Rumänien vs. Rumänen?

Die Instrumentalisierung der nationalistischen Rhetorik in den rumänischen Präsidentschaftswahlen 2014

Die meisten Wähler haben sich über den nationalistisch-pathetischen Diskurs hinweggesetzt.

Präsidentschaftswahlen in Rumänien: Massenmobilisierung einzelner Parteien, Drohungen, unendliches Schlange-Stehen in der Diaspora, miserable Kommentare, Anschuldigungen usw. Alles wie gewohnt. Darüber wundert sich keiner mehr. Ein besonderes Element stach aber aus dem ganzen Zirkus heraus. Gegenüber standen sich diesmal nicht nur zwei Politiker, unterstützt von den zwei größten Parteien des Landes, sondern zwei Männer, die, ihrer Kampagnen nach, zwei verschiedene Mentalitäten repräsentierten. Auf der einen Seite, paradoxerweise der sozial-demokratischen, lautete der Slogan „Stolz, Rumäne zu sein“ (Mândru că sunt român), auf der anderen skandierte man „ein Rumänien der gut gemachten Dinge“ (România lucrului bine făcut). Dieser Beitrag setzt sich als Ziel, die zwiespältige Instrumentalisierung des Nationalismus in der Wahlkampagne zwischen Victor Ponta und Klaus Johannis zu untersuchen und ihre Implikationen für die Zukunft der rumänischen Gesellschaft hervorzuheben. 

Wie ist es dazu gekommen, dass man im 21. Jahrhundert in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union als sozial-demokratischer Kandidat eine nationalistische Kampagne führte? Diese Frage ist leicht zu beantworten, wenn man den Mangel an politischer Kultur und Erziehung in den Jahren nach 1990 in Rumänien kennt. Die Parteien haben keine Programme, die Politiker wechseln von einer Partei zur anderen je nach Interesse, sodass man im heutigen Rumänien über keine richtigen politischen Parteien sprechen kann. Sie sind eher Interessencliquen und Instrumente der Machtausübung. So kann man bizarre Allianzen wie die des Präsidentschaftskandidaten Ponta und des Leiters der extremistisch-nationalistischen Partei PRM Corneliu Vadim Tudor erklären. Als ob die gezielten Anspielungen auf die Ethnie und Konfession des Gegenkandidaten Johannis nicht problematisch genug gewesen wären, wurde Vadim Tudor ins Team einberufen, um vehementere chauvinistische Anmerkungen gegenüber Klaus Johannis einzuwerfen. 

Darüber hinaus wurde auch die christlich-orthodoxe Frömmigkeit der Mehrheitsbevölkerung für Propaganda missbraucht. Die Pfarrer und Führer der Rumänischen Orthodoxen Kirche, sowohl in Rumänien als auch in der Diaspora, übten psychologischen Druck auf ihre Gemeindemitglieder aus, indem sie ihnen andeuteten, ihr Volk durch die Wahl eines nicht-orthodoxen Kandidaten zu verraten. Den Gläubigen wurden Stempel und Stimmzettel angeboten, um in der Kirche die Wahl „üben“ zu können. Man versuchte also, den Gegenkandidaten in den Augen der Wählerschaft wegen seiner Ethnie und seiner Konfession zu diskreditieren. Dazu wurden Begriffe wie „volksfremd“ (străin de neam) benutzt, die sich sowohl in der legionär-faschistischen Propaganda der Zwischenkriegszeit, als auch in der extremistischen Rhetorik des neuen Ponta-Anhängers Corneliu Vadim Tudor wiederfinden.

Nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs am 2. November 2014, als man bemerkte, dass Johannis eine deutliche Mehrheit in Siebenbürgen und dem Banat gewonnen hatte, warf man ihm vor, das Land spalten und es „den Ungarn“ geben zu wollen. Somit wurden die Sensibilität der Rumänen und die Ressentiments gegen die magyarische Bevölkerung angesprochen. Es muss hinzugefügt werden, dass diese Sensibilität eine artifizielle ist, die auf keiner empirischen Grundlage basiert, sondern in der Öffentlichkeit und der Politik immer wieder instrumentalisiert wird. Seitdem der Norden Siebenbürgens nach dem Zweiten Weltkrieg Rumänien wieder einverleibt wurde, war der Staat nie in Gefahr, Territorium zugunsten Ungarns zu verlieren. In der Debatte zwischen den zwei Kandidaten, die am 11. November 2014 stattfand, wurde von Ponta ironisch angedeutet, dass László Tökés, der die Autonomie des Szeklerlandes verlangt und in rumänischen Kreisen deshalb als persona non grata gilt, Johannis seiner Unterstützung versicherte. Die offizielle Allianz Victor Pontas mit Vadim Tudor, dessen Extremismus in der rumänischen Öffentlichkeit mit dem von László Tökés gleichgestellt wird, scheint in den Hintergrund getreten zu sein. Dabei vergisst man aber, dass, während Corneliu Vadim Tudor Hymnen an den Sozialismus und an Ceauşescu schrieb, László Tökés von der Securitate als Dissident verfolgt wurde und dass die Proteste seiner Gemeindemitglieder die Ereignisse in Temeswar in Dezember 1989 in Gang setzten.

Ein weiteres nationalistisches Element der sozial-demokratischen Kampagne war die Rhetorik gegenüber den Rumänen in der Republik Moldau und in der Ukraine. Die Ersteren dürfen eine Doppelstaatsbürgerschaft haben, während der ukrainische Staat keine Doppelstaatsbürgerschaft erlaubt. In der erwähnten Debatte wurde dieses Problem in einer pathetischen Art und Weise sowohl von Victor Ponta als auch von der Journalistin Lavinia Şandru hervorgehoben. Klaus Johannis wurde vorgeworfen, nie in Czernowitz oder in Chişinău gewesen zu sein. Die Bezeichnung „Präsident aller Rumänen“ (preşedintele tuturor românilor) ist immer wieder aufgetaucht, obwohl die Verfassung des rumänischen Staates über den Präsident Rumäniens spricht. Der Staatschef hat Verpflichtungen gegenüber dem Staat und den Staatsbürgern Rumäniens, nicht nur gegenüber Rumänen. Die Art und Weise, wie man über Czernowitz und Chişinău sprach, ähnelt sehr stark dem Diskurs der ungarischen Regierung Orbáns gegenüber den Magyaren außerhalb Ungarns und hat als einziges Ziel den Gewinn der Wahlberechtigten. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung spielte Klaus Johannis dieses Spiel mit und bezeichnete sich selber als „Präsident aller Rumänen“, obwohl das nichts als eine substanzlose Floskel ist.

Die Reaktion des liberalen Kandidaten Klaus Johannis, berühmt für seine Arbeit in Hermannstadt als Bürgermeister, war eine Art Zwangsnationalismus. Er sah sich gezwungen, sich als Rumäne zu positionieren und zu betonen, dass er Teil des Landes und des Volkes ist und kein Fremdkörper, wie man ihn bezeichnet hat. Die Tugenden, die in der rumänischen Öffentlichkeit als deutsch bzw. sächsisch angesehen werden, relativiert er, indem er meint, nicht an ethnische Spezifika zu glauben, sondern an Werte, die man durch die Erziehung bekommt. Dadurch distanziert er sich nicht von diesen als deutsch empfundenen Tugenden wie gute Organisation, Pünktlichkeit, Ernst, Zuverlässigkeit etc., sondern versucht der Wählerschaft nahezulegen, dass jeder Mensch und jeder Staat so sein kann – nicht nur die „Deutschen“. Durch die Tatsache, dass er der sächsischen Minderheit in Rumänien angehört, die in der Öffentlichkeit als „deutsch“ (in Verbindung zu Deutschland) gesehen wird, erwarten seine Wähler, dass er als Präsident die in Rumänien sehr beliebte „deutsche Qualität“ einsetzten wird.

Sowohl in dem von ihm veröffentlichten Buch, als auch in seinen Reden scheint Johannis sich entschuldigen zu wollen, dass er ethnisch „anders“ ist. Er hebt hervor, dass er sich mit Rumänen schon in der Kindheit gut verstanden hat, und versucht zu beweisen, dass er auch ein guter Staatsbürger ist. Kurz gesagt, verkauft er sich als Rumäne mit deutschen Prinzipien. Ob das wirklich notwendig ist, bleibt offen. Er hätte der Wählerschaft erklären sollen, dass seine Vorfahren auf dem Territorium des heutigen Rumänien schon im 12. Jahrhundert angesiedelt worden waren, als die Rumänen noch nicht wussten, dass sie Rumänen sein werden, bzw. die Deutschen nicht wussten, dass es Deutschland geben wird. Da stellen sich dem Geschichtsunterricht noch ernste Aufgaben, er muss den Staatsbürgern das Minimum an Geschichtswissen über die Minderheiten im Land sichern. Johannis hätte dieses Problem öffentlich ansprechen müssen.

