Sanfter Tourismus als Motor nachhaltiger Regionalentwicklung

Zum Masterplan „Tourismus“ der Regierung Rumäniens (Teil 3)

Alpenrosenblüte im Bucegi-Gebirge
Foto: Rohtraut Wittstock

Der Wandertourismus ist einer der am stärksten wachsenden Sektoren des Tourismus. Ein durchdachtes, gut strukturiertes Angebot erfüllt die Erwartungen der Erholungsuchenden, z. B. Ruhe, Entspannung, Natur- und Kulturgenuss. Aber der Kampf um die Kunden/Gäste ist hart, und die Waffe heißt Qualität. Nicht Bespaßung und Rummel!

Seit Anfang des Jahrtausends machen sich Fachleute, Geografen, Touristiker und sogar Sozialwissenschaftler Gedanken über die bessere Inwertsetzung des immensen Landschaftspotenzials der Karpaten. Erste konkrete Vorschläge wurden um 2004 von der „Lustwandeln GbR“ in Ulm und vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München unter Federführung von Joachim Jaudas in die Diskussion gebracht und ab 2005 unter dem Titel „Via carpatica“ in Fachzeitschriften und im Internet publiziert. Der Verein „Ostwind e.V.“ engagiert sich seitdem in der Ukraine, während alle Versuche, Partner in Rumänien zu finden, erfolglos blieben, gleich welcher politischer Couleur die angesprochenen Verantwortlichen angehörten. Erst seit Beginn der Donaustrategie der EU – jetzt fließt Geld! – häufen sich die Initiativen, Karpatenkonvention, WWF, Naturfreunde Internationale, Siebenbürgischer Karpatenverein, Schweizer Wanderwege, Europäische Wandervereinigung… und alle erfinden das Rad neu! Hier eine kurze Darstellung des Originals:
 

Die Via carpatica

Aktuelle Situation: Der Europäische Fernwanderweg 8 endet im Dreiländereck Slowakei – Polen - Ukraine und ist nicht immer optimal geführt. Immerhin besteht in Tschechien, in der Slowakei und in Polen ein gut markiertes und unterhaltenes Wegenetz, ergänzt durch eine gute Infrastruktur für Wanderer. In den Wald-, Ost- und Südkarpaten trifft dies nur für wenige Gebiete zu. Hier finden sich durchgehende Markierungen auf einzelnen Gebirgskämmen, ohne Anbindung an Versorgungs- und Übernachtungsmöglichkeiten.

Aus den peripher gelegenen Karpaten ist die wirtschaftlich aktive Bevölkerung zwischen 20 und 45 Jahren abgewandert. Verstärkt wird die Negativentwicklung dadurch, dass die Region im Verkehrsschatten liegt, verursacht durch wirtschaftlich schwache Nachbarregionen und die Nähe zur EU-Außengrenze, zum Krisenland Ukraine. Die Wälder auf beiden Seiten dieser Grenze werden rigoros ausgebeutet.

Die Landschaft besteht aus Mittelgebirge mit ausgedehnten Becken- und Tallandschaften, mit naturnahen Flüssen. Daneben gibt es kleinere Hochgebirgsregionen. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird meist von alten Menschen in der Form der Subsistenzwirtschaft betrieben. Die Renten sind extrem niedrig. Die Kulturlandschaft wird als schön empfunden, wegen ihrer kleinräumigen Gliederung mit hohem Grünlandanteil, Hecken und Solitärbäumen sowie wenigen alten Buchenwäldern. Charakteristisch sind Gebirgsketten mit Hochweiden, weiträumigen Graslandschaften mit botanischen Kostbarkeiten und beeindruckenden Fernsichten. Das traditionelle Fußwegesystem ist dicht und wird noch genutzt: Ortsverbindungen, Almwege, Forstwege, Karrenwege, alle gut zu begehen, da ohne Asphalt.

Es existiert ein großartiges Kulturerbe: Die Klöster der Bukowina, die Holzkirchen der Maramuresch, Czernowitz, viele Weltkulturerbestätten ... Die reiche Geschichte ist geprägt vom Einfluss verschiedenster Volksgruppen. Diese ökologisch und touristisch wertvolle Kulturlandschaft muss erhalten werden. Dazu sind die zum Erhalt der Kulturdenkmäler notwendigen Finanzmittel bereitzustellen. Die Abwanderung kann durch neue Einnahmequellen im Sanften Tourismus eingedämmt werden. Dazu trägt die Vermarktung zertifiziert ökologisch angebauter Agrarprodukte und deren Verwendung in typischer regionaler Küche bei. Wie in den vorausgehenden Texten schon angesprochen, gehören weitere Grundlagen dazu: Die Schaffung bzw. Verbesserung einer angepassten Infrastruktur, z. B. im öffentlichen Personenverkehr, die gute Anbindung an den Fernverkehr, unterschiedliche Unterkünfte, weiterhin gute Versorgung durch die bestehenden Dorfläden (magazin mixt). Kurz gesagt, die Nutzung des vorhandenen Landschaftspotenzials, ohne dieses zu beeinträchtigen!

