„Multikulturalität ist unser großer Schatz“

Ein wichtiger Schwerpunkt des österreichischen Kulturforums ist die gesellschaftliche Inklusion durch Kunst und Kultur

Thomas Kloiber, Kulturattache der österreichischen Botschaft in Bukarest, glaubt an Kunst und Kultur als Wegbereiter für eine offenere Gesellschaft. Foto: die Verfasserin

„Kunst kann nicht nur Kunst sein - dann ist es nicht Kunst.“ Er lacht auf über seine eigenen Worte. Fügt an: „Wenn sie nicht diese gesellschaftsverändernden Aspekte mitträgt, dann ist sie ein Behübschen unserer heilen Welt. Wenn wir über ein Land und eine Gesellschaft sprechen, müssen Kunst und Kultur gesellschaftsverändernd sein.“  - Seit gut zwei Stunden sitzen wir uns gegenüber. Das Interview ist längst im Kasten – da rückt er plötzlich mit einer Idee heraus, inspiriert von einem seiner letzten Projekte im Iran, „Lebenswelt Alm“: Österreichische Künstler, die im Sommer als Schäfer im Dachsteingebirge arbeiten, brachte er mit ihren „Hirtenkollegen“ im Elburs-Gebirge zusammen. Wanderungen, im Shelter wohnen, beim Brotbacken zusehen; dann folgten eine Projektwoche auf dem Alam-Kuh, dem zweithöchsten Berg des Landes, ein großes interdisziplinäres Symposium an der Schahid-Beheschti-Universität, Lesungen, gemeinsame Workshops: Alm und Tourismus, Alm und Botanik/Pflanzenheilkunde, Alm und Ethnologie. 

„Wenn Sie sowas in Rumänien umsetzen, dann werden Sie mich nicht mehr los, dann werde ich das intensivst journalistisch begleiten“, provoziere ich ihn. Thomas Kloiber lacht. Ein herzliches, offenes Lachen. „Hirtentum macht viel von der Identität einer Nation aus“, erklärt der Leiter des österreichischen Kulturforums, der letzten Januar sein Amt in Bukarest angetreten hat. „Und ich glaube, dass das auch ein wichtiger Kulturaspekt ist. Wenn wir in Österreich die alpinen Traditionen als antiquiert auf die Seite schieben würden, nähmen wir etwas Wesentliches von unserer Identität weg“. Die eigentliche Stärke des Projekts „Lebenswelt Alm“ aber war das Zusammenbringen von Tradition, Kunst und Wissenschaft auf interdisziplinäre Weise. „Ein Film mit Aufnahmen einer Drohne, über die Farben der Botanik des Elburs-Gebirges – phantastisch!“ schwärmt er weiter. Von österreichischer Seite nahmen hochrangige Wissenschaftler teil, etwa der Leiter des Herbariums im Naturhistorischen Museum Wien. Manche Iraner hätten anfangs über seine Idee gelächelt, gesteht Kloiber. Doch der Erfolg des Projekts hat ihm recht gegeben. Ob er ähnliches auch für Rumänien plant? Es gibt drei österreichische Schriftsteller - darunter Bodo Hell, einer der bekanntesten gegenwärtigen Sprachkünstler, die sich schon dafür interessieren, verrät er augenzwinkernd.

„Kulturkolonialismus hat sich überholt“

„Dieses Jahr ist allerdings schon ziemlich verplant“, gesteht Thomas Kloiber. An Ideen mangelt es ihm offensichtlich nicht. Und auch Bukarest war beileibe kein Kulturschock für den katholischen Theologen, der in Wien und Burgos (Spanien) studiert hatte, dann vier Jahre im Dienst eines Bischofs in Eisenstadt stand und schließlich für eine internationale familienpolitische NGO arbeitete, bevor er sich 2008 entschloss, im österreichischen Außenministerium zu arbeiten. An den großen Botschaften in Washington und Moskau lernte er, „den Gesamtbetrieb zu verstehen“, Konsulararbeit und Verwaltung. Mit Kultur wurde er erst auf seinem letzten Posten als stellvertretender Leiter des Kulturforums in Teheran konfrontiert. Glücklich, dass er sich auch hier wieder mit „der schönsten Aufgabe des Systems“ befassen darf, verrät er über seine Ankunft in Bukarest: „Es war ein bisschen wie Heimkommen. Ich habe mich sofort wohlgefühlt.“ Hier spüre man eine ähnliche Willkommenskultur wie in Teheran, meint der Wiener - und doch sei man schon auf dem halben Weg nach Hause.

