Schultradition der evangelischen Kirche lebt wieder auf

Charlotte-Dietrich-Schule öffnet ab Herbst ihre Türen

Die beiden zukünftigen Lehrer Mădălina und Rafael Mahl, Stadtpfarrer Kilian Dörr sowie die beiden Initiatoren des Projekts, Jens Kielhorn und Wolfgang Köber (v.l.n.r.) stellen die Charlotte-Dietrich-Schule vor.
Foto: der Verfasser

Charlotte Dietrich von Hermannsthal war einst die Ehrenvorsteherin des Allgemeinen Evangelischen Frauenvereins in Hermannstadt/Sibiu. Dabei setzte sie sich insbesondere dafür ein, dass auch Frauen der Zugang zum Lehramt ermöglicht wurde, welches bis dahin ausschließlich Männern vorbehalten war. Vor genau einhundert Jahren starb die Vorkämpferin für die Frauenrechte. Zu ihrem 100. Todestag wird das Gedenken an sie mit neuem Leben erfüllt. Auf einer Pressekonferenz in der Stadtpfarrloge am Huetplatz, stellte die Evangelische Kirche A.B. Hermannstadt ihr Projekt einer deutschen Privatschule vor, deren Namenspatronin Charlotte Dietrich von Hermannsthal ist. Einziehen wird die Schule in das alte, 1898 eingeweihte Hammersdorfer Schulgebäude. Trägerin ist die Charlotte-Dietrich-von-Hermannsthal-Stiftung, die zur Kirchengemeinde Hermannstadt gehört. Den ersten Gedanken einer deutschen Schule unter dem Dach der evangelischen Kirche hatte Wolfgang Köber schon vor einiger Zeit.

Als dann im vergangenen Jahr Jens Kielhorn mit selbigem aufwartete, wurde aus der Idee ein fixes Projekt, hinter welchem seit Beginn an auch die Gemeindevertretung steht. „Wir möchten die Schultradition unserer Kirche wieder aufleben lassen, sie war einst die Betreiberin aller sächsischen Schulen in Siebenbürgen“, so die Initiatoren. Schon 1722 wurde auf Beschluss der Kirchensynode und der Nationsuniversität die Einführung des allgemeinen Volksschulunterrichts angeordnet. „Mit dieser Maßnahme gehörten die Sachsen zu den ersten in Europa.“ Im Teutsch-Haus lässt sich gar das Dorfschulrecht von Deutsch-Kreuz aus dem Jahr 1593 finden, eine Art Dienstanweisung für den Schulmeister.

Eine Konkurrenz zu den etablierten Schulen mit deutscher Unterrichtssprache will man allerdings nicht werden. Vielmehr soll die Charlotte-Dietrich-Schule eine Alternative sein, zum Beispiel für Ausländer, die mit ihren Kindern nach Hermannstadt übersiedeln. Diese sprechen in der Regel kein Wort Rumänisch und die sofortige Aufnahme in das Schulsystem gestaltet sich dementsprechend schwierig, zumal auch auf dem Brukenthal-Gymnasium schon lange nicht mehr alle Fächer in deutscher Sprache unterrichtet werden. Insbesondere in den rumänischsprachigen Fächern haben die Schüler immer wieder größere Probleme, was sich auch in den Noten widerspiegelt, die ein Schüler oder eine Schülerin erreichen muss, um bestimmte Schulen besuchen zu können. Gleichwohl soll die neue Schule nicht nur die Kinder deutschsprachiger Expatriates anziehen. Die Kinder aus der evangelischen Gemeinde sind selbstverständlich die erste Zielgruppe, doch auch allen anderen Konfessionen und Nationalitäten wird die Schule offenstehen. Das wichtigste Zulassungskriterium ist das Beherrschen der deutschen Sprache, in welcher der Unterricht ausschließlich stattfinden wird.

Dementsprechend wird es sich bei der Charlotte-Dietrich-Schule um eine deutsche Auslandsschule handeln, die auch durch die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) akkreditiert werden soll. In enger Abstimmung mit der Behörde, aber insbesondere mit Muriel Plag von der schulexpert GmbH, einem Unternehmen, das Gründungshilfe beim Aufbau von Schulen anbietet, wurde das Konzept entwickelt, welches das rumänische Bildungsministerium bereits abgesegnet hat. Die Auslandsexpertin Plag war selbst über lange Jahre Schulleiterin der deutschen Europa-Schule in Kairo. Gemeinsam hat man sich für die Anwendung des baden-württembergischen Lehrplans entschieden, welcher neben dem thüringischen von der ZfA empfohlen wird. Dieser wurde erst kürzlich, wie der gesamte Bildungsplan des Landes, vom Kultusministerium in Stuttgart weiterentwickelt und durch innovative Ideen ergänzt. Da die bundesdeutschen Expatriates insbesondere aus Baden-Württemberg stammen, wird sich ein Schulwechsel für die Schülerinnen und Schüler folglich noch einfacher gestalten. Auch die Deutsche Schule Bukarest funktioniert nach selbigem Lehrplan, bei ihr haben sich die Hermannstädter mit allen Feinheiten des Schulbetriebs vertraut gemacht.

