind ärztliche Dienstleistungen und Untersuchungen, wie die Überwachung der Schwangerschaft und zwei Echografien, für schwangere Frauen kostenlos, egal ob die Frauen versichert sind oder nicht, egal ob sie in einem städtischen oder in einem ländlichen Gebiet leben. Von Stoileşti aus braucht man weniger als eine Stunde, um die Stadt Râmnicu Vâlcea zu erreichen. Die Frauen scheinen aber viel weiter weg von ihren Rechten zu sein. „Das Problem ist, dass weder die Betroffenen, noch medizinische Fachkräfte genau wissen, was für Rechte schwangere Frauen haben“, sagt Cornelia Paraschiv, Projektleiterin bei der NGO World Vision.

Lucreţia Drăguiescu, Mutter von sieben Kindern, nimmt auch an der Veranstaltung teil. Sie ist eine eher kleine Frau mit roten Haaren, die hin und wieder die Stirn runzelt. Als sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht hat, war sie minderjährig. Ihr drittes Kind wurde zu Hause geboren. Sie musste eine Strecke abwärts zu Fuß gehen, um den Krankenwagen zu erreichen. Das hat sie nicht mehr geschafft. „Die Hilfe kam eine halbe Stunde später an – nachdem das Kind geboren wurde“, so Drăguiescu. Als sie schwanger mit ihrem siebten Kind war, hat sie nur einmal den Arzt besucht. Sie lebt weiterhin in einem etwas isolierten Ort: Wenn es regnet, dann schwillt der Fluss in der Nähe so an, da hat man überhaupt keinen Zugang zum anderen Teil des Dorfes. Ist das aber der einzige Grund, weshalb die Frau während ihrer Schwangerschaft nicht öfter ins Krankenhaus gegangen ist?

Eine Familie mit sieben Kindern


Es ist ein bescheidenes grünes Haus auf einem Hügel, in dem die Familie von Constantin Ghinea (40) und Lucreţia Drăguiescu (35) lebt. Ein warmer Wind weht, Hunde bellen und drei Kinder laufen durch den Hof zwischen der Scheune, einem Haufen Bausteinen und zwei Heuhaufen. Drăguiescu ist jetzt wieder zu Hause, nachdem sie zusammen mit anderen Frauen aus der Gemeinde an der Veranstaltung der NGO World Vision teilgenommen hat.

Ihre Familie hat also insgesamt neun Mitglieder: Das jüngste Mitglied ist ungefähr fünf Monate alt, das älteste ist fast 18 Jahre alt und arbeitet auf einer Baustelle. Drăguiescu bekommt Unterstützung: Drei Kinder wohnen bei der Großmutter. Außerdem darf sie zusammen mit den anderen vier Kindern und ihrem Mann im Zweizimmerhaus der Patin wohnen. Ghinea beschäftigt sich mit Landwirtschaft, Drăguiescu ist Hausfrau. Er erklärt, wieso seine Frau während der Schwangerschaft nicht öfter zum Arzt gegangen ist: „Wenn sie kein Problem hatte, wozu soll sie dann hingehen?“. Mit dem Geld, das auf diese Weise gespart werde, mache er Einkäufe für die Kinder. Bei der Entbindung sei alles unkompliziert gegangen, denn nach drei Tagen war seine Lebensgefährtin schon wieder zu Hause. Für Ghinea ist es einfach – wenn die Eltern gesund sind, dann müssen auch die Kinder gesund sein.