Auch jetzt, nach seiner Wahl, insistiert man in der Öffentlichkeit auf seiner ethnischen „Andersartigkeit“. Schon am Abend des Wahlsonntags kommentierten die Journalisten, dass man einen „deutschen“ (neamţ) Präsidenten hat und dass man von nun an Deutsch lernen müsse. Er wurde mit „einem anderen Deutschen“ verglichen, der 1866 versucht hatte, Rumänien zu modernisieren. Damit wird der Fürst und erste König Rumäniens, Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen, gemeint. Seitens des neu gewählten Präsidenten sollte erklärt werden, wie oberflächlich und unzutreffend diese Analogie ist. Nicht nur Journalisten, sondern auch der Patriarch der Rumänischen Orthodoxen Kirche äußerte am Sonntag die Bemerkung, dass manchmal Gott auch durch „volksfremde Menschen“ dem rumänischen Volk geholfen hat (adesea Dumnezeu a lucrat chiar şi prin oameni străini de neamul nostru). Dieser Ausspruch kommt, nachdem die Repräsentanten der orthodoxen Kirche wochenlang diskriminierende und fremdenfeindliche Äußerungen gemacht haben, ohne in irgendeiner Weise zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein  wesentlicher  Unterschied ließ sich aber im Diskurs der beiden gegenüber „dem rumänischen Volk“ beobachten. Johannis sprach öfters über rumänische Staatsbürger, wie es sich gehört, während Ponta nur die „Rumänen“ erwähnte.

Welche Rolle spielten die Minderheiten in seinem Diskurs und in seinem Präsidentschaftsprojekt? Soll man das nach der Tatsache beurteilen, dass er mit Vadim Tudor eine Allianz geschlossen hat? Aus diesem Grund weigerten sich auch die Regierungspartner des PSD, der Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien, Ponta zu unterstützen. Die nationalistische und christlich-orthodoxe Rhetorik in der Politik wirkt als eine große Belastung des Bildes Rumäniens in der Europäischen Union. Die rumänischen Staatsbürger, sowohl ethnische Rumänen als auch die Angehörigen der Minderheiten, sind aber nicht nur orthodox, sondern auch katholisch, griechisch-katholisch, Protestanten und Neoprotestanten, nicht nur Christen sondern auch Muslime und Anhänger des mosaischen Glaubens. Sind sie nicht Wert von einem Präsidentschaftskandidaten berücksichtigt zu werden, nur weil ihre Zahl für den Gewinn der Wahl zu gering ist? Der Präsident Rumäniens repräsentiert laut Verfassung den Staat, also alle Staatsbürger, nicht nur die christlich-orthodoxen ethnischen Rumänen. 

In conclusio kann gesagt werden, dass die Kampagne des sozial-demokratischen Kandidaten Victor Ponta auf der Verleumdung des liberalen Kandidaten Klaus Johannis aufgrund seiner Ethnizität und seiner Konfession basierte. Der Letztere blieb in der Defensive und begnügte sich mit der Abweisung der „Lügen“ Pontas. Durch Nüchternheit und Selbstdisziplin wollte er wahrscheinlich den Erwartungen der Wählerschaft entgegenkommen, die auf den Ersatz des „Balkanismus“ mit dem „Germanismus“ in der Politik hofft. Es ist schwer zu sagen, ob sich mit der Wahl von Johannis in der Innenpolitik etwas ändern wird. Beide Kandidaten sind abhängig von zwei großen Parteien und haben sicherlich politische Verpflichtungen, denen sie nach ihrer Wahl entgegenkommen müssen.
Nichtsdestotrotz ist die Wahl von Klaus Johannis von immenser Bedeutung, weil sie etwas über die Wählerschaft und somit über die rumänische Gesellschaft aussagt. Die Wahl dieses Vertreters einer konfessionellen und ethnischen Minderheit beweist, dass sich 6,2 Millionen rumänische Staatsbürger über die nationalistisch-pathetischen Diskurse hinaus entwickelt haben und dass sie bereit sind, endlich den Weg der Europäisierung und der Demokratie zu gehen.