Die einzige Sorge der Hermannstädter Schulen entkräfteten Kielhorn und Köber abermals. „Auf keinen Fall wollen wir Lehrer abwerben. Wir unterstützen das aktuelle Lehrwesen weiterhin und wollen mit der Charlotte-Dietrich-Schule eine Ergänzung schaffen, um die bestehende Nachfrage zu bedienen.“ „Wir haben viele Kinder, die deutschsprachige Kindergärten besuchen und aus Mangel an Plätzen oder überfüllten Klassen nicht auf eine deutschsprachige Schule gehen können. Diese Kinder verlernen die Sprache irgendwann, was sehr schade ist. Denn Hermannstadt ist aufgrund seiner Deutschsprachigkeit ein sehr attraktiver Standort und auch unter diesem Gesichtspunkt möchten wir mit unserer Initiative das deutsche Schulwesen fördern.“ Bereits seit Jahren unterstützt die Michael-Schmidt-Stiftung, deren Geschäftsführer Wolfgang Köber ist, das deutschsprachige Schulwesen im Land sowie auch die Germanistikfakultät in Hermannstadt.

In das Schuljahr 2016-17 wird die Schule mit einer Vorbereitungs- und einer ersten Klasse sowie den beiden Grundschullehrern Mădălina und Rafael Mahl gehen. Beide haben in München studiert, sind ausgebildete Pädagogen und führen derzeit sehr erfolgreich eine Afterschool. Ab Herbst 2017 wird dann jährlich eine weitere Lehrkraft dazustoßen. Die große Hürde gilt es, 2020 zu bewältigen, wenn die Fachlehrer dazustoßen. Bis dahin sei man jedoch so gut aufgestellt, dass dies problemlos gemeistert werde. Nach zwölf, wenn notwendig auch dreizehn Jahren, sollen die Schüler dann das deutsche Abitur ablegen, „aber das ist noch ein langer Weg“, so Wolfgang Köber. Auf den Mangel an deutschsprachigen Fachlehrern angesprochen, versichert Köber, dass dies kein größeres Problem darstellen wird. Abgänger der Germanistikfakultät könnten mit der Schule wachsen und außerdem sei man aufgrund der Schulgebühren auch für Lehrer aus deutschsprachigen Ländern attraktiv. Darüber hinaus bietet das deutsche Auslandsschulgesetz die Möglichkeit, nach drei Jahren eine Anerkennung in Deutschland zu beantragen und damit Lehrkräfte, die vom deutschen Staat bezahlt werden, zu bekommen. Besonders wichtig sei allerdings, dass sich die zukünftigen Lehrer genau wie Mădălina und Rafael Mahl mit der Philosophie der Schule identifizieren.

Entgegen der gängigen Konkurrenzphilosophie wird es sich bei der Charlotte-Dietrich-Schule um eine Begegnungsschule handeln. Höchste Priorität soll die individuelle Förderung sowie die Erziehung zur Selbstständigkeit, Toleranz, Handlungsbereitschaft und Kritikfähigkeit genießen. Um diese individuelle Betreuung zu ermöglichen, werden nicht mehr als 15 Kinder in einer Klasse unterrichtet. Das Bildungssystem funktioniert sehr stark über Vergleiche zwischen den Schülern. Wettbewerbe und internationale Erfolge bei Olympiaden gelten als Aushängeschild. Diesem Trend möchte die Evangelische Kirche das Gemeinschaftliche und zugleich Individuelle entgegensetzen. Die Kinder sollen gemeinsam Ziele erreichen und dabei die Aufmerksamkeit und Unterstützung genießen, die jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler benötigt. Nach dem Unterrichtsschluss um 15 Uhr und der Nachbetreuung bis 17 Uhr sei dann aber auch Schluss mit Schule. Nachhilfestunden, die in der Regel allein aufgrund von Unzulänglichkeiten im Bildungssystem notwendig sind, werden nicht erforderlich sein.

Als perfekten Ort für dieses Schulkonzept bewarb Kielhorn den Standort an der Kirchenburg in Hammersdorf/Guşteriţa. Dieser ist zwar etwas abseits gelegen und in Hermannstadt sei man es gewohnt, kurze Wege zu gehen, doch ist die Schule sehr gut mit dem Auto zu erreichen. Außerdem soll der Schulbeginn um 8.15 Uhr den Eltern ermöglichen, den allmorgendlichen Stau zwischen 7.30 und 8 Uhr zu umgehen. Auch bietet die Grüne Kirchenburg den idealen Rahmen für die Stärkung des Umweltbewusstseins und viel Platz für Sport und Spiele, so Kielhorn. Die Räumlichkeiten sind derweil fast fertiggestellt und auch die Schulmaterialien sind zum Teil bereits geliefert. „Wir liegen sehr gut in der Zeit“, hält Köber fest. Investiert wurden bis jetzt rund 1,35 Millionen Lei, die Kosten für jede Klasse belaufen sich auf etwa 45.000 Lei. Eine gesamte Klasse wurde zudem schon durch die Michael-Schmidt-Stiftung ausgestattet. Weitere Sponsoren sind herzlich willkommen.

Die Schulgebühr wird zwar 18.900 Lei betragen, doch Profit soll die Schule nicht erwirtschaften. Ziel ist es, dass sie sich in einigen Jahren selbst trägt. Das Startkapital dazu wurde von der evangelischen Kirchengemeinde ebenso bereitgestellt wie das Gebäude, respektive das Schulgelände. Auf diesem sollen die Kinder ermutigt werden, Deutsch zu sprechen. Denn Sprachen erlernt man über ihren aktiven Gebrauch in der Freizeit und nicht über den Unterricht. Und das wünschen sich auch die Eltern, mit denen wir gesprochen haben, so der einstimmige Tenor. „Natürlich werden wir die Kinder nicht bestrafen, sie sollen es von sich aus tun und Spaß daran finden. Wir werden sie dazu ermutigen.“ Die Kinder, die der deutschen Sprache bereits mächtig sind, können sofort in die erste Klasse eingeschult werden. Für alle anderen wird eine Vorbereitungsklasse angeboten, in welcher die Kinder mit intensivem Deutschunterricht auf das entsprechende Niveau gebracht werden.