Rückgrat des wandertouristischen Konzepts ist der Weitwanderweg „Via carpatica“ als Fortführung der existierenden Wege in Tschechien, der Slowakei und Polen vom Kremenec (Dreiländereck SK, PL, UA) bis zum Eisernen Tor, geplant und realisiert nach den Kriterien des Europäischen Wandersiegels (Informationen im Internet www.wanderinstitut.de/deutsches-wandersiegel/). Örtliche Wegekundige, Kommunen, Tourismusinstitutionen, Vereine oder Privatpersonen bringen ihr Wissen unter der Leitung ausgewiesener Fachleute in das Projekt ein, denn es sind qualifizierte geografische und kartografische Dienstleistungen zu erbringen: Wegescouting, d. h. wissenschaftlich exakte Wegaufnahme nach über 100 Kriterien; Dokumentierung des Wegverlaufs in den Formaten KML und GPX, dazu eine Stärke-Schwäche-Analyse, aus der Verbesserungsvorschläge abgeleitet werden. Gemeinsam mit den örtlichen und regionalen Akteuren wird anschließend der Wanderweg optimiert. Danach erfolgt die Planung der Beschilderung, der Markierung und der Weg-Infrastruktur.

Die Umsetzung beginnt mit dem Freischneiden und Verbessern der Wege, soweit nötig. Anschließend erfolgt die Wegmarkierung und Beschilderung nach dem Standard des Europäischen Wandersiegels. Zur nötigen Infrastruktur gehören Portal-Infotafeln, Rastplätze, Ruhebänke und Infotafeln für Erlebnispunkte. Die Überwachung und Pflege der Wege wird langfristig durch ein Wegemanagement und mit Wegepaten gesichert. Hier spielen SKV, Salvamont und die Gemeinden eine wichtige Rolle.

Wandertouristische Destinationen sollten nach demselben Grundprinzip mehrere Rundwanderwege von etwa 8 bis 18 km Länge anbieten, natürlich ebenfalls als Premiumweg zertifiziert. Besonders geeignet sind hierzu Orte in Gebieten mit sehr hohem Landschaftspotenzial (z. B. Maramure{ und Bukowina).
Die Zertifizierung als Premiumwege (Europäisches Wan-dersiegel) erfolgt durch das Deutsche Wanderinstitut und muss alle drei Jahre erneuert werden. Gibt es an einem Ort oder in einer Region mehrere Premiumwege, ist die Zertifizierung als Premium-Wanderregion möglich, ebenso ein Beitritt zur Vermarktungsgemeinschaft der Premium-Wanderwelten. Weitere Premiumweg-Produkte gibt es als kurze Spazierwanderwege (bis 7 km) und Stadtwanderwege. Gastgeber können sich als Qualitätsgastgeber zertifizieren lassen.

Erst mit solchen Angeboten können hohe Erwartungen bei den Gästen geweckt und auch erfüllt werden, denn der Markt ist umkämpft. Marktanteile müssen auch für ein herausragendes Angebot mit den entsprechenden Mitteln erkämpft werden. In Zeiten fortschreitender Digitalisierung steht der Internetauftritt an erster Stelle: Interaktive Karte (Vorbilder: www.danubetour.eu, www.outdooractive.com), Etappenübersicht des Weitwanderwegs, Beschreibung der einzelnen Etappen und Rundwege mit Wegbeschreibung, Karten, Höhen- und Streckenangaben, Übernachtung, Gastronomie, Einkaufen, wichtigste touristische Informationen, Mehrsprachigkeit: Englisch, Rumänisch, Deutsch, evtl. Ungarisch, Ukrainisch, Polnisch, dazu GPS-Routen, KML-Daten. All dies ersetzt aber nicht die analogen Helfer: Faltblatt oder Heft mit Kurzbeschreibungen und Kartendarstellungen, eine Übersichtskarte mit wesentlichen touristischen Informationen und vor allem hochwertige Wanderkarten mindestens im Maßstab 1 : 50.000, besser 1 : 25.000 mit Wegmarkierungen und Etappenorten (Quartieren) sowie exakter Geländezeichnung und Höhenlinienabstand =/< 25 m.

Zur Verbesserung der Unterkunftssituation dient eine vollständige Quartierliste mit jährlicher Aktualisierung. Die Quartiere müssen Mindeststandards erfüllen. Voraussetzung dazu ist eine gute Ausbildung der Gastgeber und der Mitarbeiter(innen). Vor allem in den Bergen müssen viele Lücken im Übernachtungsangebot geschlossen werden – und die Qualität der sanitären Anlagen auf den Berghütten verbessert werden.

Wenn dann noch in allen Destinationen gut ausgebildete Wanderführer mit Fremdsprachenkenntnissen zur Verfügung stehen, kann die intensive Vermarktung der Karpaten angegangen werden: Promoting in Fachzeitschriften, Journalistentouren, Pressewanderungen, Angebote für Touristikunternehmen und Reisebüros, Werbung auf Messen und Tagungen, in Zeitschriften und Zeitungen, Schaffung von Pauschalangeboten und nicht zuletzt ein Angebot „Wandern ohne Gepäck“ auf der Via carpatica.
 
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Literaturhinweise:
www.wanderforschung.de
www.viacarpatica.eu

Jungk, Robert: Wie viele Touristen pro Hektar Strand? In: GEO, H. 10, 1980
Krippendorf, Jost: Die Ferienmenschen. Für ein neues Verständnis von Freizeit und Reisen. München 1986
Krippendorf, Jost: Die Landschaftsfresser. Tourismus und Erholungslandschaft – Verderben oder Segen. Bern 1986 (Erstauflage 1975!!!)
Bätzing, Werner: Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen. Zürich 2015