Roşia Montană: Hinter uns die Sintflut!

Perspektive in 16 Jahren: kein Gold, keine Arbeitsplätze, kein Kulturerbe mehr

Europa Nostra-Vorstandsvorsitzender Denis de Kergolay über das Versprechen der RMGC, einen Teil des Kulturerbes zu schützen: „Das ist, wie wenn man Notre Dame abreißt und verspricht, ein paar kleine Türmchen zu erhalten!“
Foto: Nina May

Fortschritt, Arbeitsplätze, Nachhaltigkeit – und 70 Millionen US-Dollar, um das nach dem Goldabbau verbleibende Kulturerbe zu schützen: Wer wäre nicht beeindruckt von den vollmundigen Versprechungen der Roşia Montana Gold Corporation (RMGC), wie sie diese auf ihrer Webseite und in zahlreichen Werbekampagnen in Internet und Fernsehen präsentiert? Was hat statt dessen die „Gegenseite“ zu bieten – die Kämpfer für Natur- und Kulturerbe? Vielleicht ein UNESCO-Monument mehr, das man auch nicht essen kann? Ist es in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage nicht Luxus, sich für ideelle Werte auf Kosten von „Fortschritt durch Industrie“ auszusprechen? Müsste man den dringend notwendigen Arbeitsplätzen zuliebe nicht auch mal ein ideelles Opfer bringen, wo wir doch andernorts noch Natur und Kultur in Hülle und Fülle haben? So oder ähnlich denken viele Rumänen, wenn man die Diskussionen im Internet ein wenig verfolgt. Müssen wir uns wirklich entscheiden zwischen „Fortschritt und Wohlstand“ oder „Natur und Kultur“? Der Blick hinter die Kulissen enthüllt eine ganz andere Wahrheit!

Anfang des Jahres hatte die Organisation Europa Nostra den historischen Minenkomplex Ro{ia Montana auf die Liste der sieben meistgefährdeten Stätten schützenswerten Kulturerbes im Programm „7 most endangered“ gewählt. Hinter der Organisation stehen nicht nur über 250 NGOs in ganz Europa mit über fünf Millionen Bürgern, 1500 private Sponsoren sowie 150 Regierungs- und Lokalbehörden, sondern auch die Europäische Investitionsbank und die Entwicklungsbank des Europarates, die sich demnächst in einem Lokalaugenschein mit konkreten Vorschlägen für Ro{ia Montan² befassen werden.

Am 20. November kamen in der Rumänischen Akademie zu einer wissenschaftlichen Sitzung erstmals die Vertreter von Europa Nostra zu Wort, deren Ziel es ist, der rumänischen Regierung die Augen zu öffnen. Jetzt geht es darum, den richtigen Partner zu wählen, erklärt der Vorstandsvorsitzende Denis de Kergolay: Einen rein gewinnorientierten, multinationalen Konzern, der Roşia Montană für kurze Zeit ausbeuten wird, hinter sich die Sintflut, oder die Europäische Union mit neuen Visionen für Roşia Montană, als Weggefährten auf lange Sicht?

EU-Trend: Kulturerbe als nachhaltiger Wirtschaftsfaktor

„Wenn RMGC jetzt weggeht, ist vielleicht eine Chance verloren“, hebt Denis de Kergolay in seiner Rede an. „Doch wenn nach 16 Jahren kein Gold mehr da ist, dann gibt es auch keine Jobs mehr! Und das Weltkulturerbe ist unwiederbringlich verloren! Dies aber identifiziert Europa Nostra als wertvollste Ressource für eine nachhaltige – auch wirtschaftliche – Entwicklung, wie sie derzeit von der EU-Kommission europaweit gefördert wird.

Generalsekretärin Sneška Quaedvlieg-Mihailovic erwähnt als Stichwort das Programm „Kreatives Europa 2014-2020“, eine Initiative von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zur Entwicklung von Schlüsselressourcen im kulturellen und kreativen Bereich mit Blick auf zukünftige Generationen. Auf einer Konferenz in Vilnius wurde dazu kürzlich eine Deklaration unterzeichnet: Darin fordert die EU-Präsidentschaft einen langfristigen Plan zur Einbeziehung von Kulturerbe in wirtschaftliche und andere Disziplinen, im Sinne von Networking und Synergie. Kulturerbe, so Quaedvlieg-Mihailovic, ist ein wertvolles wirtschaftliches Gut, das zudem Nachhaltigkeit verspricht. In Kürze soll daher eine Konferenz mit allen EU-Institutionen stattfinden, mit dem Ziel, das Kulturerbe mehr in den Fokus der Politik zu stellen.

