Ratspräsidentschaft als Neuprägezeit

Zwei mehr oder weniger EU-Neulinge – Rumänien und Kroatien – und das 1995 beigetretene Finnland werden in einer der voraussichtlich schwierigsten Perioden der EU-Existenz den Vorsitz des Rats der Europäischen Union ausüben. Manche Beobachter sprechen bezüglich der Zeitspannen 1. Januar - 30. Juni 2019 (wenn Rumänien übernimmt), 1. Juli - 31. Dezember 2019 (Finnland übt die Ratspräsidentschaft aus) und 1. Januar - 30. Juni 2020 (wenn Kroatien die Bürde trägt) von „der Endzeit Europas“. In die Zeit der Ratspräsidentschaft Rumäniens fällt die Umsetzung des Brexit, des effektiven Austritts Großbritanniens (unter welchen Bedingungen – das weiß noch niemand). Der Situation wohnt bestimmt eine gewisse Ironie inne, wenn eine der ältesten Demokratien (und Geburtsland epochenprägender Leittheorien und -studien zu Kapitalismus, Liberalismus und Demokratie) die EU verlässt, während das Folgeland des meistzitierten kommunistischen Horrorstaats der Neuzeit die EU-Ratspräsidentschaft ausübt.

Außerdem: Im Mai oder Juni 2019 gibt es Wahlen für das EU-Parlament, im Herbst desselben Jahres Präsidentschaftswahlen in Rumänien (Schlüsselmonate für Präsident Johannis, sollte er sich für ein weiteres Mandat bewerben), ein Jahr später Parlamentswahlen in Rumänien (wenn es zwischendurch keine innenpolitischen Überraschungen gibt, etwa das zu erwartende Von-sich-Schieben der Verantwortung der PSD für das von ihr angerichtete Chaos, an dem sie seit Wahlgewinn 2016 im Schweiße ihres Angesichts arbeitet, oder das Erfinden von Sündenböcken der Sorte „Technokratenregierung“.) Man darf einerseits gespannt sein, ob die PSD (sollte sie bis 2019 regierend überleben) den möglichen Sympathieschub als Ratspräsident (pars pro toto) und „Organisator“ der EU-Wahlen abwartet und erst danach zurücktritt, oder ob sie, auf einem Erfolgskamm reitend, das vorher tut, um sich auf die Wahlen zu konzentrieren – auch wenn Sitze im EU-Parlament als eine Art (von anderen bezahlter) hochdotierter finanzieller Dank an Verdiente angesehen werden, die man im Inland beiseite schubsen will.

Andererseits muss man sich die im Voraus festgelegte Agenda der EU-Ratspräsidentschaft Rumäniens ansehen, mit einigen kniffligen Punkten, für die mit höchster Sicherheit weder der gegenwärtige Finanzminister, noch die in Fettnäpfchen tretende Arbeitsministerin oder eine ganze Serie weiterer Minister – das Fragezeichen gilt auch für den beeinflussbaren und auf internationalem Parkett erfahrungslosen Premier Grindeanu – qualifiziert sind. Auf mangelnder Bildung fußende schüchterne Zurückhaltung, blasierter Konformismus, gockelig-pingeliger Formalismus und jubel-jauchzendes feierliches Geschwafel, wie wir sie von unseren Politikern aller Couleurs und Ebenen gut kennen, sind fehl am Platz. Vermutlich werden Staatssekretäre vorgeschoben, die als ausreichend weltgewandt gelten, denen dann in Brüssel die Rolle der Worterteiler zufällt, wenn die Schwergewichte Europas Bedeutsames vorzubringen haben.
Im ersten Halbjahr 2019 wird auch der finanzielle Rahmen der EU-Haushaltsperiode 2021-2027 ausgehandelt. Da Rumänien der Euro-Gruppe nicht angehört (bis dann auch nicht angehören wird) und als Wirtschaftspotenzial im EU-Vergleich vernachlässigbar scheint, bleibt von der Ratspräsidentschaft im Grund wenig Macht und Einfluss.
Effizienz, Diskretion, unaufdringliche Normalität des Agierens und Kompetenz verleihen der künftigen Ratspräsidentschaft Rumäniens aber mit Sicherheit eine Chance, das Bild Rumäniens (des „zu früh“ aufgenommenen EU-Kandidaten) entscheidend zu prägen. Oder neu zu prägen.