Zwischen dem alten und dem neuen Einsatzland zieht Kloiber immer wieder Parallelen: Großes Potenzial - aber auch die Tragik der Entvölkerung durch Braindrain. „Andererseits ist es schön, wenn die, die weggehen, sich zurückorientieren. Ich hab immer wieder Projekte mit solchen, das hab ich mir zur Agenda gemacht“, sagt er über rumänische Künstler, die sich in Österreich oder international etabliert haben. „Die meisten sind stolz drauf, versuchen, das kulturelle Erbe wieder mitzunehmen und einfließen zu lassen - was gerade das Tolle ist, darin liegt ja der Schatz!“ 

Bilaterale Projekte, am besten in beiden Ländern, darauf will er sich konzen-trieren. Auch deswegen, weil es nicht nur darum geht, was der Betrachter sieht. „Es passiert ja auch etwas, wenn die Künstler hinter den Kulissen in Dialog treten.“ Als Beispiel nennt er eine Gemeinschaftsausstellung der Galeria Posibila mit der Fotogalerie Wien, die Ende Februar in Bukarest eröffnet wird: Sieben österreichische Foto- und Videokünstler werden dort ihre Werke zum Thema Landschaften einen Monat lang präsentieren; die Rumänen waren schon im September letzten Jahres in Wien. Oder die Musical Bridges, initiiert von Radio România in Kooperation mit dem Kulturforum, mit rumänischen und ausländischen Künstlern. „Es ist an der Zeit, dass man weggeht von der Idee, dass eine Kultur der anderen etwas zeigen muss. Kulturkolonialismus hat sich überholt“, resümiert Kloiber.

Wie man die Dinge betrachtet

Für dieses Jahr steht erst mal die EU-Ratspräsidentschaft als Anlass für kulturelle Projekte im Vordergrund. Immerhin gaben sich Bulgarien, Österreich und Rumänien nacheinander die Staffette in die Hand. „How to Look at Things“ (wie man die Dinge betrachtet) nennt sich die Ausstellung, mit der sich Österreich zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft vorstellte und am Ende verabschiedete. Die Initiative stammt von der Missionsleiterin, Botschafterin Isabel Rauscher. „Wir haben viel Herzblut reingesteckt und alles selber entwickelt“, begeistert sich Thomas Kloiber. Derzeit ist die Ausstellung noch bis zum 23. Februar in der Galerie Atelier 030202 zu sehen, es sei nur so viel verraten: In drei verschieden großen Hochglanzkabinen, die als „Menhire“ an Stonehenge erinnern sollen, werden drei Filme präsentiert. Rumänische, bulgarische und österreichische Künstler erfassen darin, was sie als typisch für ihr Land erachten. In Bulgarien sind es die parallelen Lebensrealitäten, die oft nicht zusammen zu passen scheinen. Ivelina Ivanova stellt sie als pfiffige Strichmännchen im Zeitraffer dar. Für Rumänien stellt C˛t˛lin Burcea eine Statue aus der jüngeren Geschichte in den Vordergrund; an den Reaktionen der Betrachter, die aus verschiedenen Lebensaltern stammen, reflektiert sich ihre Bedeutungsänderung im Wandel der Zeit. In Österreich stehen Personen stoisch in einer sich immerfort verändernden Landschaft. Klimawandel? Kloiber korrigiert: „Das ist die Unaufgeregtheit des Österreichers, auch wenn rundum etwas passiert. Die Bodenständigkeit, das Aushalten von Veränderung“, zitiert er Kurator R˛zvan Ion. Als die multisensoriale Ausstellung zur Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Österreich für eine Nacht im Petrom-Gebäude gezeigt wurde - „die Umgebung – große Aula, Stahlbetongebäude – war perfekt“ – waren die Reaktionen ausgenommen positiv, freut sich der Kulturattache.

