Rumänien und sein geplantes „Landesprojekt”

Neue Strategien und Konzepte sind gut, ihre Umsetzung noch besser

An Gedanken über die Neugestaltung der Nation hat es hierzulande nie gemangelt: Seit 1990 haben Kommissionen, Sonderausschüsse, verschiedene Expertenräte, Nichtregierungsorganisationen, Ministerien und sonstige staatliche Gremien Strategien und Konzepte am laufenden Band produziert. Nun soll ein sogenanntes „Landesprojekt” („proiect de ţară”) erneut Zukunft bringen, der einschlägige Ausschuss hat bereits getagt.

Nichts Neues unter der Sonne

Eine kleine Vorgeschichte: 1990 hatte die damalige Regierung unter Premierminister Petre Roman eine internationale Kommission ins Leben gerufen, die eine Strategie zur Einführung der Marktwirtschaft in Rumänien erstellen sollte. Das Papier ist ein Werk im real existierenden Sozialismus ausgebildeter Ökonomen und Ingenieure, aber jener der besseren Sorte, die zum Beispiel über das damalige Institut für Weltwirtschaft einen gewissen Zugang zu ausländischen Fachveröffentlichungen hatten. Garniert wurde die einheimische Expertise mit der Erfahrung jugoslawischer und sowjetischer Volkswirte, hinzu gesellten sich auch noch einige Franzosen, ein Schweizer, ein paar Südamerikaner.
Schade nur, dass die Jugoslawen und die Sowjets damals bereits massiv Probleme daheim hatten, im balkanischen Nationalitätenstreit ging die jugoslawische Wirtschaft unter und auch die sowjetische Perestroika war am Ende. Das rumänische Papier allerdings war gar nicht so schlecht; hätte die Regierung Roman die Strategie umgesetzt, hätte Rumäniens Volkswirtschaft einen Mix zwischen der polnischen Schocktherapie und den gedämpfteren Vorstellungen Ion Iliescus verabreicht bekommen. Es kam bekanntlich anders: September 1991 stürmten Bergarbeiter den Regierungssitz und Roman verschwand über ein Hinterfenster des Victoria-Palais direkt in die Opposition.

Im großen Stil wurden dann erst nach dem Jahre 2000 wieder Strategien erstellt, als es um den Beitritt zur EU ging. Viele Entwürfe verlangte die Europäische Kommission selbst ab, die Kabinette Adrian Năstase und Călin Popescu Tăriceanu verabschiedeten unaufhörlich Entwicklungspläne, langfristige Strategien und sonstige Reformpapiere. Und auch die beiden Staatschefs Ion Iliescu und Traian Băsescu beriefen mehrere Kommissionen ein, die verschiedene Bereiche analysierten, Modernisierungsvorschläge erstellten und Empfehlungen abgaben. Eine umfangreiche Literatur wurde produziert, teils mit nicht geringen Kosten. So sollte unter Präsident Băsescu das Bildungswesen erneuert werden, dazu gab es eine einschlägige Kommission. Dann tagte ein Ausschuss zu Landwirtschaftsfragen, einen entsprechenden Bericht brachte auch dieser zu Papier. Es gab natürlich auch die gemeinsamen Kommissionen der Regierung und der Nationalbank Rumäniens, die sich mit der Einführung der Gemeinschaftswährung beschäftigten, Konvergenzkriterien untersuchten und Szenarien entwickelten.

Was ist ein „Landesprojekt”?

Alles schön und gut, doch was, wie und in welchem Umfang von den vielen Strategien auch umgesetzt wurde, lässt sich nur schwer sagen, vermutlich müsste ein Extra-Ausschuss zu dieser Frage tagen. Tatsächlich wird nun, zehn Jahre nach dem EU-Beitritt Rumäniens, über neue Strategien nachgedacht, in einem Augenblick, in dem das Land aus der Entwicklungsfalle der geringen Löhne und der mangelnden Bildung nicht mehr herauszukommen scheint.
Der erste Vorstoß kam aus Schloss Cotroceni: Im neuen europäischen Kontext, Wirtschafts- und Flüchtlingskrise sowie Brexit mit einbegriffen, brauche Rumänien ein neues sogenanntes Landesprojekt, hieß es, sodass Staatspräsident Klaus Johannis eine Kommission ins Leben gerufen hat, die über das Landesprojekt beraten und erste Empfehlungen abgeben soll, aller Wahrscheinlichkeit nach Mitte 2017. Dem Ausschuss, der vor Kurzem zum ersten Mal getagt hat, gehören Repräsentanten der im Parlament vertretenen Parteien an, aber auch zehn Mitglieder, die das Präsidialamt ausgewählt hat: fünf Ökonomen, ein Soziologe, zwei Politikwissenschaftler, ein Historiker und ein Sicherheitsexperte im Rang eines Präsidialberaters. Interessanterweise lässt sich die Regierung von einem Mann aus der Wirtschaft vertreten, Vasile Iuga, Seniorberater bei PriceWaterhouseCoopers. Den Ausschuss leiten zwei Präsidialberater, Leonard Orban und Cosmin Marinescu, letzterer ein Professor für Volkswirtschaftslehre.

