Ruheinsel oder schlafender Drache

Bleibt Rumänien vom Rechtsextremismus verschont?

Diskussionspanel auf der Konferenz „Rechtsextremismus und Hasskriminalität”, organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Nationalen Institut für Holocaustforschung „Elie Wiesel”: (von links) Iustina Ionescu (Verein ACCEPT), Thomas Grumke (staatliche Universität für öffentliche Verwaltung, Rheinland-Westfalen), Paul Iganski (Univ. Lancaster), Iulian Fota (Nationale Akademie für Information), Catrinel Brumar (Regierungsvertreterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Außenministerium).
Foto: die Verfasserin

Rumänien ist das einzige Land Europas ohne extremistische Partei im Parlament. Dies ist die gute Nachricht, die man von der Konferenz „Rechtsextremismus und Anstiftung zum Hass”, organisiert von der Friedrich Ebert Stiftung und dem rumänischen Nationalen Institut für Holocaustforschung „Elie Wiesel“ Anfang November mitnehmen konnte. Im brodelnden Meer der sich durch die Flüchtlingskrise weiter aufheizenden nationalistischen und rechtsextremen Strömungen in Europa ist Rumänien wie eine Ruheinsel, sagt Cristian Pîrvulescu, Dekan der Fakultät für politische Wissenschaften an der Nationalen Schule für Politische Wissenschaften und Verwaltung. Doch wie groß ist die Gefahr, dass auch wir angesteckt werden? Und wie groß die Bedrohung insgesamt - europaweit, weltweit – für die Demokratie? „Wir haben es mit Kräften zu tun, die alles über den Haufen werfen wollen, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben”, warnt Thomas Grumke, Professor für politische und soziale Wissenschaften von der Universität für öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen.

Demokratie. Der Begriff steht für Redefreiheit, Meinungsfreiheit - und für den Willen der Mehrheit! Und was tun, wenn die Mehrheit nationalistisch denkt? „Auch Hitler wurde demokratisch gewählt”, gibt Pîrvulescu dazu zu bedenken. Fallen Hassreden gegen ethnische, religiöse oder sexuelle Minderheiten, die auf Vorurteilen basieren und solche weiter schüren, noch unter diese Redefreiheit? Zumal nachgewiesen werden kann, dass vermehrte Hassreden mit einem Anstieg an Hassverbrechen einhergehen. Oder darf sich eine Demokratie durch die Einschränkung solcher Freiheiten vor der Selbstzerstörung schützen? In Anbetracht der aktuellen Diskussionen um die Bewegung „Koalition für Familie” in Rumänien, die von den Experten wegen ihrer intoleranten Einstellung gegenüber der Ehe unter Gleichgeschlechtlichen als extremistisch bezeichnet wurde, obwohl man einräumte, nicht alle Anhänger seien Extremisten, eine durchaus brisante Frage...

Kräfte, die den Unfrieden schüren

Ist Rumänien also wirklich eine Ruheinsel? Oder schläft der Drache nur, bis ihn die anderen ringsum wachküssen? Werfen wir einen Blick auf die Banner, die derzeit über den Straßen hängen: „Ich bin stolz, Rumäne zu sein”, „Trau dich, an/in Rumänien zu glauben” und „Wir geben Rumänien den Rumänen zurück” - solche Slogans sind dort zu lesen. Sie treffen offenbar ins Herz der Masse, sonst wären sie nicht so formuliert worden. Doch wer hat uns Rumänien gestohlen? Wer sind „die Rumänen”, denen es zurückgegeben werden soll? Soll man sich trauen, in Rumänien seinen Glauben zu vertreten, oder soll man an das Land glauben? Und: Kann man stolz sein auf etwas, das man nicht geleistet hat, auf den Geburtsort oder die ethnische Zugehörigkeit? Die Wortspiele und subtilen Botschaften stimmen bedenklich, weil Rumänien eben nicht nur aus der Walachei, sondern aus traditionell und per Definition multiethnischen und damit auch multireligiösen Regionen besteht - Siebenbürgen, die Bukowina, das Banat, die Dobrudscha. Bisher konnten wir uns vor anderen mit einem friedlichen Mitei-nander rühmen. Noch können wir uns als Vorbilder für ein Europa fühlen, in dem Multikulturalität als gescheitert bezeichnet wird. Ein durch-aus zerbrechliches Gut.