Drăguiescu hatte nicht geplant, sieben Kinder zu haben. Sie findet, es war der Wille Gottes. Die letzte Schwangerschaft wollte sie schon unterbrechen, das hat aber aus finanziellen Gründen nicht geklappt. So hatte sie keine andere Wahl, als das Kind zur Welt zu bringen: „Wenn wir genug zu essen haben, dann gibt es für einen mehr auch genug“. Aber jetzt weiß sie sicher, dass sie keine Kinder mehr bekommen möchte. Sie hat an den Veranstaltungen der Organisation World Vision teilgenommen, um mehr über Verhütung und Familienplanung zu erfahren. Ob ihr Leben anders aussehen würde, wenn sie diese Sachen früher gewusst hätte? „Ich glaube schon, hätte ich das früher gewusst, kann es sein, dass es besser gewesen wäre.“ An Maßnahmen hat die 35-jährige Mutter schon gedacht: Sie will die Spirale benutzen. Von dieser Verhütungsmethode hat sie bei den Veranstaltungen der Organisation erfahren: „Es ist ein gutes Projekt“, sagt sie. „Ich werde das probieren und dann sehen wir, wie es weitergeht“. Die Idee, dass seine Frau zu Veranstaltungen zum Thema Familienplanung geht, findet Ghinea gut. „Sie lernt etwas Neues, dann kann sie das auch anderen sagen, die das nicht wissen“.

Ärztemangel in ländlichen Gebieten


Florin Ionescu, der Bürgermeister in Stoileşti, erklärt die Situation der ärztlichen Dienstleistungen in der Gegend: Für 15 Dörfer, also ungefähr 4000 Einwohner, sind drei Ärzte vorgesehen. Davon ist einer gestorben, einer soll bald in die Rente gehen und der dritte kommt zweimal pro Woche aus Râmnicu Vâlcea. „Viele Ärzte wandern aus. Das Problem ist der Ärztemangel hierzulande“, schlussfolgert er.
Seit 2004 gibt es zwei Krankenschwestern in der Gemeinde – sie fungieren als Vermittlerinnen zwischen dem Arzt und den Patienten. Sie gehen meistens zu Fuß oder fahren Rad zu Menschen, die nicht transportiert werden können, und kümmern sich um diese. „Es war sehr schwierig, die Dörfer liegen sehr verstreut. Manche Häuser befinden sich im Wald“, so die Ärztin, die bald in Rente gehen wird. Ein Krankenwagen kann die Gegend in 45 Minuten erreichen, im Winter dauert es natürlich länger. Was Familienplanung anbelangt, ist eines der Probleme das folgende: „Drei Kondome kosten acht Lei. Viele sagen, es ist zu teuer“, meint eine der Krankenschwestern.

„Was die Frauen wollen, ist nicht so wichtig“

Cornelia Paraschiv spricht über das Projekt von World Vision, dessen Schwerpunkt auf benachteiligten Müttern liegt. Das Pilotprojekt findet gerade in drei Landkreisen statt: Vâlcea, Dolj und Vaslui. Diese Kreise wurden ausgewählt, da die Müttersterblichkeitsrate in diesen Regionen zweimal oder sogar viermal höher als der nationale Durchschnitt sei. Und der nationale Durchschnitt sei sowieso das Zehnfache im Vergleich zu Ländern wie Österreich oder Polen, meint Paraschiv.
Das Gesamtbild, das Paraschiv schildert, ist düster: „Wir haben noch nicht über das traditionelle, patriarchalische Modell der Familie gesprochen, in dem der Mann dominiert und die Frau gefügig ist. Oft gibt es Probleme wie Alkoholismus und häusliche Gewalt. Was die Frauen wollen, ist nicht so wichtig“, so Paraschiv. Die rumänische Frau sei schon erniedrigt, niemand respektiere ihre Rechte. Das Gesundheitswesen habe diese Hindernisse: da können kostenlose ärztliche Untersuchungen für schwangere Frauen nicht gewährleistet werden, die Familie habe kein Verständnis dafür, im Arbeitsbereich wolle kein Arbeitgeber an Mutterschaftsurlaub denken, so Paraschiv. Ob Frauen sich der Situation bewusst sind, in der sie sich befinden? „Viele davon wissen es. Sie haben resigniert. Sie haben gesagt, was sie sagen wollen. Aber wer hört auf sie?“