Schwere Zeiten für Revoluzzer

23.000 Revolutionäre und 18 Märtyrerstädte in Rumänien

Mit ungebrochenem revolutionärem Geist und vor allem lautstark: Demonstration der Temeswarer Revolutionäre im Dezember 2014 am Temeswarer Opernplatz.
Foto: Zoltán Pázmány

Eins ist klar: So chaotisch und unklar, wie die großen Revolutionen der Menschheit, etwa die Französische Revolution (1789-1799), die Mexikanische Revolution (1910-1920) oder die russische Oktoberrevolution (1917) in die Geschichte eingegangen sind, ist das bei der rumänischen Dezemberrevolution 1989 (16.-27. Dezember 1989) wirklich nicht der Fall. Obwohl die rumänische Revolution einen kleinen Schönheitsfehler aufweist – so fragt man sich auch noch nach 25 Jahren, ob sie eine Revolution, ein internes oder ein externes Komplott gewesen sei –, hat sie als sichere Sache für die Geschichtsschreibung eine bestimmte Zahl von Revolutionären hervorgebracht, die von 1990 bis 2015 immer weiter anwuchs. Derzeit sind 23.000 Personen im Besitz einer Revolutionärsurkunde. 2006 waren auf Landesebene nur 6000 Revolutionäre registriert, mit dem Start der Erneuerung dieser Zeugnisse stieg die Zahl, 16 Jahre nach den Revolutionsereignissen, unentwegt bis ins Vierfache.

Es sei dies ein recht kurioses Gemisch, so die echten und unzufriedenen Revolutionäre aus den eingetragenen einschlägigen Vereinen. Wenigen richtigen Kämpfern der Revolution und leidenschaftlichen Aufständischen aus dem Volk stünden weitaus mehr Konspirateure, Kollaborateure, Altkommunisten und leider etliche Möchtegern-Revoluzzer, Schwindler und Betrüger gegenüber. Viele Zeugnisse seien lokal erschwindelt und, entsprechend dem jeweils in der rumänischen Politik herrschenden Wind, zentral genehmigt und ausgestellt worden. Teodor Mărieş, einer der anerkannten und führenden Revolutionäre, behauptet, dass Tausende Revolutionäre im Besitz eines falschen Zeugnisses seien, darunter auch der ehemalige Staatschef Ion Iliescu, und sechs von diesem selbst für hohe revolutionäre Verdienste zum General beförderte Offiziere. Recht undurchsichtig sind diese revolutionären Verdienste auch bei etlichen sogenannten führenden Revolutionären, die wie üblich hierzulande im letzten Jahrzehnt auch in die große Tagespolitik eingestiegen sind: So z. B. der ehemalige Folksänger Victor Socaciu, vor der Revolution ständiges Mitglied des Flacăra-Zirkels, seit 2004 PSD-Abgeordneter und 2013-2014 gar „Oberhirte“ der Revolutionäre, beziehungsweise Staatssekretär für Belange der Revolutionäre. Auch die Proportionalität der Revolutionäre in den verschiedenen Landeskreisen erscheint kurios und unrealistisch: In Temeswar/Timişoara, dem Geburtsort der rumänischen Dezemberrevolution, sind nur 2800 Revolutionäre registriert, der Nachbarkreis Karasch-Severin weist jedoch die doppelte Zahl von Revolutionären auf, in Kronstadt gibt es viermal, in Konstanza gar fünfmal mehr Revolutionäre. Dabei wird die Zahl der Temeswarer Revolutionäre sogar aus den eigenen Reihen angefochten: Der Verein ALTAR 1989 behauptet, dass die erste Liste der Temeswarer Revolutionäre sogar nur 200 Personen zählte.

Doch nicht nur die Zahl der Revolutionäre, sondern auch die der Märtyrerstädte hat sich bis heute wundersam vervielfacht. Zur ersten Märtyrerstadt wurde Temeswar gemeinsam mit Bukarest per Dekret am 9. Januar 1990 erklärt. 2012 wurde die Kleinstadt Karansebesch zur bisher letzten (es könnten ohne Weiteres noch Städte hinzukommen) der insgesamt 18 Märtyrerstädte. Als Hauptargument für diesen Titel wurde der „schwere, während der Revolution gezahlte Tribut der Karansebescher“ angeführt. In Karansebesch wurden übrigens während der Revolutionsereignissee nur drei Tote verzeichnet, ein weiteres Opfer starb 1996 an den Folgen. In diesen 18 Städten sind insgesamt 15.823 Revolutionäre (61 Prozent aller Revolutionäre) registriert, in den restlichen 29 Landeskreisen ohne Märtyrerstädte weitere 12.063. Im Laufe der Jahre wurden wiederholt Korruptionsfälle beim zuständigen Staatssekretariat, das Hand in Hand mit den Leitungen etlicher Vereine der Revolutionäre aus dem ganzen Land arbeitete, aufgedeckt. Einer der Leiter, George Costin, wurde übrigens wegen Korruption zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Bisher wurden leider die meisten Beschwerden oder Anzeigen von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Im Dezember 2014 hat die rumänische Regierung mit der Eilverordnung 95/2014 das Revolutionsgesetz 341 abgeändert. Dies führte zu einer Änderung der gesamten Methoden zur Ausstellung der Revolutionärsurkunden und, was vielleicht noch wichtiger ist, zu einer Überprüfung und Erneuerung dieser Zeugnisse.

Mit dem späten, aber dringend nötigen Reinemachen in den zahlreichen Vereinen der Revolutionäre, Kämpfer, Verwundeten, Nachkommen oder gar die „Wahrheit der Revolution“ beschäftigt sich intensiv seit Monaten auch die zuständige Parlamentskommission. Laut Adrian Sanda, seit 2014 zuständiger Staatssekretär in der rumänischen Regierung, war dieses Zeugnis bis 1995 nur eine Ehrenurkunde. 1996 erhielten die Revolutionäre jedoch allerhand Vorteile und Ermäßigungen wie Steuernachlass für Gehälter, Immobilien sowie seit 2004 Entschädigungen von bis zu 2000 Lei monatlich. Das überstürzte die Ereignisse in den Kreisen der rumänischen Revolutionäre. Es führte zu der Eröffnung einer richtigen „Diplomfabrik“ für Revolutionäre. In einem einzigen Jahr, genauer gesagt von 2009 bis 2010, wurden auf diese postrevolutionäre Art und Weise am laufenden Band 10.000 neue Revolutionäre gemacht. Hierzulande gibt es gar Familien mit sechs bis acht Revolutionären oder abgelegene Dörfchen mit vermeintlich verdienstvollen Revolutionären. Doch laut Staatssekretär Adrian Sanda sollen nun schwere Zeiten für alle Revoluzzer und Schwindler aus den Reihen der Vereine anbrechen. Nach einer strengen Überprüfung im ganzen Land, vor allem unter den sogenannten „Revolutionären mit entscheidender Rolle“ während der Revolutionsereignisse von 1989, würden von den 23.000 Revolutionären lediglich 20 Prozent weiterhin ein gültiges Zeugnis erhalten.