Schreiben macht frei

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Die „Rheinische Post“, die meistgelesene Zeitung Nordrhein-Westfalens, berichtete diese Tage, dass eine Reihe von rumänischen Spitzenpolitikern und Unternehmern in den letzten Jahren wegen Korruption in Haft gekommen seien. Laut einer Neuregelung zum Straferlass müssten diese Häftlinge weniger einsitzen, wenn sie während der Haft Bücher schreiben und veröffentlichen würden, so die Rheinische Post. Es gäbe 30 Tage Hafterlass pro veröffentlichtem Buch. Der Politiker und Medien-Mogul Dan Voiculescu habe in kürzester Zeit, sage und schreibe, zehn Bücher in Haft geschrieben und George Becali, der wegen Korruption zu fünf Jahren Haft verurteilte Ex-Manager des Erfolgs-Fußballclubs Steaua Bukarest, fünf Bücher. Zwei davon seien dem orthodoxen Christentum gewidmet - und dies mit Empfehlung eines ranghohen Metropoliten. Den Artikel habe ich nicht selbst entdeckt, er wurde mir nach Düsseldorf von einer Bekannten aus Kaarst in einem Briefumschlag zugeschickt, mit dem Vermerk: „Ich schätze Ihre absurden, satirischen Texte sehr und als ich diesen Artikel las, habe ich sofort an Sie gedacht. Sie Witzbold, geben Sie zu, dass Sie sich diese Geschichte ausgedacht haben und unter falschem Namen in die Zeitungsredaktion geschmuggelt haben.“

Ich schickte diesen Zeitungsartikel meiner Freundin Alida Bremer, eine seit vielen Jahren in Münster lebende Kroatin. Alida Bremer schreibt auf Deutsch und hat sich in Deutschland als Schriftstellerin, Ost-West-Kulturvermittlerin und Literaturübersetzerin aus dem Kroatischen ins Deutsche einen Namen gemacht. Sie schrieb mir dazu Folgendes:
„Ha ha ha, das ist doch alles unfassbar! Du Glückspilz, mit einem derartigen Land wie Rumänien im Hintergrund kannst Du eines Tages berühmt wie Nikolai Gogol oder Lawrence Sterne werden - je absurder die Realität, desto verrücktere Texte kann man schreiben! Das ist doch köstlich: Die Herrschaften Mafiosi schreiben angeblich ein Buch nach dem anderen und bekommen Hafterlass. Also auf so etwas sind die Kroaten noch nicht gekommen, aber warte mal ab, wenn ich das auf meiner Facebook-Seite bekannt gebe, werden Sie dieses Gesetz wahrscheinlich auch einführen.“
Mein Freund Mathias Schnitzler, Literaturkritiker aus Köln schrieb mir dazu per E-Mail diese Zeilen: „Das ist der Grund, warum wir den Osten, den Südosten brauchen. Bei uns kommt ein Spießer wie Hoeneß, der ein paar Millionen aus Aktiengeschäften hinterzogen hat, schnell aus dem Knast, weil er mit Stoiber und Seehofer dicke ist. Wie langweilig, wie deutsch. Dort hinten, hinter den Wäldern, in Transsylvanien und auch in Bukarest, muss man Bücher schreiben. Was für eine Moral und Pädagogik.

Vielleicht solltest Du zurückziehen und Dich als Ghostwriter vor den Gefängnissen feilbieten.“
Und in der rumänischen Presse, bei den Leserkommentaren zu einer Berichterstattung über diese neue Schreiblust, fand ich, unter vielen empörten Kommentaren, diese schöne Ausführung: „Ein Paradox der Literatur: Früher, im Kommunismus, konnte man wegen eines Buches ins Gefängnis kommen. Nun kommt man durch Bücher wieder frei.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, die Zeiten haben sich eben geändert. Aber leider nicht, wie es sich die meisten Menschen in Rumänien gewünscht haben.