Orthodoxie und religiöser Transnationalismus in Rumänien

ADZ-Gespräch mit dem deutschen Historiker Prof. Dr. Klaus Buchenau

Professor Dr. Klaus Buchenau

Klaus Buchenau wurde 1967 in Warleberg (Schleswig-Holstein) geboren und studierte zwischen 1991-1997 Geschichte und Slawistik in Berlin, Moskau und Warschau. 2003 promovierte er an der Freien Universität Berlin (FU) mit einer Dissertation über Orthodoxie und Katholizismus im sozialistischen Jugoslawien. 2010 erfolgte die Habilitation an der FU Berlin über transnationale antiwestliche Netzwerke (Russland/Serbien). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören u. a. Religionsgeschichte; die Geschichte Jugoslawiens und seiner Nachfolgestaaten; Antiwestlertum, Fundamentalismus in orthodoxen Kulturen Südost- und Osteuropa und Beziehungen zwischen Russland/Sowjetunion und Südosteuropa im 19.-20. Jahrhundert. Derzeit ist Klaus Buchenau Professor für Südosteuropäische Geschichte an der Universität Regensburg. Der deutsche Hochschullehrer und Forscher ist bereits mehrmals in Rumänien und nun zum dritten Mal in Temeswar gewesen. An der West-Universität Temeswar hielt er zwei Vorträge auf Englisch bzw. auf Deutsch: „Corruption in South-Eastern Europe. A Historical Perspective“ und „Orthodoxie und Europa. Historische und aktuelle Reflexionen“. Der zuletzt genannte Vortrag war im Rahmen der ersten Deutschen Kulturtage, einer Veranstaltung der Zentralen Universitätsbibliothek „Eugen Todoran“ in Temeswar, anberaumt. Über die Rumänische Orthodoxe Kirche und den religiösen Transnationalismus sprach die ADZ-Redakteurin Iulia Sur mit Professor Dr. Klaus Buchenau.

Sie erwähnten in ihrem Vortrag, dass Sie Protestant, Lutheraner, sind. Wie ergab es sich, dass Sie sich mit der Orthodoxie beschäftigen?

Das war ein längerer Prozess. Meine erste Begegnung damit war 1988, als meine Großmutter eine Ikonenausstellung in Schleswig besuchte. Diese Ausstellung wurde anlässlich des tausendjährigen Jubiläums der Taufe Russlands gezeigt. Und meine Großmutter kam dann zurück und sagte: „1000 Jahre wurde das Gleiche gemacht, stell dir das mal vor!“ Aber daraus wurde noch keine richtige Beschäftigung. Schon als Junge habe ich mich für religiöse Fragen interessiert, zuerst im Rahmen unserer eigenen Kirchengemeinde, bei den Lutheranern, dann als mich mein Vater auf Wanderschaft nach Mexiko und in die USA geschickt hat. Dort habe ich zwei Wochen bei der Moon-Sekte verbracht und bin dann da ausgebrochen. Seitdem haben mich eigentlich immer diese Fragen beschäftigt. Als ich mich dann für das Studium der Slawistik entschieden habe, bin ich 1992 nach Russland gegangen und habe in meiner Freizeit russische Kirchen und Klöster besucht.

In einigen habe ich die religiöse Seite dieses frühen wilden Postsozialismus mitbekommen. In der Petscherskaja Lawra an der Grenze zu Estland habe ich ein paar Tage im Umfeld des Klosters gelebt und beobachtet, wie da versucht wurde, psychisch Kranke mit Gottesmethoden zu heilen. Menschen habe ich dort getroffen, die ihre städtischen Karrieren an den Nagel hängen und nur noch ins Kloster gehen wollten und so taten, als hätten sie mit der Zivilisation abgeschlossen. Es war eine wilde Atmosphäre und sie war aufgeladen mit allen möglichen Energien. Es war faszinierend und abstoßend zugleich und diese Mischung hat mich in ihren Bann gezogen. Dann habe ich im Zuge der Jugoslawien-Kriege angefangen, mich für die religiösen Hintergründe dieser Kriege zu interessieren.

