Siebenbürgisch-sächsisches Leben in Wolfsburg

Kreisgruppe und Blaskapelle feierten 60. Jubiläum

Die Siebenbürger Blaskapelle im Hof des Wolfsburger Schlosses.

Gerhard Schunn moderierte die Weihnachtsfeier im Saal der Bonhoeffer Kirchengemeinde.

Katharina Müller liest den Kindern eine Weihnachtsgeschichte vor.

Der Chor der Siebenbürger Sachsen begleitete den Gottesdienst in Westhagen.
Fotos: Christine Chiriac

Rege Stimmung und vorweihnachtliche Freude herrschten am zweiten Adventswochenende in der Bonhoeffer Kirchengemeinde Wolfsburg-Westhagen. Hier feierte die Kreisgruppe Wolfsburg der Siebenbürger Sachsen ihre Weihnachtsfeier und somit auch die abschließende Veranstaltung eines vollen Jubiläumsjahres.

Schon 1946 waren die ersten Siebenbürger Sachsen mit dem Strom der Flüchtlinge nach Wolfsburg gelangt, eine Stadt, die heute durch den Namen Volkswagen geprägt ist. Im März 1953 – vor genau 60 Jahren - wurde die Kreisgruppe gegründet, heute ein „Aushängeschild“ des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen. Einige Wochen vorher fanden sich acht Musiker zu einer Blaskapelle zusammen – es war der Startpunkt der Siebenbürger Blaskapelle Wolfsburg.
Die Weihnachtsfeier am 7. Dezember begann mit einem Gottesdienst, der vom „Gemischten Chor“ der Kreisgruppe unter der Leitung ihrer langjährigen Dirigentin Hedi Schumann musikalisch umrahmt wurde. Später gab es Kaffee und eine Vielfalt von leckeren Kuchensorten. Im Mittelpunkt der Feier standen die Kinder. Ihnen las Katharina Müller, die engagierte Kulturreferentin, eine Weihnachtsgeschichte vor.

Rund 140 Mitglieder hat die Wolfsburger Kreisgruppe – und sehr aktive Kulturtätigkeit, wie der Vorsitzende Gerhard Schunn berichtet. Er selbst ist Leiter der Trachtengruppe „Karpatentänzer“, die von Tanz-Seminaren über Austausch-Veranstaltungen bis hin zu Auftritten beim norddeutschen Siebenbürger-Treffen in Münster und beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl Präsenz zeigt. Hinzu kommt die Trachtengruppe „Kokeltaler“, die heuer 25 Jahre seit ihrer Gründung gefeiert hat. Chor und Blaskapelle sowie Handarbeitskreis und Seniorengruppe ergänzen das Kulturangebot der Sachsen in Wolfsburg. Die Zauberwörter für das langjährige Bestehen lauten „Zusammengehörigkeit“ und „Gemeinschaft“.

Natürlich macht es auch viel Arbeit: „Man muss immer etwas anbieten und die Menschen begeistern“, sagt Gerhard Schunn. „Wir sind zurzeit ein ziemlich schlagkräftiger Vorstand, neun Leute, die derselben Generation angehören und gut vernetzt sind. Das ist wichtig, das bringt einiges an Enthusiasmus herüber.“ Nach diesem Rezept feiern die Sachsen in Wolfsburg mehrere große Veranstaltungen im Jahr, die in der alten Heimat nicht anders gefeiert werden: Fasching, Muttertag, Kronenfest, Reformationsfest, Kathreinenball gehören regelmäßig auf die Jahresagenda. „Überwiegend sind es die Siebenbürger, die zu den Festen kommen, doch immer sind auch andere Wolfsburger dabei“, sagt Schunn. „Wolfsburg besteht großteils aus Vertriebenen – u.a. aus Schlesiern, Pommern, Ostpreußen. Sie haben praktisch Wolfsburg aufgebaut und deshalb wissen sie, was Zusammenhalt ausmacht.“

Dies zeigte sich auch in diesem Jahr, in dem der ehrgeizige sächsische Vorstand keine Anstrengung scheute, um das Jubiläum möglichst groß zu feiern. Der Heimattag des Landesverbandes Niedersachsen/Bremen beispielsweise wurde heuer nach Wolfsburg verlegt und im August im größten Veranstaltungssaal der Stadt, dem Congress Park, ausgetragen. Mehr als 600 Teilnehmer – nicht „nur“ Siebenbürger Sachsen -, 100 davon aktiv am vierstündigen Kulturprogramm beteiligt: eine beeindruckende Bilanz für eine kleine Gemeinschaft. „Zwei Wochen vorher sind wir zu viert in siebenbürgischer Tracht durch die Fußgängerzone gegangen und haben Flyer verteilt“, sagt der Vorsitzende nicht ohne Stolz. „Viele haben uns als Siebenbürger erkannt und sich für unser Fest interessiert. Wir wollten unbedingt auch mit den Wolfsburgern feiern, nicht nur unter uns. Das war uns wichtig.“

