„Sie wollen immer den bösen König erlösen“

Neues deutschsprachiges Märchenspiel im Bukarester Theaterlaboratorium

Den kleinen Muck interpretiert Ramona Olasz, zugleich Darstellerin, Regisseurin und Bühnenbildnerin

Die Wirkungen der Zauberfeigen auf die Prinzessin und auf den König – rote Nase und große Ohren.
Fotos: Aida Ivan

Märchen sind ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Kinder haben ein klares Bedürfnis nach fantastischen und unglaublichen Geschichten, damit sie anhand von magischen Vorstellungen sich die Welt erklären. So bleibt der „allgemeine Geist der Kindlichkeit“ ein Leben lang in uns lebendig. Und diese „heimlichen Erzieher“, die seit Langem zum Alltagskulturgut gehören, lieben die Kinder. Das weiß Ramona Olasz, die Initiatorin des Bukarester Theaterlaboratoriums (TLB), ganz genau: Tausende von Märchenliebhabern haben seit der Gründung der kleinen deutschsprachigen Kulturinstitution in der Mitte der Hauptstadt das TLB besucht. Es ist die zweite Spielzeit des jungen Theaterlaboratoriums in Bukarest, die unter dem Motto „Suche“ steht. Auf die Bühne wurde eine Reihe von Theaterstücken aus Deutschland und Österreich gebracht – alle Vorstellungen gelten als rumänische Erstaufführungen in deutscher Sprache. So ist das Märchenland TLB immer populärer und vielfältiger geworden: „Vicky und die starken Männer“, „Jack und die Bohnenranke“, „Frau Müller muss weg“ und „Max und Moritz“, „An der Arche um acht“ sind nur ein paar Beispiele an inszenierten Aufführungen.

Das TLB präsentiert heuer neue Produktionen, darunter auch „Der kleine Muck“ von Christian Martin. Der ehemalige Lehrer und Rocksänger betätigt sich seit rund drei Jahrzehnten als freischaffender Dramatiker, Hörspielautor und Märchendichter. Durch seine Märchen will er Erfahrungen an Kinder vermitteln. Das Märchenspiel feierte kürzlich Premiere. Die Märchendramatisierung will eine ganze Gruppe von Kindern aus einem Kindergarten in der Nähe des TLB sehen, die sich gerne auf eine fantastische Reise durch die Welt mit Muck begibt. Im kleinen Saal des TLB wird der Raum zwischen Publikum und der Bühne nicht getrennt. Die absichtlich kleine Distanz scheint eine gewisse Rolle zu spielen – so können die Zuschauer die dargestellte Geschichte hautnah erleben. Auch das Bühnenbild ist auf das Wesentliche beschränkt. Das Märchenspiel muss man aber herbeizaubern – mit einem Zauberwort seitens der Kinder kann das Stück beginnen.

Um das eigene Lebensglück kämpfen

Die Kinder lauschen den Stimmen, die man hinter den Kulissen hört: „Du bist blöd!“, sagt eine  entschlossene Stimme. „Ich bin nicht blöd“, erwidert eine weinerliche. Muck kam unglücklich auf die Welt: Seine Beine sind sehr kurz, sein Kopf ist sehr groß – und Muck ist dem Spott der Straßenjungen ausgeliefert. Eine gelbe, etwas pummelige Puppe mit Augen aus großen, blauen Knöpfen und blauen Latzhosen belebt Ramona Olasz, Schauspielerin, Regisseurin und Bühnenbildnerin. Nachdem sein Vater stirbt, steht der kleine Muck mittellos in der Mitte der Bühne. „Die Verwandten haben mich vertrieben, weil ich die Schulden nicht bezahlen kann“, sagt der verträumte, traurige Junge und begibt sich auf die Suche nach seinem Glück.
Christian Martin greift auf Mythen und archaische Bilder zurück: In Kürze gelangt die Hauptfigur in den Besitz von Zauberpantoffeln und eines Zauberstocks. Am Hof des Königs wird er schnell angestellt und lernt, wie gefährlich Macht und Eifersucht sind, und dass Geld allein nicht glücklich macht. Er trifft die Prinzessin, deren Rolle Ioana Predescu spielt, und den König, der von Vlad Nemeş gespielt wird, der für den UNITER-Debutpreis 2015 nominiert wurde. Den Prinzen stellt George Bîrsan dar.

Dem kleinen Muck gelingt es, der ihm gestellten Falle zu entgehen und den Gegenspielern eine Lehre zu erteilen. Muck lernt die Kraft der Zauberfeigen kennen und so hat er die Macht, die Leute am Hof vom Fluch der Zauberfeigen zu befreien. Einer der Höhepunkte der Inszenierung ist am Ende des Stückes. Ob der kleine Muck auch den bösen König erlösen sollte? Die kleinen Zuschauer stimmen im Chor zu. Und dann wollen sie auch den kleinen Muck streicheln. „Sie wollen immer den bösen König erlösen“, schlussfolgert Ramona Olasz. Die Klarheit der Dramatisierung ist bestechend, das Märchen transportiert eine universelle Botschaft – das Gute siegt immer. Die einstündige Inszenierung „Der kleine Muck“ ist lustig, lehrreich und hinreißend, begeistert wurden die Zuschauer durch das Zusammenspiel von Witz, Komik und Liebe. Die Publikumsreaktion ist vielsagend – die ungefähr 20 Kinder haben während des ganzen Märchendramas von ganzem Herzen gelacht. Für die Erwachsenen ist es schon wohltuend das  zu hören. Der kleine Muck ist eigentlich ein Held für Menschen jeden Alters: Der kleinwüchsige Junge kämpft mutig und hilfsbereit um sein Lebensglück. Auch die Erwachsenen sollte man daran erinnern. Das Märchenspiel lässt Kinder durch Länder und Epochen reisen, neue Blickwinkel entdecken und die Welt in Form von Geschichten und Erzählungen kennenlernen.

Es besteht kein Zweifel, dass durch solche Veranstaltungen eine Gemeinschaft rund um das TLB geschaffen wird: „Wir haben den ‘Froschkönig’ gesehen, wir sind alte Bekannte des TLB. Wenn etwas Neues kommt, wollen wir den Kindern etwas auf Deutsch zeigen, denn es gibt nicht so viele deutsche Aufführungen in Bukarest“, meint die Erzieherin, die die Kinder begleitet.

Pläne und Inszenierungen für Erwachsene

Ramona Olasz spricht gerne über die Pläne des TLB: In Kürze folgt ein Stück, das in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Kulturforum Bukarest organisiert wird – die rumänische Erstaufführung von Julya Rabinowichs „Stück ohne Juden“ in der Regie von Marius Schiener, Gastregisseur aus Wien. Nach den Weihnachtsferien wird das Märchenlaboratorium wieder aktiv  mit Vorführungen für Kinder, die eine Aufnahmeprüfung in die deutsche Schule ablegen müssen. Das Frühjahr 2016 wird Bertolt Brecht gewidmet, geplant wird eine Kooperation mit dem Goethe-Institut Bukarest. „Das ist eine Überraschung – das erste Stück, das er geschrieben hat“, lacht Ramona Olasz.