Sie stammen aus Westdeutschland. Wieso haben Sie sich für das Studium der Slawistik entschieden?

Ich habe keinerlei familiäre Beziehungen in diesen Raum, hatte auch keinen Russischunterricht in der Schule, gar nichts. Eigentlich ist Gorbatschow Schuld. Ich glaube, wir haben damals mit 50 Leuten den Russischkurs an der FU Berlin angefangen. Eigentlich waren es zwei Kurse mit insgesamt 100 Leuten, die 1989 den Intensivkurs anfingen, und alle fanden es toll mit der Perestroika und dass sich im Osten etwas tut. Das waren alles Wessis, weil die Mauer damals noch nicht gefallen war. Sie wollten alle wissen, was da eigentlich los ist. Und als unsere Dozentin uns zum ersten Mal sah, stemmte sie die Hände in die Hüften und sagte: „So viele kann auch Gorbi nicht brauchen.“ Also wir waren zu viele für Gorbatschow. Aber davon haben wir uns nicht abhalten lassen. So war die Situation: Perestroika, Mauerfall.

Thema Ihres ursprünglichen Vortrags in deutscher Sprache war der religiöse Transnationalismus. Um den Vortrag den Deutschen Kulturtagen anzupassen, haben Sie auch über die Orthodoxie in Rumänien referiert. Inwiefern kann man in Rumänien über einen religiösen Transnationalismus sprechen und welchen Stellenwert nimmt dieser in Rumänien ein?

Wo man Transnationalismus sagt, meint man Dinge, die sich nicht auf die Nation beziehen, sondern die über die Grenzen des Nationalstaates und auch des nationalen Kollektivs hinausgehen. Da muss man sagen, dass die Rumänen ein transnationales Element natürlich tief in ihrer Tradition haben. Die Rumänen haben die Moldau-Klöster. Ich bin überhaupt kein Spezialist für die rumänische orthodoxe Kirche, ich weiß aber, dass als die osmanische Herrschaft in Südosteuropa ausbrach, Rumänien nicht direkt unter osmanische Herrschaft kam, sondern nur tributpflichtig war. In dieser Tributpflichtigkeit haben sie ihre eigenen Eliten und ihre Klöster mehr oder weniger so behalten, wie sie im Mittelalter waren.

Diese konnten sich viel besser entwickeln als bei den Serben und Bulgaren, wo die Klöster in osmanischer Zeit eigentlich sehr viel kleiner geworden und teilweise ausgestorben sind. Man weiß, es gibt eine Achse, die vom Athos zu den Moldau-Klöstern und von dort in den ukrainischen und in den russischen Bereich führt. Die Moldau-Klöster vitalisieren in gewisser Weise dieses athonitische Mönchtum bei den Ostslawen. Hier gibt es einen alten Transnationalismus. Überhaupt hat die rumänische Orthodoxie  ein höheres Niveau religiöser Bildung in der osmanischen Zeit behalten als es z. B. bei den Bulgaren der Fall war. Dadurch war sie auch stärker in diesen orthodoxen Wissenskreisläufen, die ja keine nationalen sind, sondern per se größere Gebiete einschließen.

Wie sieht man den religiösen Transnationalismus im Spiegel der Sezessionskriege und der Gräueltaten in Ex-Jugoslawien?

