Öffentliche Räume zwischen Sakralisierung und Säkularisierung

Band der Stiftung „Pro Oriente“ analysiert die gesellschaftliche Renaissance der Religion in Südosteuropa nach 1989 auch am Beispiel Rumäniens

Alojz Ivaniševic (Hg.): „Re-Sakralisierung des öffentlichen Raums in Südosteuropa nach der Wende 1989?“, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2012, geb., 212 S., ISBN 978-3-631-62235-3, (=Pro Oriente. Schriftenreihe der Kommission für südosteuropäische Geschichte, Bd. 5), 44,95 Euro

Bis 1989 war die Religion in den meisten kommunistischen Ländern aus dem öffentlichen Raum ins Privatleben verbannt. Wobei die Bandbreite durchaus variieren konnte zwischen Ländern wie Albanien, das sich offiziell zum ersten religionsfreien Staat der Welt erklärt hatte, und Rumänien, wo der Staat selbst in kommunistischer Zeit Gehälter von Pfarrern und kirchlichem Personal bezahlte und kirchliche oder islamische Bau- und Sanierungsmaßnahmen förderte. Das Religionsrecht dieser Länder signalisierte offiziell Religionsfreiheit, in der Praxis wurde der Religionsunterricht abgeschafft und theologische Fakultäten geschlossen.

Nach der Wende kam es zur Renaissance der Religion in Südosteuropa. Die Religionsgemeinschaften kämpfen seither um eine Neuordnung ihres Verhältnisses zum Staat, wobei sie oft an frühere Zeiten enger Nähe anknüpfen wollen. Gleichzeitig hat mancherorts eine Re-Sakralisierung öffentlicher Räume zwischen den früheren Traditionen und der Tabuisierung zu kommunistischer Zeit stattgefunden. Einerseits streben dabei die Religionsgemeinschaften selbst nach einer solchen Re-Sakralisierung, andererseits sonnen sich auch Politiker im Glanz der Altäre.

Mit all diesen Fragen beschäftigt sich länderübergreifend ein Band der Wiener Stiftung „Pro Oriente“. Die 13 sehr guten Beiträge stammen von namhaften Autoren wie Klaus Buchenau, Hans-Christian Maner oder Vasilios N. Makrides. Immer wieder geht es um das Verhältnis zwischen Religion, Öffentlichkeit, Nation und Gesellschaft. Wobei dem ersten Satz des Herausgebers Alojz Ivaniševic zu widersprechen ist, wenn er schreibt: „In der österreichischen und gesamteuropäischen Öffentlichkeit ist es längst üblich geworden, die Religion als Privatsache zu bezeichnen – als logische Konsequenz der Trennung von Kirche und Staat.“ (S. 9)

Zwar gibt es von Kirchenkritikern bis zu manchen Bürgerrechtsbewegungen und Medien solche medial lautstark verbreitete Tendenzen, doch die Bandbreite im Verhältnis zwischen Staat und Kirchen in den EU-Staaten reicht vom französischen Laizismus über die am meisten verbreiteten Kooperationsmodelle wie etwa in Deutschland, Österreich oder Rumänien bis zu Ländern mit Staatskirchenmodell wie Griechenland. Eine echte Trennung gibt es in den wenigsten Ländern.

Religionsunterricht an staatlichen Schulen, theologische Fakultäten an Universitäten oder auch die garantierte Anstalts- und Krankenhausseelsorge durch die Religionsgemeinschaften sind Phänomene, die in den vormals kommunistischen Staaten seit 1990 meist recht zügig wieder eingeführt wurden. Die neue Sakralisierung öffentlicher Räume und Präsenz der Religionsgemeinschaften in den Gesellschaften Südosteuropas kommen dabei auch als Gegenbewegung zur nüchtern-säkularen Demokratie in den Blick.
Mehrfach wird deutlich, dass das Aufblühen der Religion gerade in Ost- und Südosteuropa auch eine Folge der Politikverdrossenheit ist. Die Korruption der Politiker in den noch defizitären jungen Demokratien erleichtert und ermöglicht manche Sakralisierung öffentlicher Räume. Die hervorragenden Beiträge demonstrieren immer wieder die gesellschaftspolitische Relevanz der Auseinandersetzung zwischen Säkularisierungs- und Sakralisierungstendenzen.

