„Putin muss entmutigt werden, weiter so zu agieren“

Gespräch mit dem Klausenburger Politikwissenschaftler Valentin Naumescu

Bildquelle: privat

Valentin Naumescu ist Politikwissenschaftler an der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca. In der Vergangenheit war er u. a. rumänischer Generalkonsul in Toronto und Staatssekretär im Außenministerium. Mit Valentin Naumescu sprach Annett Müller über die US-Raketenabwehr in Deveselu und die Reaktionen Russlands darauf

2009 hat der damals frisch gewählte US-Präsident Barack Obama die US-Raketenabwehrpläne in Osteuropa zwischenzeitlich auf Eis gelegt. Ein Jahr später fiel die Entscheidung für einen Stützpunkt in Rumänien. Er ersetzt nun den zunächst ausgewählten Standort Tschechien, wo es Bürgerproteste gegen die US-Raketenabwehr gab. Warum wird in Rumänien die Stationierung so einhellig begrüßt?

Rumänien geht es bei der US-Raketenabwehr nicht um den militärischen Nutzen und ich hoffe sehr, dass wir diese Militärtechnologie niemals anwenden müssen. Die US-Raketenabwehr hat jedoch einen außergewöhnlichen symbolischen Wert für unser Land: Rumänien fühlt sich damit endgültig zum Interessenbereich der USA zugehörig. Wir sind somit Teil der wichtigsten Sicherheitsstrategien der Vereinten Staaten von Amerika. Das ist wie ein Anker für uns, und zudem wünscht sich die Mehrheit der Rumänen, an der Seite dieser Weltmacht zu stehen.

Rumänien fühlt sich also den USA näher als Europa?

Lassen Sie es mich deutlicher formulieren. Die Rumänen haben auch ein starkes pro-europäisches Gefühl. Eine überwältigende Mehrheit bekennt sich zur europäischen Zugehörigkeit. Aber wir haben sehr wohl verstanden, dass die EU die Voraussetzungen für einen materiellen Wohlstand schafft, für eine wirtschaftliche Entwicklung. Die EU hat Soft Power. Als jedoch im März EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für die Gründung einer gemeinsamen europäischen Armee warb, ist diese Idee auf keinerlei Unterstützung in Rumänien und auch nicht in anderen EU-Ländern gestoßen. Sie wurde von allen Experten abgelehnt: Wir meinen, wir müssen keine europäische Nato erfinden. Und seien wir ehrlich: In Europa will niemand Geld für Militärprogramme ausgeben. Die sicherste Art und Weise, sich abzusichern, bleiben nun einmal die USA. Sie sind die einzige Militärmacht, die diese Sicherheitsgarantien auch tatsächlich geben kann.

Bis Jahresende wollen die USA in Deveselu mehrere Abwehrraketen gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen stationieren. Die US-Abfangraketen gelten nach Meinung deutscher Sicherheitsexperten als ungefährlich für den russischen Raketenbestand. Dennoch fühlt sich Moskau stark von der Stationierung provoziert. Was meinen Sie, warum?

Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, treibt die Russen eine bestimmte Angst um. Nämlich die, dass der Westen sich ihren Grenzen nähern werde, um Russland angeblich vernichten zu wollen. Es gab unzählige Beteuerungen seitens der Nato, dass man Russland nicht angreifen wolle. Doch das politisch-militärische Establishment in Russland lässt sich von seiner Obsession nicht abbringen. Das ist auch der Grund, warum das Putin-Regime die Ukraine-Krise vom Zaun gebrochen hat. Russland will eine Pufferzone zwischen den westlichen Strukturen der Nato und der EU sowie seinem eigenen Territorium schaffen. Und wie gelingt das Moskau? Indem es eingefrorene Konflikte in seinen Nachbarländern, den Ex-Sowjetrepubliken schafft. Damit können diese Länder nicht Mitglied der Nato werden. Man muss sich schon fragen, warum fühlt sich Russland durch den Raketenabwehrschirm bedroht? Weil sie mit ihrem Raketenbestand ihre Nachbarn weiter einschüchtern wollen. Solch ein Diskurs muss uns wachsam machen, dass sich nichts an der militärischen Doktrin Russlands geändert hat.

In den vergangenen Jahren hat die Nato zahlreiche osteuropäische Länder aufgenommen, die einst mit der Sowjetunion zum Warschauer Pakt gehörten. Auch von dieser Entwicklung fühlte sich Moskau provoziert. War es nicht vorhersehbar, dass die Kreml-Führung eines Tages gereizt auf den Ost-Erweiterungsprozess der Nato reagieren würde?

Im Jahr 2005 bezeichnete Wladimir Putin, der damals schon einmal russischer Präsident war, in einer Parlamentsansprache den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Das russische Establishment bedauert den Untergang der Sowjetunion bis heute und die Pufferzone zur Nato reichte damals bis Ostberlin. Jetzt scheint Russland alles daran zu setzen, damit der Westen nicht an seine Grenzen gelangt. Und wie gelingt das Moskau? Nicht indem es einen offenen Krieg gegen die Ukraine führt. Das wäre zu teuer. Moskau will gewiss nicht die Ukraine ernähren. Es ist ein großes Land, mit großen Problemen. Das einfachste ist also, den Nachbarn ebenso wie Georgien oder die Republik Moldau durch eingefrorene Konflikt zu blockieren und diese Länder jeglicher pro-westlicher Perspektive zu berauben. Denn eines ist gewiss: Diese Konflikte werden lange dauern.