Sie berichtet, dass selbst die UNESCO im Mai anlässlich einer Konferenz in China in der Schlussdeklaration forderte: Es sei höchste Zeit, dass die Kultur ins Herz jeder nachhaltigen Entwicklung gerückt würde. In den Naturschutz soll stets auch der Schutz der Kultur einbezogen werden. Ein neuer Trend, offenbar nicht nur in der EU.

Weil nun vielleicht vielen nicht ganz klar ist, wie gewinnbringend Kulturerbe tatsächlich eingesetzt werden kann, hier ein illustratives Beispiel: Deutschland verzeichnet im Tourismussektor die Hälfte des globalen Zuwachses – und dies wegen seiner Bedeutung als beliebtestes Kulturreiseziel Europas, nicht zuletzt dank 38 UNESCO-Welterbestätten. Rumänien im Vergleich steht mit immerhin 31 Welterbestätten – vielleicht bald mit 33, wenn Roşia Montană und der derzeit für die UNES-CO-Liste vorbereitete Brâncuşi-Komplex hinzukommen –, mit seinen lebenden Traditionen und einer europaweit einzigartigen Natur keinesfalls schlechter da. Eine reelle Chance also.

Wenn sich der Bock zum Gärtner ernennt

Auch vor den enormen Risiken, die das seitens RMGC geplante Zyanidverfahren zum Abbau des Goldes mit sich bringt, warnt de Kergolay eindringlich. „Ein Zyanidsee verschwindet nicht über Nacht. Er kann lecken.“ Kurzfristig lenkt er ein: „Wir sind nicht gegen jede industrielle Aktivität. Doch in diesem Fall kann man nur warnen! Das nach Jahrtausenden historischen Bergbaus verbliebene Restgold lässt sich nur durch die Umwälzung unvorstellbar großer Steinmengen und mit sehr viel Zyanid extrahieren. In einem so dicht bewohnten Gebiet sollte das niemals erlaubt werden“, argumentiert der Franzose. Auch von Kontinuität in der Bergbautradition, wie RMGC gegenüber Europa Nostra argumentierte, könne keine Rede sein: „In 16 Jahren wird alles restlos ausgebeutet sein!“

Über das „großzügige“ Angebot der RMGC, 70 Millionen US-Dollar in den Erhalt des Teils des Kulturerbes zu investieren, der vom Goldabbau verschont bleibt, äußerte er sich ironisch: „Das ist, wie wenn man Notre Dame abreißt und verspricht, ein paar kleine Türmchen zu erhalten und diese besonders gut zu schützen.“ Pro Patrimonio-Präsident Şerban Cantacuzino zitierte an dieser Stelle den unabhängigen Bericht der britischen Experten, der seinerzeit von Kelemen Hunor als Kulturminister angefordert und anschließend geheimgehalten worden war (hierzu berichtete die ADZ ausführlich am 5. November). Schlussfolgerung der Autoren: Der historische Bergbaukomplex von Roşia Montană ist weltweit einzigartig im Ensemble und daher unbedingt in seiner Gesamtheit schützenswert! Die Stätte erfüllt zudem alle Voraussetzungen für eine Aufnahme ins Weltkulturerbe der UNESCO. Ein wesentliches Argument gegen die Zerstörung von Roşia Montană, so Cantacuzino, sei außerdem die Tatsache, dass viele Funde im historischen Kontext noch unverstanden, vorrömische und dakische Aktivitäten sogar völlig unerforscht seien. Entdeckungen in verschiedenen Stollen, wie die mit Wachs beschriebenen 25 Holztafeln aus dem 2. Jahrhundert, die in Vulgärlatein und Kursivschrift individuelle Schürfrechte behandeln, könnten zur Beantwortung fundamentaler Fragen – etwa zu Sprache und Schrift der Daker oder zur Zusammensetzung der kolonialisierten Bevölkerung – beitragen. Denn sehr wahrscheinlich halten die Stollen noch weitere, ähnliche Überraschungen bereit.