Für Pîrvulescu ist der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA entscheidend, wie es in Europa weitergehen wird. „Wenn Trump gewinnt, wird das mit Sicherheit die Wahlen in Österreich am 4. Dezember beeinflussen.” Und nicht nur diese: Marine Le Pen könnte bei den Wahlen in Frankreich im Mai 2017Aufwind erhalten. Ein Teil der französischen Polizisten wählt bereits extrem rechts, und in Deutschland ist ein großer Teil der Polizisten sogar wegen Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen angeklagt, warnt der Experte. „Der Rechtsextremismus hat paneuropäische Dimensionen erreicht”, stellt auch Präsidialberater Andrei Moraru fest. Eine Untersuchung in 13 Ländern habe gezeigt, dass über hundert Gruppierungen in Europa existieren, die Hass und Gewalt verbreiten. Seit einiger Zeit beobachtet man Kräfte, die auch in Rumänien den Unfrieden schüren, fährt Pirvulescu fort. Als Beispiel kritisiert er die Rede des ungarischen Premiers Viktor Orban auf der 25. Freien Sommeruniversität in Băile Tuşnad (Rumänien) im Juli 2014 , „Wir bauen den illiberalen Staat auf”.

In Rumänien sind Extremisten nicht wirklich organisiert, die Gruppierungen kommen und gehen und sind bislang nur im Internet aktiv, erklärt Moraru. Meist sind es nationalistisch und EU-kritisch eingestellte Jugendliche. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass sich xenophobe Gruppen radikalisieren könnten, ohne für die Behörden sichtbar zu sein. Potenzial hierfür ist durchaus vorhanden: Umfragen zufolge hegen etwa 60 Prozent der Rumänen Vorbehalte gegen Roma, viele auch gegen Ungarn und Juden. Eine unglückliche Rolle schreibt Pîrvulescu hierbei der rumänischen orthodoxen Kirche zu, die „sich nicht von der Sympathie für die Legionäre befreien kann”. Alexandru Florian, Leiter des Instituts „Elie Wiesel”, nennt die starke Mobilisierung der Gesellschaft und der Massenmedien für die Aufhebung des sogenannten „Anti-Legionärsgesetzes” 217/2015 sogar als Grund für die Veranstaltung dieser Konferenz: „So dachten wir, ein Event für den Dialog mit der Gesellschaft zu organisieren. Denn Modernisierung in Rumänien ist nicht möglich ohne Werte und stabile Demokratie.”

Wie weit darf  Meinungsfreiheit  gehen?

Hinzu kommt, dass es eine Entwicklung gibt, von der orthodoxen Kirche unterstützt, die offenbar Toleranzgrenzen in der Gesellschaft aufzeigt: Die auf der Konferenz anwesende Justizministerin Raluca Prun², aber auch Pîrvulescu und Alexandru Climescu, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut „Elie Wiesel”, bezeichneten die Bewegung, die sich für den Erhalt der traditionellen Familie einsetzt, als eine religiös extremistische. Man mag sich zumindest fragen, ob es im Sinne der Sache klug ist, in einer stark christlich geprägten Gesellschaft seit Jahrhunderten verankerte Werte plötzlich in die Ecke strafrechtlicher Probleme zu stellen. Muss man der Gesellschaft nicht Zeit geben, in einen Wertewandel langsam hineinzuwachsen? Denn, wie eine Konferenzteilnehmerin bemerkt, „war Homosexualität hier nicht wie in Deutschland oder Großbritannien seit Jahrzehnten Teil der Gesellschaft.” Wird die Diskussion über Extremismus von der breiten Masse überhaupt noch ernst genommen, wenn Menschen, die die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ablehnen, mit Holocaustleugnern und Rechtsextremisten in eine Schublade gesteckt werden? Vielleicht bräuchte man statt dessen mehr Vorbilder, die - wie Präsident Klaus Johannis, auf die gleichgeschlechtliche Ehe angesprochen – öffentlich für Toleranz plädieren.

Immerhin drei Millionen Unterschriften sammelte die Koalition im Rahmen ihrer Petition. Kann man ihre Meinung ignorieren, ohne damit Feuer zu schüren? Auf der Internetplattform „Stiri pentru viaţa” wird Prunăs Aussage einen Tag nach der Konferenz empört kommentiert: „Drei Millionen rumänische Bürger, die die Petition zur Organisation eines Referendums unterschrieben haben, das Klarheit in den Begriff der Ehe in der rumänischen Verfassung bringen soll, wären nichts anderes als eine Handvoll Leute mit strafrechtlichen Problemen.” Auch Pîrvulescu wird scharf aufs Korn genommen: „Auch wenn die Rede von Herrn Pîrvulescu auf Hitler abzielt, können wir nicht anders, als zu beobachten, dass er und die technokratische Justizministerin, genau wie die radikalen Neomarxisten, das Etikett ‘Anstiftung zum Hass’ und ‘Druck der Menge’ auf jene anwenden, die nicht mit den Ideen des liberalen Mainstreams übereinstimmen.”
Freilich stellt sich auch die Frage, wie weit die Toleranz mit den Gegnern „politisch korrekter” Meinungen gehen darf. Konkrete Beispiele zeigen auf, wie gefährlich Hassreden sein können: Nachdem George Becali auf einer öffentlichen Veranstaltung ausgerufen hatte, Homosexuelle sollten gefälligst nach Holland gehen, wurden nur Stunden später zwei Jugendliche in der U-Bahn brutal zusammengeschlagen, wobei genau derselbe Satz skandiert wurde!

