Randbemerkungen: Der BrexitTsunami

Am einfachsten wär’s, von einer Tsunamiwelle des 2016er Brexits zu sprechen, wenn man die aufstrebenden Kurven der Akzeptanz der Extremrechten in der Wählergunst betrachtet. Dass der Austritt Großbritanniens aus der EU dem Vereinigten Königreich immer noch schadet, bzw. dass England sich vom Austritt auch nach fast acht Jahren nicht erholt hat, dass immer offensichtlicher wird, dass das Empire mit zunehmender Verzweiflung ums Festzurren seiner Rolle im Weltgefüge kämpft, das übersieht man. Aber das heißt auch herzlich wenig für die Kleinkönige vom Schlage eines Robert Fico, Viktor Orbán oder der (nur leicht) aus dem Rahmen fallenden Königin Giorgia Meloni, die neuerdings dem Autokraten der Türkei, dem gelernten Imam Erdogan, hofiert.

Dass Deutschland den Weg des Außer-Gesetz-Schiebens der AfD wohl nicht gehen muss (wahrscheinlich gar nicht kann…), das hat sich am vergangenen Wochenende gezeigt, als hunderttausende Bürger auf die Straße gingen und endlich das andere Gesicht Deutschlands zeigten. Das ist der Weg der demokratischen Stärke. Besonders beeindruckt hat mich ein Herr, der in den Nachrichten herumgereicht wurde, er sagte ins Mikrofon, dass er bisher noch nie wegen einer politischen Sache auf die Straße zum Demonstrieren gegangen sei, dafür aber „gerade jetzt“, wo er aus den Medien von den Abschiebefantasien einer Gruppe führender deutscher Rechtsextremer erfahren hat.

Ehret also die Medien, nicht nur in Deutschland!

Solcherart Demos tun not, auch in Ungarn, in der Slowakei (besorgniserregend die jüngste Aussage Ficos, dass er gegen eine EU-Integration der Ukraine stimmen werde, weil das ein Anlass zum Ausbruch des Dritten Weltkriegs sei), oder angesichts des Dauerkopfstands der österreichischen Freiheitlichen (30 Prozent in der Sonntagsfrage, Ibiza-Skandal weggewischt). Nötig wären auch in Rumänien solche Demos, obwohl hier Rechtsextremismus, verschwörungsideologischer Souveränismus, Chauvinismus im Untergrund mehr köcheln als sichtbar sind und nur sehr sensiblen politischen Seismografen akuteste Kopfschmerzen bereiten – auch denjenigen, die gegenüber den Resultaten der Sonntagsfrage blind sind: in Rumänien stehen die (zum Glück noch verstrittenen) Rechtsextremen auf Platz zwei der Wählergunst.

Fakt bleibt, undemokratisches Verhalten mit undemokratischen Lösungen – wie einem Verbot zu stoppen ist ein Holzweg. Demokratisch ist, kühlen Kopfes zur Wahlurne gehen. Bei allem Risiko. In Schweden beispielsweise spülte dieser „kühle Kopf“ bei der Wahl zwar auch die Rechten, die „Demokraten“, hoch, doch jetzt unterstützen diese die Regierung. In Frankreich robbt sich Marine Le Pens Rassemblement National, auch dank des innenpolitischen Schlingerkurses von Macron, immer weiter in der Wählergunst Richtung Präsidentin hoch. Will sagen, die Demokraten sind oft auch selber schuld, wenn sie von den Wählern aufs Abschiebegleis geschickt werden.

Der „Cordon sanitaire“ der „Sauberen“, wie ihn auch PSD- und Regierungschef I. M. Ciolacu gefordert hat, also das Zusammenrücken der Parteien der politischen Mitte, um die Rechtsextremen zu blockieren, funktioniert so nicht. Bestes Beispiel: die Niederlande, wo Geert Wilders zwar nach der Regierungsführung lechzt, weil seine Partei die meisten Stimmen/Sitze hat, aber der Regierungsbildungsprozess lahmt. Und: der „Sanitätsgürtel“ von Amtsvorgänger Mark Rutte (seit 2010 im Amt) erwies sich als löchrig….

Der Brexit-Tsunami von 2016 rollt also, mit Isolationismus, Souveränismus, Chauvinismus, EU-Exitismus. Er mutierte von einer britischen Exzentrizität zur politischen Aktualität und muss gerade in einem Wahljahr wie 2024 ernstgenommen werden.

Das Wärme- und Schutzkleid der EU wird offensichtlich immer löchriger. Vielleicht sollte das neue, hochbezahlte EU-Parlament mit Reformen seine Tätigkeiten beginnen. Jeder Fisch stinkt zuerst am Kopf.