Erste Schritte, Stolpersteine und Mauern

Ştefan Bâlici, Vizepräsident der NGO Architektur, Restauration, Archäologie (ARA), berichtete über die Aktivitäten der letzten sechs Jahre in Roşia Montană (mehr dazu in der ADZ vom 22.10). Mit Volontären und freiwilligen Experten fanden jeden Sommer Workshops zur Restauration von historischen Gebäuden statt, die anschließend einem öffentlichen Zweck zugeführt werden. An Freiwilligen mangelte es nicht, auch Programme wie „Spende Baumaterial“ oder „Adoptiere ein Haus in Roşia Montană“ erfreuten sich großen Widerhalls. Des Weiteren wurden lokale Handwerker in den Techniken der traditionellen Bauweise ausgebildet und von deren Beständigkeit selbst in der heutigen Zeit überzeugt. Mit Märkten und Ausstellungen wurde auch die Öffentlichkeit sensibilisiert. „Das Ergebnis sprengte alle Erwartungen“, freut sich Bâlici.

Dabei gab und gibt es weiterhin jede Menge Herausforderungen zu bewältigen: Weil die Zone als Industriegebiet deklariert sei, verbot der Bürgermeister sämtliche andere Aktivitäten. Die lokale, zu einem großen Teil auch die nationale Presse, sei durch Verträge mit der RMGC gebunden, nichts Nachteiliges über das Goldprojekt zu berichten. Aufgrund dieses Maulkorbs wurde in der Öffentlichkeit lange Zeit nur wenig über die Gefahren der Zyanidmethode bekannt. Im Gegenzug berieselt eine landesweite Werbekampagne der RMGC die Bürger mit stereotyp wiederholten, scheinbaren Vorteilen. Die mangelnden Informationen, aber auch die starre pro-RMGC-Haltung der lokalen Behörden, belastete auch die Kooperation mit anderen Institutionen vor Ort.

„Es ist schwer, gemeinsame Aktionen durchzuführen“, bekennt Bâlici. Dennoch erfreute sich „Alburnus maior“ –  die Widerstandsbewegung der lokalen Einwohner, die ihre Häuser nicht an RMGC verkaufen wollten – einer stetigen, wenn auch moderaten finanziellen Unterstützung durch Privatpersonen und NGOs.
„Wesentlich mehr Gelder für nachhaltige Projekte könnten bei der EU beantragt werden“, räumt Bâlici ein, „doch der Haken ist, dass EU-Gelder meist nur über lokale Behörden abrufbar sind.“ Achselzuckend fügt er hinzu: „Wenn die aber nicht wollen...“

An Geld für eine Entwicklung in Roşia Montană müsste es also nicht mangeln – auch ohne RMGC. Auch an Ideen fehlt es nicht. Neben zahlreichen, konkreten Plänen für kleine Unternehmen gibt es die Möglichkeit für verschiedene Forschungsprojekte, Partnerschaften, sowie einen Zehn-Stufen-Plan zur Rettung des Kulturerbes.

Eine andere Vision

Mit dem Programm „7 most endangered“ von Europa Nostra könnte es für Roşia Montană eine Alternative zur Zerstörung von Natur und Kulturerbe geben, mit wahrhaft nachhaltigen und überzeugenden Projekten, versprechen die Repräsentanten der renommierten EU-Organisation, die sich seit fast 50 Jahren erfolgreich und grenzübergreifend für gefährdetes Kulturerbe einsetzt. Ro{ia Montan² ist ihnen nicht erst seit gestern, sondern seit vielen Jahren bekannt.

Extrem wichtig für den Erfolg des Programms ist die Involvierung der EU-Investitionsbank, mit ihren Archäologen, Experten und ihrer Finanzerfahrung, betont Sneška Quaedvlieg-Mihailovic. Denn die Bank, die Kulturerbe als Wirtschaftsressource betrachtet, hält die Formel für die zukünftige Entwicklung Europas in den Händen. Sie selbst versichert: „Wir ‚adoptieren‘ die Stätten in unserem Programm und geben ihnen eine lebensfähige Zukunft“. Überzeugend fährt sie fort: „Wir könnten euch eine andere Plattform und eine andere Vision als die der RMGC bieten“.  Fortschritt, Nachhaltigkeit und Arbeitsplätze inbegriffen.