„Hassverbrechen schmerzen mehr”

Kriminologie-Professor Paul Iganski von der Universität Lancaster erklärt, warum im britischen Rechtssystem Hassverbrechen sogar gesondert strafverfolgt werden. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass hass- und vorurteilsmotivierte Verbrechen das Opfer stärker traumatisieren, weil sich Hasskriminalität gegen die Grundfesten der Identität des Angegriffenen richtet. „Hate crime hurts more!” wiederholt Iganski immer wieder. Dies zu verstehen, sei essentiell für alle, die sich mit Strafverfolgung befassen. Die seelischen und körperlichen Traumata der Opfer von Hassverbrechen – Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Angstzustände, Alkoholismus, Probleme am Arbeitsplatz, in der Schule oder mit der Familie, etc. - sind größer als bei neutralen Verbrechen und damit ein Problem für die Volksgesundheit. Weitere Opfer im Umfeld verstärken den Effekt und führen zur sozialen Exklusion.

Vier Veränderungen im Justizsystem fordert der Kriminologe: höhere Strafen für Hasstäter, spezielle Betreuung für die Opfer, entsprechendes Training der Exekutive und psychologische Arbeit mit den Tätern. Immerhin 60 Prozent aller Fälle von Gewalt in Großbritannien geschehen aus Hass, warnt Iganski. „Immer mehr jüdische Menschen verstecken ihre Kipa unter einer Baseballkappe – warum?” Er selbst sei polnischen Ursprungs, erzählt er, wurde jedoch in Großbritannien geboren. Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg zuerst in russische Gefangenschaft geraten und anschließend vor dem Kommunismus in den Westen geflohen. „Ich fühle mich als Brite, geblieben ist nur der polnische Name. Nie hatte ich damit Probleme!” Dann fügt er leise an: „Bis zur Brexit-Entscheidung... und dabei ist noch nichtmal ein Verbrechen geschehen.”

Prävention, Sensibilisierung, vorhandene Gesetze anwenden

Präsident Johannis hat sich gleich nach seiner Amtsübernahme gegen Extremismus und Antisemitismus stark gemacht, erklärt Präsidialberater Andrei Moraru. Seine Botschaft lautet stets, Rumänien hat eine Tradition des multiethnischen und -religiösen Zusammenlebens. Doch die hohe Anzahl jener, die ethnische und religiöse Vorbehalte hegen, zeigt, dass man eine Erziehung der Gesellschaft in Schulen, durch Analysen und Debatten benötigt. Jedes Land hat, basierend auf der eigenen Geschichte, andere Mechanismen zur Bekämpfung von Extremismus entwickelt. In Deutschland, wo es einen starken institutionellen Rahmen gibt, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern, können Hassreden oder Holocaustverleugnung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, erklärt der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk. Dennoch sei es wichtig, auch das Recht auf freie Rede zu schützen. Der Verfassungsschutz überwacht in Deutschland daher Parteien auf Reden und Verhaltensweisen, die Hassverbrechen fördern. Diese kann die Regierung dann notfalls verbieten. Grumke ergänzt, dass deutsche Polizeiarbeit heute stark auf Prävention durch Bürgererziehung setzt. Seit 2008 muss zudem jeder Polizist drei Jahre an der staatlichen Universität für öffentliche Verwaltung studieren und anschließend Verfassungstreue schwören. Wichtig sei jedoch, nicht nur Gesetze zu haben, sondern vor allem ihre Anwendung durchzusetzen.

In diesem Punkt hapert es noch in Rumänien, räumt Justizministerin Raluca Prun² ein: Man habe zwar gute Gesetze, „oft über dem Minimum dessen, was die EU fordert” - doch in der Umsetzung liegen wir weit unter dem EU-Standard. Als Beispiel wird von einem Mitglied des Gemeinderats erzählt, der sich auf Social Media mit Hitlergruß zeigte. Im Gerichtsurteil hieß es mildernd, das sei kein Hitlergruß gewesen, sondern bloß ein Gruß mit ausgestreckter Hand. „Bei uns gibt es Politiker, die die Geschichte verbiegen und Dinge negieren, die sonst überall in der EU als selbstverständlich gelten, auch ohne Brille”, kritisiert die Ministerin. Ihre Rede schließt sie mit den Worten: „Ich lade den Magistrat hiermit ein, in Fällen mit klarem Rassismus die Gesetze anzuwenden.”