Viele sagen, dass in den Jugoslawienkriegen Religion instrumentalisiert wurde, d. h. dass Politiker, Militärs und Verbrecher die Religion genommen haben, um ihre eigenen Taten zu legitimieren, und dass dabei die institutionellen Religionen nur einen sehr geringen Anteil an dieser Gewalt hatten. Ich finde das nicht ganz richtig, weil ich weiß, dass in den großen Kirchen Jugoslawiens – der orthodoxen und der katholischen – viele Kleriker gegen eine Fortsetzung Jugoslawiens waren. Insbesondere auf serbischer Seite, und das gilt auch für die orthodoxe Kirche, wurden extreme Feindbilder produziert, mit welchen man dann die eigene Gewaltanwendung als „Verteidigung“ rechtfertigte. Da Kroaten und Muslime vor allem in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Serbenfresser und Orthodoxenhasser dargestellt wurden, erschien es vielen legitim, sie zu beseitigen, bevor sie ein weiteres Mal ihre wahre Seite zeigen konnten.

Das Klima für viele serbische Verbrechen ist so zustande gekommen, teilweise unter Mitwirkung von Priestern und Bischöfen. Das alles spielte sich unter nationalen Vorzeichen ab. Die transnationale Seite war ideologisch aber auch wichtig, weil man Glaubensbrüder jenseits der eigenen Nation brauchte, um zeigen zu können, dass man nicht aus nationalem Egoismus handelte, sondern für höhere religiöse Ziele kämpfte, die auch andere Völker in der Welt teilen. Nicht nur die Serben sind so verfahren. Die Bosniaken, haben sich an die islamische Welt gewandt und Unterstützung erhalten, in Form von Kämpfern, aber auch in Form von Geld. Die Kroaten haben sich als Vorhut des Westens dargestellt und die Serben haben ihr traditionelles Bündnis mit Russland zu erneuern versucht. Andererseits haben transnationale Netzwerke teilweise auch versucht, mäßigend in den Konflikt einzugreifen, am bekanntesten sind die Versuche westeuropäischer Katholiken geworden, auf den kroatischen Katholizismus einzuwirken.

Und inwiefern glauben Sie, dass das Banat, das rumänische Banat, Chancen auf religiösen Transnationalismus hat, denn man weiß ja, dass der jetzige Metropolit des Banats, Ioan Selejan, im Gegensatz zum vorigen Metropoliten Nicolae Corneanu, ein entschiedener Nationalist ist?

Am Ende muss sich jeder Bischof entscheiden. Wenn ihm sozusagen die moralischen orthodoxen Prinzipien besonders wichtig sind, wenn er gegen den Anthropozentrismus der (West-)Europäer kämpfen will, dann kann er das auch als Transnationalist tun, weil es in Europa noch andere Orthodoxe gibt und vielleicht nicht nur Orthodoxe, die auch eher für eine konservative Werteordnung sind, und kann mit ihnen ein Bündnis schließen. Wenn er eher ein grundsätzliches Misstrauen gegen Menschen von außen hat, dann wird er dem Nationalismus zuneigen.

Wie wichtig ist es, im aktuellen Kontext über Religion und Religiosität zu sprechen, wo ihr Stellenwert vielleicht immer mehr an Bedeutung verliert?

Sehr wichtig. Ich selber forsche nicht mehr so viel dazu. Trotzdem ist es sehr wichtig. Wenn man sich die Deutschen ansieht, könnte man annehmen, dass Religion in absehbarer Zeit keine bedeutende Rolle mehr spielen wird. Aber die Welt ist ja viel größer und es gibt starke Migrationsströme, über die es zu einer religiösen Revitalisierung kommt, d. h. das religiöse Potenzial aller europäischer Gesellschaften wird durch Einwanderung vergrößert. Es gibt Leute, die von außen kommen und viel religiöser sind als die Mehrheitsgesellschaft, in die sie hineinkommen.

Spielt der Islam hier eine Rolle?