Das hört sich sehr nach einem neuen Kalten Krieg an.

Ja, wir sind in einem neuen Kalten Krieg, der nicht erst gestern oder heute begonnen hat. Er hat beim Nato-Gipfel in Vilnius im November 2013 begonnen, wo im letzten Moment der Kreml die damalige ukrainische Führung überzeugte, kein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Das führte zum Aufstand auf dem Maidan, dann zum Sturz des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch und schließlich zur Krim-Annexion. Wir sind in einem neuen Kalten Krieg, bei dem es um einen geostrategischen Wettstreit zwischen Russland sowie der EU und Nato um die Territorien der früheren Ex-Sowjetrepubliken geht. Sie werden westliche Politiker nicht von einem Kalten Krieg sprechen hören, denn sie wollen ihre Bevölkerungen nicht noch weiter beunruhigen. Aber für mich ist es ein neuer Kalter Krieg.

Was könnte die westliche Staatengemeinschaft und Russland wieder zu einem Dialog bewegen?

Wir wissen, dass der europäische Raum nicht ohne Russland aufgebaut werden kann. Wir können nicht auf ungewiss lange Zeit in dieser angespannten, rivalisierenden Lage verbleiben. Russland muss in eine breitere europäisch-westliche Ordnung integriert werden, zumindest wirtschaftlich. Doch wird es einen solchen Prozess nicht mehr unter dem Putin-Regime geben. Bis Moskau keine deutlichen Signale zeigt, dass es internationales Recht und ebenso das Souveränitätsprinzip der Staaten akzeptiert, bis dahin müssen NATO und EU entschlossen ihre Interessen und Werte verteidigen – und zwar mit Sanktionen. Jeder Kompromiss, der vorher geschlossen wird, würde nichts anderes bedeuten, als Russland in seiner aggressiven Politik zu bestätigen. Das Gegenteil muss der Fall sein. Putin muss entmutigt werden, weiter so zu agieren.

Ginge es nach Polen und den Baltischen Staaten, sollten in den nächsten Jahren nicht nur ein Raketenabwehrsystem, sondern auch ständige Nato-Stützpunkte in diesen Ländern aufgebaut werden. Die Staaten argumentieren, die Ukraine-Krise zeige das aggressive Potenzial Russlands, gegen das man sich schützen müsse. Halten Sie eine solche Forderung berechtigt oder nicht?

Der polnische Staatschef Andrzej Duda hat sehr richtig bemerkt, dass der erste Kalte Krieg vor 25 Jahren endete, aber dennoch die Mehrheit der Nato-Kapazitäten weiterhin in Deutschland, Niederlanden oder Italien stationiert ist. Welchen Sinn haben die Kapazitäten dort noch? Einen Transfer der militärischen Kapazitäten an die Ostflanke der Allianz finde ich äußerst wichtig. Wenn es derzeit um etwas strategisch geht, dann ist es der Osten und nicht der Westen Europas. Wir wollen dieselben Sicherheitsgarantien, die auch die westlichen Staaten in der Zeit des Kalten Krieges bis 1989 hatten – sowohl politisch als auch militärisch.

Osteuropa hat doch aber bereits Sicherheitsgarantien. Im Nordatlantikvertrag heißt es in Artikel fünf, dass ein Angriff auf einen Nato-Staat als ein Angriff gegen alle angesehen wird und man sich gegenseitig Beistand leistet. Warum also brauchen einige osteuropäische Länder ständige Nato-Stützpunkte?

Wir wollen nicht nur einen Artikel in einem Vertrag. In der Geschichte hat man oft erleben können, dass es Garantien auf dem Papier gab, sie dann aber nicht umgesetzt wurden. Wir wollen die geforderten Sicherheitsgarantien spüren und sehen. Wir wollen, dass sie in effektive Militärkapazitäten eingelöst werden. Auch wenn wir wollen, dass sie nie genutzt werden müssen. Doch je robuster die Präsenz der Nato an ihrer Ostflanke ist, umso deutlicher ist das Signal an Russland, dass es einen solchen Staat nicht angreifen kann, wie beispielsweise die Ukraine. Es ist wichtig, ein solches Signal zu setzen.

Der einstige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte 2003 den umstrittenen Begriff vom alten und neuen Europa geprägt. Das alte Europa waren jene Staaten, die eine Teilnahme am Irak-Krieg ablehnten oder sich kritisch dazu äußerten. Osteuropa war für eine Beteiligung viel aufgeschlossener. Zerfällt Europa gerade wieder in ein altes und neues Europa?

Ich fürchte ja. Rumsfeld wollte damals sagen, dass die USA ihre treuesten Partner vor allem in den ex-kommunistischen Staaten finden. Das liegt daran, dass sich jede Generation auf ihre Erfahrungen beruft. In Rumänien gibt es noch immer eine eindrückliche Erinnerung an den Kommunismus. Das nährt zum einen die Aversion gegen Russland und zum anderen die Haltung, dass nur die USA die Sicherheitsgarantien geben können. Beim Ukraine-Krieg sehen wir jetzt wieder eine neue Dualität in Europa. Auf der einen Seite sind die alten europäischen Partner, wie Deutschland und Frankreich, die einen moderaten Ton gegenüber Russland anschlagen, auch weil sie große ökonomische Interessen haben. Auf der anderen Seite stehen die osteuropäischen Staaten, die viel entschlossener in ihrem Diskurs gegenüber Russland sind und auf Sanktionen drängen.