Politisch korrekt

In meiner Kindheit gab’s noch „Negerküsse” und „Mohrenköpfe” - doch das darf man schon lange nicht mehr sagen. Statt dessen hat sich - politisch korrekt - der Begriff „Schoko-Schaumkuss” eingebürgert. Nicht etwa, dass sich ein Afrikaner oder Afro-Amerikaner beleidigt fühlt – obwohl „Negerkuss” doch ganz sympathisch klingt. Auch „Zigeuner” gehört längst zu den Tabu-Begriffen, was in der Gastronomie allerdings noch nicht umgesetzt wurde. Vermutlich, weil der nach der Roma-Minderheit benannte Grillspieß auf der Speisekarte Kannibalismus suggeriert.

Jemanden als „dick” zu bezeichnen geht auch nicht mehr, man sagt statt dessen „vollschlank”. Wie steigert man das eigentlich? Vollschlank – vollschlanker – am vollschlanksten? Oder vollschlank, voller schlank, am vollsten schlank? Vorsicht ist seither geboten bei saloppen Bewunderungsausrufen: „Mensch, Ute, du bist ja voll schlank geworden!” Klatsch, eine Ohrfeige.

Wahrscheinlich müssen wir auch bald „vollgut” statt „schlecht” sagen. „Der Klaus ist vollgut in Mathe” klingt einfach viel besser.

Trotz dieser lobenswerten Ansätze gibt es leider immer noch viel zu viele negativ belegte Begriffe, die als Beleidigung empfunden werden oder traumatisieren könnten. Der „Bettler”, zum Beispiel. Könnten wir statt „Betteln“ nicht „warenloser Straßenverkauf” sagen? Oder „Stehlen“. Wie wär’s mit „währungsfreiem Einkauf“? Auch „Schimpfen” klingt nicht gut, denn tatsächlich führt man mit dem Beschimpften doch nur ein „einseitiges, nachdrückliches Motivationsgespräch”, oder, wenn es dann in Streit ausartet, ein bilaterales. Wenn Schimpfworte fallen – oops, das Wort geht jetzt natürlich auch nicht mehr: Wie wäre es statt dessen mit „Vulgärmetapher“? Zu unterscheiden sind Vulgärmetaphern debilisierender, zoologischer oder anatomischer Natur. Den übelsten Streit kann man nun elegant als bilaterales Motivationsgespräch (mit oder ohne Austausch von Vulgärmetaphern) beschreiben. Ein „nonverbales bilaterales Motivationsgespräch“ versteht sich dann automatisch als Prügelei.

Auch beim Familienbegriff ist eine diskriminierungsfreie Sprache dringend nötig. Denn wenn gleichgeschlechtliche Paare und Alleinerziehende vor dem Gesetz als Familie gelten wollen, fühlt sich der Ledige zurecht ausgegrenzt. Besser, wir bezeichnen ihn daher politisch korrekt als „Einpersonenfamilie”. Das unverheiratete Paar wird dann zur „Einpersonenfamilien-Gemeinschaft“.

Auch dem Obdachlosen wird seine triste Lage verbal traumatisierend vor Augen geführt. Viel besser als „Obdachlosigkeit” wäre daher „mobiles miet- und eigentumsfreies Wohnen”. Als unangenehm könnte auch der Begriff „Schulden” empfunden werden. Mein Vorschlag statt dessen: „griechisches Guthaben”. „Ich erhalte jeden Monat 100 Euro griechisches Guthaben“ - klingt das nicht viel besser als „ich muss monatlich 100 Euro Ratenzahlung abstottern“?

Wollte man eine erweiterte Liste politisch korrekter Begriffe einführen, würde man schnell an den umgangssprachlichen Beleidigungen scheitern. Zu groß ist die Variationsbreite der zu übersetzenden Vulgärmetaphern, weswegen vom Einzelnen verantwortungsvoller Gebrauch und ein wenig Kreativität bei der Wahl einer möglichst eleganten Formulierung gefragt ist. Statt „Faulpelz” wäre z.B. „Tierbehaarung im fortgeschrittenen Zustand des biologischen Abbaus” eine gute Variante. Und anstelle von „du Depp” könnte man formulieren „du Nachname eines US-Schauspielers”. Die beliebteste Vulgärmetapher der Deutschen, vorwiegend beim Autofahren gegen vermeintliche Verkehrssünder vorgebracht, wäre politisch korrekter und genauso treffend mit „Gesäß” zu umschreiben. Etwa: „Fahr los, es ist grün, du Gesäß!“ Entsprechend die Anpassung verwandter Begriffe: „Gesäß-Streichinstrument“, „Gesäßantlitz“, „Gesäß mit Hörfunktion“...

Zum Schluss noch ein Vorschlag für die politisch korrekte Variante einer besonders beliebten Beleidigung unter Berücksichtigung der korrekten Anwendung des Gender-Mainstreamings: „Du geruchsneutralitätsverletztende/r Paarhufer/In!” Oder, wem das nicht genügt: „Du erdkrumenbedeckte/r, geruchsneutralitätsverletztende/r, betont vollschlanke/r Paarhufer/In mit Lernschwierigkeiten!”.

Sie sehen, mit ein wenig gutem Willen geht alles.
Selbst Fluchen: Firmament, Gesäß und Bindfaden nochmal!