Rumänisches Roulette

Kunst sieht er als Wegbereiter für eine offenere Gesellschaft, Multikulturalität als unseren größten Schatz. „Multikulturalität ist keine Frage, ob man es will, sondern Realität“, präzisiert Kloiber. „Das gilt auch für uns in Österreich. Ich hab auch eine ungarische Großmutter, aber nicht mehr Ungarisch gelernt, weil mein Vater es nicht mehr gelernt hat.“ Ein Projekt, das verdeutlichen soll, wie sehr uns Multikulturalität in Eu-ropa betrifft, ist das Theaterstück „Rumänisches Roulette“ von Mercedes Echerer. Die Schauspielerin und Politikerin aus Linz, die letzten November in Bukarest ihr Donaumärchenbuch vorgestellt hatte, erzählt darin ein wenig autobiografisch die Geschichte einer EU-Abgeodneten, die auf einer Reise in Rumänien in einem Dorf bei Klausenburg/Cluj-Napoca strandet. Weil ihr alle Papiere gestohlen werden, muss sie die Nacht in einem Polizeirevier verbringen und versucht, zum Nachweis ihrer Identität Kontakte zu ihrer Familie, die aus der Gegend stammt, zu reaktivieren - vergeblich. Die Personen kommen aus verschiedenen ethnischen Bereichen – Rumänen, Ungarn, Deutsche, Roma - was sich jeweils in der Musik reflektiert, erklärt Kloiber. Die Aussage? „Dass wir hier alle in einem Schmelztiegel der Kulturen leben und dass sie sich als EU-Parlamentarierin aus all diesen Quellen nährt. Sie lernt, ihre Traditionen wieder zu schätzen – auch wenn es ihr zunächst nichts bringt, um aus der Situation rauszukommen. Doch diese Nacht wird ihr geschenkt, um den Schatz ihrer Multikulturalität zu leben.“

„Rumänisches Roulette“ soll vorraussichtlich am 14. Juni in Hermannstadt/Sibiu aufgeführt werden. „Wir sind aber auch mit weiteren Aufführungsorten in Verhandlung, hoffen, dass es auch in Temeswar gezeigt wird, im Hinblick auf die Kulturhauptstadt“, verrät der Kulturattache.

Kunst und historische Verantwortung

Letztes Jahr war die Kulturarbeit stark auf historische Ereignisse fokussiert: 100 Jahre Republik Österreich, 80 Jahre Anschluss an Nazideutschland, 70 Jahre allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Eine Chance, Geschichte so aufzubereiten, dass man sie den Menschen näher bringt, meint Kloiber. „Wir haben auch immer versucht, einen Konnex zur politischen Großwetterlage herzustellen“, fügt er an. Vor allem das Thema Menschenrechte eignet sich dafür: „Mir ist da durch Zufall ein Film in die Hände gefallen“, erzählt er über Bernhard Rammerstorfers „Leiter in der Löwengrube“ (aufgeführt im letzten Dezember im Schillerhaus, die ADZ hat berichtet: 23.12.2018, „Lieber den Tod als Krieg“) „Den versuchen wir, noch bei weiteren Filmfestivals zu zeigen, weil er einfach wertvoll ist.“ Ein seltener Fall einer Dokumentation von religiöser Diskriminierung zur NS-Zeit, der gleich zwei der obengenannten Themen verknüpft: den Angriff auf die Menschenrechte und den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland. Vom Haupthelden, dem 107-jährigen Leopold Engleitner, schwärmt er: „Der Mann muss extrem interessant gewesen sein. Ich bereue, dass ich ihn nicht persönlich kennengelernt habe. Ich hoffe, dass wir noch Filmfestivals finden, die den Film zeigen wollen.“

Auch Gedenkjahre sind immer gut, um Kunst als gesellschaftsverändernden Faktor einzusetzen. Kloiber erzählt von der Eröffnung der Ausstellung „Gustav Klimt. Wegbereiter der Moderne“ im Bukarester Stadtmuseum, wenige Tage vor unserem Gespräch. Erklärt: „Genau darum geht es auch heute - neue Wege öffnen, sich trauen, gegen Widerstände anzukämpfen, neue Perspektiven beleuchten und die Ausdrücke auch zulassen. Kunst kann nicht nur Kunst sein, dann ist es nicht Kunst.“

Weitere Highlights in diesem Jahr: ein Theaterstück über den Wert der Arbeit und sozialrechtliche Aspekte im Rahmen der Reihe Cafe Kultour (Temeswar); die Ausstellung „La masa“ (zu Tisch) über den verantwortlichen Umgang mit Nahrungsmitteln, in der auch der internationale Einfluss auf die siebenbürgische Küche gezeigt werden soll, dies im Rahmen des Projekts Gastronomische Region Hermannstadt. „Ich hoffe, dass wir auch die ‘Invisible Roma’- Woche wieder mitgestalten dürfen“; „ auch die Stärkung der Zivilgesellschaft ist uns wichtig, etwa durch Einbindung der Berufsschule der Concordia-Stiftung“; „dann werden wir noch was machen im Bereich kreative Östereicher, die in bestimmten Lebensbereichen geforscht haben, Innovation, Filmkunst“. 

Pläne über Pläne. Wie schafft er das nur alles? Nun schmunzelt Thomas Kloiber: „Fang nie an, aufzuhören und hör nie auf, anzufangen - das ist meine Triebfeder seit der Kindheit!“