Oppositionsgloria und Separattriumph

Man darf nach den Europawahlen und der Volksbefragung vom 26. Mai von einer Zeitenwende in Rumänien träumen. Wahrscheinlich hat auch der griesgrämigste unter den seriösen Journalisten Rumäniens, Cristian Tudor Popescu, recht, wenn er am Wahlabend dekretierte, dass erst mit den Wahlergebnissen vom 26. Mai 2019 die „Epoche Ceauşescu” endlich zu Ende gegangen ist.

Grundsätzlich dürfte der Umschwung der politischen Mehrheitsmeinung, der an den Wahlurnen manifest wurde, einerseits durch die für Rumänien ungewöhnlich hohe Beteiligung an der Europawahl zu erklären sein. Senatspräsident Călin Popescu-Tăriceanu hatte einen ehrlichen Moment, als er im Schockmoment der Führungsriege und der Kandidaten der ALDE zugab, dass „niemand von uns mit einer so hohen Wahlbeteiligung gerechnet hatte“. Andrerseits war der Urnengang der Erst- und Jungwähler der Altersklasse 18-28 Jahre ausschlaggebend. Das ist, als Bildung und Sozialstand, die neue Mittelklasse, die ihre Zukunft hierzulande sieht und nicht akzeptiert, weiter von securitate-durchwachsenen Führungen gelenkt zu werden. Sie haben das Meckern über die Wahlergebnisse von 2016 aufgegeben und entschlossen für die Abwahl der gegenwärtigen Regierungskoalition gestimmt. Und für die Oppositionsparteien oder für neu gegründete politische Formationen, von denen allerdings keine an ernstzunehmende zehn Prozent herankam. Doch jede einzelne kommt als Juniorpartner der beiden großen Oppositionsparteien in Frage.

Nur: Mit dem Demokratieverständnis der Spitzenpolitiker ist es nicht weit her.
Bei der „Europawahl“ haben die altgedienten Oppositionellen von der PNL und das junge Bündnis der Neugründungen „Allianz 2020“ zusammengenommen die 50-Prozent-Marke touchiert, während das Regierungsbündnis PSD/ALDE glanz- und würdelos unterging. Sofort spekulierte man lustvoll über einen Regierungswechsel. Gleichzeitig feierte Präsident Johannis seinen Separattriumph mit der überwältigenden Bejahung (selbst in den fundamentalistischsten PSD-Wahlkreisen waren um die 80 Prozent dafür) der zwei Fragen des Referendums: a). ob die Bürger Rumäniens einverstanden sind, künftig Amnestien und Begnadigungen im Falle von Korruptionsverbrechen grundsätzlich zu verbieten und b). ob die Bürger einverstanden sind, dass der Regierung untersagt wird, Dringlichkeitsverordnungen zu Justizfragen zu verabschieden und andererseits das Recht der Direktbeanstandung von Eilerlassen beim Verfassungsgericht gewährt zu bekommen.

Europawahlen 2019 waren in Rumänien nationale Nabelschau: Sofern Europa und die EU nicht unterschwellig als „Feind” gebrandmarkt wurden, ging es um spezifische Probleme dieses Landes. Auch die Wahlergebnisse sind vom ersten Augenblick an aufs Inland projiziert worden: Die amtierende Regierungskoalition muss das Ruder abgeben, wer koaliert mit wem, um an die Macht zu gelangen, welche Allianzen werden geschmiedet, um das Amt des seit Montag eingesperrten Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea, zu besetzen (Victor Ponta von „Pro România“: „Jede Fraktion hat eine Berechtigung auf dieses Amt!“) - alles ganz so, als hätten wir am Sonntag Parlamentswahlen gehabt, keine Europawahlen. Mit dem Demokratieverständnis dieser „Eliten“ ist´s immer noch nicht weit her.

Augenblicklich muss Präsident Johannis Fingerspitzengefühl, Klugheit und Konsequenz zeigen. Von „Verantwortungsübernahme“ für das gelenkte Chaos bei der Wahl der Auslandsrumänen haben wir von ihm schon 2014 – folgenlos – gehört... Die Parlamentsmehrheit von PSD/ALDE gibt es nach wie vor, auch wenn die PSD wackelt und sich in den nächsten Wochen zerkrümeln könnte. Aussitzen ist trotzdem keine Taktik. Die zerstrittene Opposition muss befriedet werden. Mit dem Ergebnis des Referendums muss etwas geschehen – was nur per Verfassungsnovelle verwirklicht werden kann. Das ist unmöglich ohne die PSD.