Orangen, Bananen und Sahnetorten

„Ich erinnere mich genau, wie ungeduldig ich darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Wie fröhlich die Orangen leuchteten, im Unterschied zur aschgrauen Umgebung. Orangen sah ich nur einmal im Jahr, am ersten Weihnachtstag. Ich überlege mir, was ich mit meiner Orange machen werde. Die Schale werde ich natürlich aufheben, und von den Süßigkeiten nur eine pro Tag zu mir nehmen. Jedes Kind bekommt seinen Schatz beim Betreten des Raumes. Nun bin ich endlich auch dran. Doch der Mann schiebt mich zur Seite. „Nein, du bekommst heute nichts, als Strafe für gestern.“
Meine Freundin Corina, eine Poetin aus Jassy, postete dieses Zitat auf Rumänisch bei facebook und wendete sich an ihre facebook-friends mit der Frage: „Wer mir sagen kann, wer diese Erinnerungszeilen geschrieben hat, bekommt von mir einen Kaffee, einen Kuchen und eine Orange, morgen bei meiner Lesung in Bukarest.“ Viele nannten Autoren, die ihre Kindheit im Kommunismus verbracht hatten, die meisten tippten auf Herta Müller.


Nein, erklärte Corina knapp bei jedem neuen Versuch.
Haha, ich weiß es, sage es aber nicht, weil ich auch anderen eine Chance lassen möchte, schrieb Florin, der es bestimmt auch nicht wusste.
Dann meldete sich einen halben Tag lang keiner mehr.
Come on, Corina, mach es nicht mehr so spannend, schrieb ich.
Charlie Chaplin war es. Das Zitat taucht in seinem Buch „Ein Komiker erlebt die Welt“ auf, schrieb Corina.
Sehr interessant, dachte ich, das lief also Anfang des 20. Jahrhunderts. Und ein halbes Jahrhundert später, als ich in Rumänien im Kommunismus lebte, wurde es noch interessanter, da fehlten nicht lediglich die Orangen, sondern auch die Bananen. Wenn Harold Lloyd damals einen Film gedreht hätte, hätte er keine einzige Bananenschale gefunden, um darauf auszurutschen und auf den Hintern zu fallen. Und außerdem hätten Stan und Ollie nie eine Sahnetortenschlacht organisieren können.  Woher denn Sahne zur damaligen Zeit?

Die im westlichen Europa hingegen hatten es gut. Der Schweizer Regisseur Jean-Luc Godard, zum Beispiel, hatte das süße Vergnügen, sich nicht nur, wann immer sein Herz begehrte, ein Stück Sahnetorte in den Mund schieben zu können, er bekam sogar 1985 in Cannes kostenlos eine ganze Sahnteorte voll ins Gesicht geschleudert,vom belgischen Sahnetortenattentäter Noël Godin, weil diesem Godards Film „Maria und Joseph“ nicht bekommen hatte. Jean-Luc leckte sich daraufhin die Lippen und erklärte zufrieden: „Vielen Dank! Der Stummfilm hat mir soeben eine Hommage erwiesen.“

Und in den USA ist alles sowieso immer eine Nummer größer als in Europa ausgefallen, also auch die Sahnetorten. 1965, als in Blake Edwards amerikanischer Komödie „Das große Rennen rund um die Welt“ die größte Sahnetortenschlacht aller Zeiten stattfand, in der eine Amok laufende riesige Menschenmenge mit unzähligen, extra zu diesem Zwecke gebackenen riesigen Sahnetorten um sich warf, blieben am Ende der Dreharbeiten noch über dreihundert Sahnetorten übrig, die die Film-Crew selbst verdrücken musste.
Oh ja, da wäre ich auch gerne dabei gewesen: 1965 war ich 15 Jahre alt, futterte wie ein Scheunendrescher und hätte mindestens drei dieser Torten im Handumdrehen verputzen können, ganz ohne Probleme. Nicht wie kürzlich, wo ich mich nach einer Geburtstagsfeier gezwungen sah, folgende Gesundheitsfrage in einem Gesundheitschat zu stellen: „Habe vorhin zwei Stückchen Sahnetorte gegessen und mir geht es seitdem richtig schlecht. Was soll ich denn tun?“ Darauf bekam ich umgehend einen prima Tipp: „Koch Dir einen Kamillentee und geh eine Runde spazieren. Und wenn dir immer noch übel ist, Finger in den Hals, bis zum Zäpfchen, und umrühren. Dann kommt alles raus, was du nicht vertragen hast.“
Die Zeiten haben sich eben geändert, heute ist längst nicht mehr alles feinste Sahne.