Die Beiträge von Ingeborg Gabriel und Alois Mosser bieten wichtige Grundlagenreflexionen zum Selbstverständnis der Kirche im öffentlichen Raum und dem Staatsverständnis aus kirchlicher Sicht. So liefert Gabriel eine sprachliche Entwirrung der meist synonym verwendeten Termini der Säkularisierung, des Säkularismus und der Säkularität. Sie begründet einerseits das „zivile Recht auf Religionsfreiheit“ (S. 28), macht aber auch deutlich, dass der religiös homogene Staat der Vergangenheit angehört und das öffentliche Engagement der Kirche als Dienst an der Welt und in der Welt wahrgenommen werden müsse. Mosser hinwiederum betont bei seinen Überlegungen zur Spannung zwischen Sakralisierung und Entchristlichung öffentlicher Räume die „große Bedeutung der Religionsgemeinschaften als Kulturträger, als Bewahrer religiös-kultureller wie auch religiös-nationaler Traditionen“ (46).  

Die genannten Fragestellungen werden in Fallbeispielen einzelner Länder zu Österreich, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Montenegro, Kroatien, Griechenland und Bosnien-Herzegowina untersucht. Die Länderbeiträge sind durchaus kritisch, aber ausgesprochen differenziert und sehr objektiv. Die hier dargestellten Konflikte sorgten auch dafür, dass in Bulgarien bzw. Rumänien die Verabschiedung des neuen Religionsrechts bis 2002 bzw. 2006 dauerte.

Klaus Buchenau weist nach, dass die authentische orthodoxe Theologie nicht pauschal als nationalistisch bezeichnet werden kann, sondern das asketische Idealbild des Menschen Leitbild ist. Die Verinnerlichung nationalistischer Werte sieht er als „eine unintendierte, wenn auch im Rückblick wenig überraschende Folge des historischen Erbes“ an (67). So sei die Orthodoxe Kirche unter osmanischer Herrschaft auch „Selbstverwaltungsorgan der christlichen Bevölkerung gewesen mit weitgehenden zivilrechtlichen Kompetenzen“ (70).

Mit der Unabhängigkeit 1878 wurden die orthodoxen Kirchen in Bulgarien, Rumänien und Serbien zu Staatskirchen erklärt und präsentierten sich gerne als „staatsschöpferische Nationalkirchen mit besonderen historisch erworbenen Rechten“ (S. 73), wobei die rumänische Orthodoxie laut Buchenau „eine gewisse Strahlkraft bis in das Bildungsbürgertum hinein entwickeln konnte“ (77) und sich sogar im Kommunismus trotz scharfer politischer Kontrolle zu einem „Staat im Staate“ und einer „gesellschaftlichen Parallelautorität“ entwickeln konnte.

Hans-Christian Maner würdigt in seinem Beitrag das neue Religionsrecht in Rumänien und hält zutreffend fest: „Die rumänischen Religionsgemeinschaften und die Politik haben sich mit dem neuen Kultusgesetz für ein gelenktes, pluralistisches Kooperationsmodell nach deutschem und österreichischem Vorbild entschieden. Das Gesetz schützt die bestehenden Kirchen und Religionsgemeinschaften und würdigt deren Einsatz für moralische Werte, Sitte und Moral sowie geistige Erziehung in der Gesellschaft und ihre Sozialarbeit. Der Staat verpflichtet sich, die Religionsgemeinschaften auch finanziell zu unterstützen.“ (90) Er äußert sich kritisch, aber differenziert auch zur Kollaboration orthodoxer Würdenträger mit dem Regime vor 1989 und erkennt ein deutliches Symbol für die Re-Sakralisierung in der im Bau befindlichen neuen riesigen „Erlöser-Kathedrale“ in Bukarest.

Weitere interessante Einzelaspekte, die in mehreren Beiträgen durchscheinen, sind die Rolle von Papstbesuchen oder auch die Frage der Integration der Muslime. Durchaus kritisch beleuchtet Herausgeber Ivaniševic in seinem eigenen Beitrag die nationalistischen Tendenzen in der Kroatischen Katholischen Kirche, während Vasilios Makrides den griechischen und orthodoxen Antiokzidentalismus beleuchtet und darlegt, dass die Orthodoxe Kirche in Griechenland heute trotz ihres Status als Staatskirche einen wesentlich geringeren Einfluss auf Politik und Gesellschaft hat, als gemeinhin angenommen.
Zu den Themen des vorliegenden Bandes gibt es seit Jahren eine fast ausufernde Literatur mit vielen sehr dürftigen Bänden und Texten. Dieses Buch zählt zum Besten, was der Markt zu bieten hat.