Dass die Besetzung der Kommission natürlich kritisiert wurde, war zu erwarten. Schaut man sich die Biografien der Mitglieder an, würde man meinen, ein Landesprojekt ist eine wirtschaftliche Angelegenheit und fast nichts mehr. Geht es jedoch unter anderem auch um Rumäniens Stellung in Europa und in der Welt, kann nicht nur von der Wirtschaft die Rede sein. Sondern auch von Außen- und Sicherheitspolitik, von Demografie und Kultur, von Gesundheit und Bildung. Oder auch von der Umwelt. Aber: Was ist eigentlich ein Landesprojekt? Wie definiert man ein Landesprojekt, welche sind die Maßstäbe für ein solches? Die Kommission müsste also zunächst einmal definieren, was sie vorhat. Sich auf ein Ziel festlegen und eine Methodik ausarbeiten. Wenn die Zielvorgabe schon von der Politik stammen müsste, so sollten die bestellten Experten volle Freiheit der Methoden genießen, schließlich müssen sie wissenschaftlich vorangehen. Interdisziplinär, selbstverständlich.

Umsetzung bleibt problematisch

Die wichtigsten Fragen jedoch, auf die Kommissionsmitglieder wie Auftraggeber eine Antwort liefern müssen, sind folgende: Ist das Landesprojekt einmal unter Dach und Fach, sind erst einmal Hunderte Seiten damit gefüllt, kommt es dann auch zur Umsetzung? Wer bürgt für die Umsetzung und unter welchen Bedingungen? Und was geschieht, wenn das Landesprojekt von jenen aufgegeben, ja vergessen wird, die in fünf, in zehn oder in zwanzig Jahren das Land regieren werden? Niemand kann auf diese Fragen antworten, niemand kann für die Umsetzung eines Landesprojekts, einer Strategie, eines Konzepts bürgen. Denn so oft schon sind mit Mühe erstellte Strategien und Konzepte über den Haufen geworfen, aufgegeben, ignoriert worden. Schubladen in Bukarester Ministerien dürften mit klugen, – aber ach! – leider vergessenen Strategien randvoll sein. Braucht man dann noch eine? Noch ein Projekt? Noch eine Strategie? Müssen kluge Köpfe dem Volk erneut erzählen, dass das Land Autobahnen braucht? Und bessere Schulen, mit besser bezahlten Lehrern? Oder Ärzte, die nicht mehr auswandern? Und ein stärkeres einheimisches Kapital, das sich zumindest auf dem europäischen Markt behaupten kann? Oder mehr ausländische Touristen? Und die Einführung des Euro irgendwann zwischen 2020 und 2025, wenn es den Euroraum und die Europäische Union dann noch gibt?

Nein, das Volk dürfte das alles wissen. Was es sicherlich nicht weiß, ist, wer und wann sich endlich an die Arbeit macht. Denn im heutigen Rumänien sollte die Arbeit die beste Strategie sein. Jene Arbeit, von der auch vor zwei Jahren, im Kampf um das Schloss Cotroceni, die Rede war. Die Arbeit an Autobahnen und Eisenbahnlinien, die Arbeit in den Schulen, in den Krankenhäusern, die Arbeit in der Kommunalverwaltung, an den Universitäten. Man verstehe nicht falsch: Niemand plädiert für das erprobte Durchwursteln einheimischer Eliten, für die Ideenflaute, die so oft Rumäniens Verwaltung charakterisiert. Aber was zu tun ist, das ist eindeutig bekannt. Deshalb ist vielleicht das beste Landesprojekt jenes, wonach jeder tut, was er tun muss und wofür er ausgebildet worden ist. Und für das, was er tut, auch einsteht, auch verantwortet. Denn gerade die Eigenverantwortung hat man in 42 Jahren Kommunismus verlernt und in 25 Jahren chaotischer Transformation nicht wieder erlernt. Aber dazu hilft kaum eine Kommission oder ein Sachverständigenrat. Die Grundschullehrerin muss es meistern, der Professor, die Erzieherin, notfalls der Staatsanwalt und der Richter.