Natürlich, denn die Muslime sind religiös deutlich vitaler als die Christen in Deutschland, was letztere auf die Frage ihrer eigenen Identität zurückwirft. Die Frage, ob man nicht selber zu seiner Religion stehen soll, kann sich durchaus stellen, wenn man sieht, dass die Muslime auch durch ihren Glauben feste Familien haben, in denen viele Kinder geboren werden usw. Mittelfristig dürfte das nicht ganz ohne Folgen für die christliche Szene in Deutschland sein, obwohl man noch nicht absehen kann, welches die Folgen dann sein werden. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass die Menschen in Deutschland deswegen sehr religiös werden, aber die Frage wird in Zukunft nicht mehr so einseitig gestellt werden wie bisher – bislang ging es ja meistens darum, wann „die“ so werden wie „wir“ – hier könnte es auch Tendenzen in eine umgekehrte Richtung geben.

Jeder Migrant ist ein Mensch, der elementare Probleme hat: Er muss Arbeit, Wohnung, Freunde finden, mit einer neuen und mitunter unverständlichen Umwelt zurechtkommen. Und Religion wird oft da vitalisiert, wo die Menschen vor so viel Ungewissheit stehen, dass sie Gewissheit suchen. Die Dinge, die ich nicht voraussehen kann, meine Ängste, bringe ich zu meiner Religion und je mehr von diesen Unsicherheiten ich habe, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich die Religion brauche. Migration ist für die Betroffenen oft auch eine Krise und Krisen können Religiosität befördern – vor allem dann, wenn die Migranten aus Ländern kommen, in denen Religion stark in der Gesellschaft verankert ist.

Befürchtet man jetzt in Deutschland mehr das Problem der Migranten oder der Religion?

Das sind Dinge, die in Deutschland absolut verbunden miteinander diskutiert werden. Mit Migranten assoziiert man in Deutschland, wie mir scheint, in erster Linie Muslime. Es gibt in Deutschland den – politisch korrekten – Ausdruck vom „Menschen mit Migrationshintergrund“ – dabei denken sicher mehr Menschen an einen Türken als an einen US-Amerikaner. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint mit diesen Migranten auch Probleme zu assoziieren. Ob dann diese Bedenken sich auf die fremde Religion oder allgemeiner auf die fremde Kultur beziehen, das kann man bei den meisten Menschen wohl nicht wirklich entwirren.

Wie sieht es mit dem Moscheenbau in Deutschland aus?

In der Schweiz dürfen seit 2009 nur noch Moscheen ohne Minarett gebaut werden. Die Deutschen haben solche Verbote nie gehabt, aber wenn Moscheen gebaut werden, wo keine oder wenige Muslime und vor allem Deutsche leben, gibt es meistens Probleme. Es bilden sich Bürgerinitiativen, es kommen Rechtsradikale vorbei. Dort wo viele Migranten leben und Moscheen gebaut werden, passiert das natürlich nicht. Es gibt sehr viele Moscheen, die im Hinterhof stehen, die kein eigenes Gebäude mit Kuppel und Minarett haben. Es gibt diese Bauten...

... die als Gotteshäuser funktionieren und sozusa-gen diskret sind...

Genau, diese Hinterhof-Moscheen wurden eingerichtet, als die ersten „Gastarbeiter“ kamen. Richtige Moscheebauten werden seit den 1990er Jahren häufiger gebaut; viele wurden von kontroversen Diskussionen begleitet. In dem Moment, wo ein Gotteshaus in Stein gebaut wird, ist klar, dass ein Provisorium vorübergeht und gläubige Migranten sich zum Bleiben entschlossen haben. An dieser Entwicklung scheiden sich die Geister. Viele sehen durchaus das positive Potenzial dieser Entwicklung. Man erwartet von den Muslimen so etwas wie Loyalität zur Verfassung, man weiß aber auch, dass Loyalität eine dauerhafte Lebensperspektive in Deutschland voraussetzt. Insofern versteht man diesen Bau von Moscheen auch als eine Etablierung und gleichzeitige Zähmung des Islams auf den deutschen oder den europäischen Rahmen. Andererseits gibt es immer wieder Gruppen, die den Bau von Moscheen als Anzeichen für die „Islamisierung des Abendlandes“ sehen. Sie haben allerdings in der politischen Elite praktisch keine Unterstützung.