Während in Westhagen gefeiert wird, findet im Wolfsburger Schloss der Adventsmarkt statt, der musikalisch von der Siebenbürger Blaskapelle begleitet wird. Zum Repertoire der rund 20 Mitglieder gehören neben „reiner klassischer Blasmusik“ auch Choräle, internationale Weihnachtsstücke und moderne Musik – „allerdings ist es schwierig, mit den wenigen Leuten alles zu bewältigen“, sagt der erste Kapellmeister Günter Bodendorfer. „Doch für die Kulturveranstaltungen, die wir in der Stadt zu bestreiten haben, kommen wir eigentlich sehr gut über die Runden.“ In der Tat ist es unmöglich, die 60-jährige Bläserformation in sächsischer Tracht aus der nicht viel älteren Stadt Wolfsburg wegzudenken. Sommerfeste, Stadtereignisse, das Schützen- und Volksfest, der „Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen und der „Advent im Schloss“ gehören jedes Jahr auf den Terminplan der Formation. Ein Teil der Musikanten ist auch im Blasorchester Stadtwerke Wolfsburg aktiv – und so kann man sich gegenseitig unterstützen, wenn mal Not am Mann ist.

Die meisten Mitglieder sind schon seit vielen Jahren dabei: Günter Bodendorfer spielt schon seit 1983 mit und leitet die Kapelle seit dreizehn Jahren. Michael Sutoris, Klarinettist und ehemaliger Vorsitzender der Blaskapelle, gehört schon seit den 70er Jahren dazu – sein Vater war einer der Gründer.

„Das Besondere an unserer Kapelle ist, dass wir zur Vereinigung der Siebenbürger Blaskapellen von Nordrhein-Westfalen gehören“, sagt Sutoris. „Die Idee, die Gemeinschaft der Musikanten über die Bundesländergrenzen hinweg zu fördern, entstand in Dinkelsbühl, und wir sind als einzige Blaskapelle im Norden dabei. 2001 ist es uns gelungen, ein großes Konzert hier in Wolfsburg zu veranstalten. Insgesamt standen sechs Blaskapellen mit 120 Musikern auf der Bühne. Es war unvergesslich!“ Dabei ist die Wolfsburger Kapelle sehr multikulturell: Rund die Hälfte der Musiker sind Siebenbürger, andere sind Wolfsburger oder gehören weiteren zugezogenen deutschen Minderheiten an. „Wir haben sogar einen rumänischen Kollegen, der aus Vaslui kommt und eine Zeit lang in der Temeswarer Philharmonie gespielt hat. Wir freuen uns, dass er uns hilft“, sagt Bodendorfer.

Die einzige große Sorge der Blaskapelle ist die Zukunft. „Man findet immer wieder einen Gleichgesinnten, der sich für die Blasmusik entscheidet“, sagt der Kapellmeister. „Wir haben aber kein Jugendorchester, wie es in anderen siebenbürgischen Blaskapellen ist, wir werben nur mit unserer Musik.“ In der Kreisgruppe selbst fragt man sich ebenfalls, was die nächsten Jahrzehnte bringen werden. „Unsere Kinder sind alle hier geboren“, sagt Gerhard Schunn. „Sie kommen jetzt zu unseren Veranstaltungen, weil ihre Eltern und Großeltern kommen, aber dass sie etwas Ähnliches in zwanzig Jahren aufbauen, das ist meines Erachtens eher unwahrscheinlich. Es fehlt die kulturelle Basis und der direkte Bezug zur Heimat.“

Währenddessen läuft die Kinderbescherung in Westhagen auf Hochtouren. Die Päckchen, die am Vortag vorbereitet wurden, werden von einem Weihnachtsmann in sächsischen Stiefeln verteilt, die Kinder singen und sagen Gedichte auf. Die Frage nach dem Heimweh beantwortet Rudolf Freitag, der stellvertretende Vorsitzende der Wolfsburger Kreisgruppe, mit einem Lächeln. „Ich bin seit vierzig Jahren hier und habe immer noch ein wenig Heimweh. Doch die Stimmung, wie sie früher in Siebenbürgen war, die gibt es nicht mehr.“